Portrait von Johannes Kahrs
Johannes Kahrs
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Johannes Kahrs zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Uwe S. •

Frage an Johannes Kahrs von Uwe S. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen

Lieber Johannes Kahrs,

die SPD setzt sich für die Minderung des Verkehrslärms ein, was mich - wie Sie wissen - seid Jahren sehr freut und womit sie den Kampf gegen Lärm an Verkehrswegen sehr erfolgreich unterstützt hat - nicht zuletzt aufgrund Ihres persönlichen Einsatzes.

In keiner der Forderungen der SPD wird jedoch eine lärmabhängige Geschwindigkeitsbegrenzung für Fahrzeuge vorgeschlagen.

Man könnte doch zum Beispiel die Geschwindigkeitszulassung von Loks und Güterwaggons der Bahnunternehmen mit einer Lärmgrenze koppeln, einen Lärm-TÜV einführen. Ebeneso bei allen anderen Lärmverursachern: LKWs, Motorräder und dergleichen. Einzelne Fahrzeuge wären dann beispielsweise mit einer Geschwindigkeit von maximal 60 km/h zugelassen.

Das würde meiner Ansicht nach den Lärm sehr wirksam einschränken. Um keinen schlagartigen Stillstand zu erzwingen, könnte man die Regelung sukzessive einführen - ähnlich wie bei den Schadstoffbelastungen von PKWs: Zunächst die Einführung von Lärmplaketten nach Fahrzeugart, dann die Ankündigung der verminderten Höchstgeschwindigkeit, schließlich die Durchführung der Beschränkungen, etwa mit elektronischer Kontrolle eventueller Überschreitungen (ähnlich bei den Lenkzeitüberwachungen für LKW-Fahrer).

Sie wissen, dass durch eine Verringerung der Geschwindigkeit ein sehr wirksamer Lärmschutz erzielt und gesundheitsschädliche Belastungen vermieden werden. Bei Tempo 80 erreicht eine 2,5 m hohe Lärmschutzwand an Schienenwegen gerade mal den gleichen Lärmschutz wie eine Tempobegrenzung auf 60 km/h. Die lärmgeplagten Anwohner würden direkt profitieren und die Verkehrsunternehmen wären nachhaltig angehalten, in Lärmschutz für ihre Fahzeuge zu investieren.

Was halten Sie von so einer Initiative?

Freundliche Grüße
Uwe Schröder

Portrait von Johannes Kahrs
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schröder,

danke für Ihre Frage. Sie sprechen da ein Problem an das uns Sozialdemokraten im Bereich der Verkehrspolitik besonders am Herzen liegt – den Schutz der Menschen vor den negativen Auswirkungen der zunehmenden Mobilität.
Mobilität ist ein zentraler Bestandteil des Alltags der Menschen in Deutschland. Sie ist Grundlage der gesellschaftlichen Teilhabe und ermöglicht den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Bildungs- und Freizeitangeboten. Gleichzeitig ist sie Grundlage des wirtschaftlichen Wachstums der deutschen Volkswirtschaft und sichert damit Arbeitsplätze. In den nächsten Jahren werden die Verkehre in Deutschland massiv zunehmen. Damit wächst die mit Verkehr verbundene Belastung der Menschen insbesondere in Form von Lärm- und Abgasemissionen.
Die Menschen in Deutschland sind immer weniger bereit, die mit dem Mobilitätsbedürfnis des Einzelnen und der Wirtschaft einhergehenden negativen Folgen von anwachsenden Verkehren in ihrem näheren Wohnumfeld zu akzeptieren. Vor diesem Hintergrund werden in Deutschland u. a. zunehmend Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur infrage gestellt.
Deutschland braucht einen neuen Infrastrukturkonsens im Verkehrssektor, der einen verlässlichen und akzeptablen Schutz der betroffenen Bevölkerung vor Lärm im Landverkehr sicherstellt.
Für Millionen von Menschen stellt Lärm eine alltägliche Belastung dar. Zahlreiche Studien belegen, dass Lärm krank machen kann. Insbesondere lärmbedingte Schlafstörungen stellen eine gesundheitliche Beeinträchtigung dar. Verkehrslärm verursacht nach Angaben der Bundesregierung Jahr für Jahr volkswirtschaftliche Schäden im zweistelligen Milliardenbereich. Allein die bezifferbaren Kosten des Straßenverkehrslärms werden von Infras (Stand 2005) auf über 12 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt, 8,8 Mrd. Euro insbesondere durch Immobilienwertverluste und 3,5 Mrd. Euro für bestimmte Herz-Kreislauferkrankun- gen. Hinzu kommen Schäden, die durch Lärm und Erschütterungen des Schienenverkehrs verursacht werden. Mögliche Umsatzeinbußen im Bereich Tourismus und Aufwendungen für Schutzmaßnahmen gegen Verkehrslärm bleiben hier ebenso unberücksichtigt wie der beträchtliche administrative Aufwand für die Lärmkartierung und die Erstellung von Lärmaktionsplänen getätigt wird. Allein die Tatsache, dass bisher nur eine begrenzte Auswahl gesundheitlicher Beeinträchtigungen monetär bewertet werden kann, lässt den Schluss zu, dass die tatsächlichen Lärmkosten noch höher sind, als die von der Bundesregierung angenommenen 12 Mrd. Euro pro Jahr.
Lärm hat darüberhinaus eine schwerwiegende soziale Komponente. Verlärmte Orte werden von wohlhabenden Bevölkerungsgruppen gemieden. Die geringeren Lebenshaltungskosten führen dort zu einer Verdichtung sozial schwacher Bevölkerungsschichten. Eine grundsätzlich geringe Kaufkraft und die zusätzlich durch das Lebensumfeld bedingten gesundheitlich negativen Auswirkungen stellen sich gegenseitig bedingende Faktoren dar, die eine Negativspirale aus- lösen oder beschleunigen können. Damit bieten verlärmte Orte auch Nährboden für die Bildung sozialer Brennpunkte und die schärfere Abgrenzung von Randgruppen.
Im Mobilitätssektor gehört Verkehrslärm damit zu den gravierendsten gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit. Er muss nachdrücklich reduziert werden. Es liegt in der Verantwortung des Staates, einen umfassenden Lärmschutz für jeden Einzelnen in unserem Land durchzusetzen. Zu diesem Zweck betreibt der Bund unter anderem als Baulastträger seit 1978 Lärmsanierung an Bundesfernstraßen. Dafür hat er bis dato etwa 870 Mio. Euro investiert. Die Europäische Union hat mit der Umgebungslärmrichtlinie Vorgaben zur Lärmkartierung und der Lärmaktionsplanung gemacht. Lärmquellen sollen erfasst und konkrete Maßnahmen zur Lärmreduzierung bzw. -sanierung abgeleitet werden. Im Unter- schied zur Planung der Luftreinhaltung gibt sie jedoch keine europaweit geltenden Grenzwerte vor, sondern überlässt ihre Festsetzung den Mitgliedstaaten. Zudem ist kritisch zu bewerten, dass weder die Umgebungslärmrichtlinie noch das deutsche Lärmschutzrecht für Kartierung und Planung Maßstäbe für eine Gesamtlärmbetrachtung bieten. Unabhängig davon ist die EU-Umgebungslärmrichtlinie in Deutschland als Ganzes noch nicht zufriedenstellend umgesetzt. Einerseits sind die Erstellung der Lärmkarten sowie der Lärmaktionspläne Pflichtaufgaben der Städte. Andererseits sind die Kommunen mit unzureichenden Finanzmitteln ausgestattet, um insbesondere die aufwändige Umsetzung der Lärmaktionspläne durchführen zu können. Die 71. Umweltministerkonferenz im November 2008 schätzt die Kosten in den von der Lärmkartierung 2007 erfassten Bereichen für erforderliche Lärmschutzmaßnahmen auf etwa 2 Mrd. Euro und hält eine maßgelbliche finanzielle Unterstützung der Kommunen durch Bund und Länder für geboten.
Trotz umfangreicher Regelwerke und Investitionen ist es nicht gelungen, Lärm auf ein akzeptables, unvermeidbares Maß zu begrenzen. Eine der wesentlichen rechtlichen Ursachen für die bestehende Verkehrslärmbelastung sind die stark unterschiedlichen Lärmschutzniveaus beim Neubau, also bei der Lärmvorsorge und bei der Lärmsanierung im Bestand. Der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf einen nachhaltigen Schutz vor Verkehrslärm ist jedoch unabhängig sowohl vom Verkehrsträger als Quelle der Lärmbelastung als auch vom Ort der Emission zu betrachten. Angesichts der zunehmenden Belastung der Bevölkerung durch Verkehrslärm muss daher 21 Jahre nach Ausfertigung der 16. Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) die Differenzierung zwischen Lärmschutz und Lärmsanierung dringend überprüft und angenähert werden. Es muss gewährleistet werden, dass die hohen Investitionen in Lärmschutz und Lärmsanierung auch tatsächlich zu spürbar weniger Lärm führen. Am Beispiel Mittelrheintal zeigt sich, dass die Lärmbelastung dort nach wie vor so hoch ist, dass sich nahezu die Hälfte der Bevölkerung hochgradig lärmbelästigt fühlt, ob- wohl das Lärmschutzprogramm weitgehend abgeschlossen ist. Das verdeutlicht, wie unzureichend die gegenwärtigen Regelungen sind und wie dringend der Handlungsbedarf ist, zumal insbesondere die Schienenwege den prognostizierten Zuwachs an Personen- und insbesondere Güterverkehren aufnehmen sollen.
Als besonders besorgniserregend schildert das Umweltbundesamt (UBA) die rasche Zunahme der Lärmquellen besonders im dicht besiedelten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Betroffene haben oft weder die Möglichkeit, dem Lärm auszuweichen, indem sie den Lebens- oder Arbeitsmittelpunkt wechseln, noch können sie sich wirkungsvoll über den Rechtsweg schützen. Hinderlich ist dabei, dass es in Deutschland kein allgemeines Gesetz zum Schutz vor Lärm oder Verkehrslärm gibt. Betroffene sehen sich stattdessen einer Vielzahl an komplizierten Vorschriften aus verschiedenen Rechtsgebieten gegenüber, die wegen ihrer Unübersichtlichkeit einerseits und ihrer mangelnden Kohärenz andererseits zu wenig Schutz für Betroffene bieten.
Der Staat wird den Konflikt zwischen Mobilität und Lärmschutz nicht allein auf dem Weg des Ordnungsrechts lösen können. Die gesellschaftliche Sensibilisierung für das Thema Lärm ist zwingend notwendig für einen vernünftigen Lärmschutz.
Meist sind die unter Lärm leidenden Menschen auch selbst Lärmverursacher, in- dem sie selbst mobil sind oder Wirtschaftsgüter bewegen oder bewegen lassen. Die Herausforderung besteht daher darin, deutlich zu kommunizieren, dass aus Lärmschutz resultierende Restriktionen beispielsweise in Form der Einrichtung verkehrsberuhigter Zonen, Verkehrsbeschränkungen, Umleitungen oder der Teilhabe an den hohen Kosten der Lärmbekämpfung, dem eigenen, mittel- oder unmittelbaren Schutz dienen und nicht der Beschneidung der persönlichen Freiheiten.
Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit – die Einbeziehung der Bevölkerung – sind wesentliche Stellschrauben in der Lärmbekämpfung. Wenn jeder Einzelne z. B. auf eine geräuscharme Fahrweise oder beim Kauf neuer Reifen auf die Geräuschemission achtet, gewinnt der Lärmschutz an Effizienz. Lärm muss als reale, aber auch vermeidbare Gefahrenquelle erkannt werden, vor allem Verkehrslärmschutz muss eine höhere gesellschaftliche Priorität erhalten und gewollt sein. „Ruhe“ muss zumindest in Bezug auf den Verkehrslärm Teil des allgemeinen „Lifestyles“ werden.
Lärmschutzmaßnahmen, die nicht im unmittelbaren Einflussbereich des Einzelnen liegen, brauchen allerdings konkrete, staatlich geregelte Ordnungs- und Anreizsysteme. Nach dem Verursacherprinzip ausgerichtet, sollen sie eine möglichst hohe Lenkungswirkung entfalten. Auf diese Weise können Investitionen in leise Flugzeuge, Lkw, Pkw, Zweiräder und Schienenfahrzeuge auch für die umsetzenden Wirtschaftsbeteiligten ökonomisch dargestellt werden.

Mit freundlichen Grüßen
Johannes Kahrs