Frage an Johannes Fechner von Gerhard R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Fechner,
zu Lübecker Nachrichten vom 18.11.14, Seite 1:
"Netzausbau: Billiger Strom nur im Süden"
Daraus: Kunden im Norden sind die Verlierer der Preisrunde. Der Grund sind vor allem die im Norden steigenden Netzentgelte, weil hier besonders stark in den Ausbau der Netze investiert wurde. Die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein fordert, dass die Netzentgelte bundesweit einheitlich sind: "Denn hier im Norden bauen wir die Stromnetze ja vor allem deshalb aus, um die Energie in den Süden transportieren zu können. Bei Telefonleitungen werden schließlich auch keine unterschiedlichen Entgelte verlangt. Wir sehen dringenden Handlungsbedarf. Auch die Verbraucher im Norden müssen von den sinkenden Strompreisen profitieren".
Ist es auch für Sie offensichtlich, dass hier gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz verstoßen wird?
Wird die SPD in der Koalition die unverzügliche Vereinheitlichung der Netzentgelte fordern?
Falls nein: Brauchen Parteien und Abgeordnete erst eine gerichtliche Aufforderung, bevor sie das Grundgesetz beachten?
Welchen Wert hat die Prüfung von Gesetzen durch den Bundespräsidenten?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
vielen Dank für Ihre Frage, auf die ich gerne antworte.
Grundsätzlich muss man differenzieren zwischen den anfallenden Kosten des Verteilernetzes und des Übertragungsnetzes. Im Strompreis von Haushaltskunden sind drei bis vier Prozent auf Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber und rund 17 Prozent auf Netzentgelte der Verteilnetzbetreiber zurück zu führen. Dabei zeigen sich deutschlandweit erhebliche Unterschiede. Netzbetreiber, in deren Netzgebiet ein hoher Anteil an Erneuerbaren Erzeugungsanlagen installiert ist, weisen nicht nur hohe Investitionen in den Netzausbau auf, sondern haben auch sehr hohe betriebliche Kosten für die Integration des volatilen erneuerbaren Stroms ins elektrische System. All dies wird nicht deutschlandweit umgelegt (gewälzt), sondern verbleibt in der Regelzone des jeweiligen Übertragungsnetzbetreibers und führt dort zu überproportional hohen Strompreisen, wo der erneuerbare Strom produziert, aber nur wenig verbraucht wird: speziell Im Norden und Osten Deutschlands. Und das, obwohl diese Regionen einen Überschuss an günstigem Strom verzeichnen. Es gibt vier Regelzonen der Netzbetreiber Tennet, 50 Hertz, Amprion und TransnetBW. Dies vorab zur Erläuterung. Nun zu Ihren Fragen:
Ist es auch für Sie offensichtlich, dass hier gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz verstoßen wird?
Nein, die Netzentgeltregelung verstößt nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz. Der Gleichheitsgrundsatz bezieht sich auf das Verhältnis Bürger-Staat. Unterschiedliche Kosten für öffentliche oder private Infrastrukturleistungen, wie z.B. für Trinkwasser, Abfallentsorgung oder auch Stromnetzentgelte fallen nicht darunter. Der Staat ist ja nicht unmittelbarer Stromanbieter.
Wird die SPD in der Koalition die unverzügliche Vereinheitlichung der Netzentgelte fordern?
Um eine faire Verteilung der Kosten der Systemintegration erneuerbarer Energien zu erreichen und Marktprozesse effizienter zu gestalten, sollte langfristig ein bundesweit einheitliches Netzentgelt bis zur Steckdose (also sowohl auf Übertragungs- als auch auf Verteilnetzebene) geschaffen werden - dies unter Beibehaltung des regulatorischen Effizienzdrucks auf jeden Netzbetreiber durch die Kontrollen der Regulierungsbehörden. Langfristig, weil im Wesentlichen die norddeutschen und ostdeutschen Bundesländer bereits die dort getätigten Investitionen getragen haben, die auf die anderen Bundesländer aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energien noch zukommen. Würden kurzfristig die Netzentgelte angeglichen, würden diese Bundesländer den Netzausbau der anderen mittragen, obwohl sie ihren eigenen zuvor ganz alleine stemmen mussten. Als Zwischenschritt zur Vermeidung des weiteren Auseinanderdriftens der Netzentgelte könnten zunächst die auf der Verteilnetzebene anfallenden vermiedenen Netznutzungsentgelte für volatil einspeisende Anlagen abgeschafft und Kosten für die Systemintegration der erneuerbaren Energien (durch Einsatz von fossilen Kraftwerken zur Netzstabilität und Abregelungen von EEG-Anlagen) bundesweit gewälzt werden.
Ein weiterer Schritt muss eine bundesweite Vereinheitlichung der Netzentgelte im Übertragungsnetz sein. Dabei muss selbstverständlich strikt darauf geachtet werden, dass den einzelnen Netzbetreibern weiterhin nur die Netzentgelte erstattet werden, die vor dem Hintergrund größtmöglicher Effizienz entstanden sind.
Welchen Wert hat die Prüfung von Gesetzen durch den Bundespräsidenten?
Nach Art 82 I GG werden die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt. Fraglich ist, ob dem Bundespräsidenten bei der Ausfertigung ein Prüfungsrecht zusteht.
Das formelle Prüfungsrecht umfasst die Befugnis, ein Gesetz auf seine formelle Verfassungsmäßigkeit (Gesetzgebungskompetenz, Verwaltungskompetenz, Gesetzgebungsverfahren) zu überprüfen. Dieses Recht wird dem Bundespräsidenten unstreitig zuerkannt. Dafür spricht der Wortlaut des Art. 82 I GG der ausdrücklich davon spricht, dass der Bundespräsident nur Gesetze ausfertigt, die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen sind (also formell ordnungsgemäß) Das materielle Prüfungsrecht. Sehr umstritten ist dagegen das materielle Prüfungsrecht des Bundespräsidenten - dieses umfasst die Befugnis, ein Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit (materiell, inhaltlich zu überprüfen). Artikel 30 betont die Eigenstaatlichkeit der Länder. Die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union durch den Bundesrat wird in Art. 50 und Art 23 GG formuliert. Die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern wird in den Art. 70 bis 75 GG behandelt. Die Zuordnung der staatlichen Verwaltungsaufgaben regeln die Art. 83 bis 87 GG. Anschließend werden die Finanzhoheit und die Verteilung des Steueraufkommens zwischen dem Bund und den Ländern konstituiert.
Vor diesem Hintergrund wird allgemein nicht die Auffassung vertreten, unterschiedliche Netzentgelte verstießen gegen die Verfassung. Eine Nivellierung ist jedoch aus Sicht der SPD im Sinne einer Angleichung des Produktivitäts- und Einkommensniveaus in der Deutschland anzustreben, vor allem, weil die Energiewende von der Politik als eine gesamtstaatliche Aufgabe verstanden wird.
Brauchen Parteien und Abgeordnete erst eine gerichtliche Aufforderung, bevor sie das Grundgesetz beachten?
Natürlich nicht, gerade ich als Rechtspolitiker prüfe die Verfassungsmäßigkeit unserer Gesetze genau.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Johannes Fechner, MdB