Frage an Jörn Thießen von Georg G. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Thießen,
Sie sind Mittglied im Ausschuss für Verteidigung. Deshalb hoffe ich, Sie können zu der folgenden Frage Stellung nehmen:
Die Situation der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland ist in hohem Maße ungerecht und abstrus: 2007 wurden knapp 50% aller Gemusterten als nicht tauglich eigestuft. Im Vergleich zu weniger als 20% 2002.
Die objektiven Anforderungen an Wehrpflichtige haben sich jedoch nicht geändert, wie mir (ehem.) Wehrpflichtige und Soldaten bestätigt haben. Ich hoffe diese Fakten sind korrekt und Sie stimmen mir darin zu!
Die Ursache der exponentiell gestiegenen Ausmusterungen können also nur aus einem geringeren Bedarf an Wehrpflichtigen resultieren.
Eine allg. Wehrpflicht macht doch nur dann Sinn, wenn sie wirlich allgemein ist. Ansonsten führt sie zu einem massiven Eingriff in die persönliche Freiheit nur eine Teils der Bevölkerung!
Wie ist Ihre Meinung zur Beibehaltung der allg. Wehrpflicht?
Warum drückt sich Ihre Partei vor einer klaren Anerkennung der o.g. Fakten und einer ehrlichen Diskussion? Vielfach wird sich hinter Scheinargumenten versteckt, so stellt es sich jedenfalls für viele Betroffene dar.
Warum sagen Sie nicht: es gibt keinen Bedarf für eine allg. Wehrpflicht, also müssen wir Alternativen überlegen?
Oder sagen wir: wir legen die gleichen Kriterien für die Tauglichkeit an, wie vor 10 Jahren. Da der Bedarf geringere ist als die Zahl der Tauglichen, wird ausgelost, wer zur Bundeswehr darf/muss.
das ist wenigstens ehrlich!
Ein Beibehalten des status quo und Ausweichen vor einer grundlegenden Diskussion empfinden Viele als eine Misachtung gegenüber den Betroffenen, denen mehr als ein halbes jahr Wehrpflicht ein massiver Einschitt in Ihre Lebensplanung ist.
Mit freundlichen Grüssen und in Erwartung Ihrer Antwort.
Lieber Herr Goetz,
gleichwohl sich die Sicherheitslage nach dem Kalten Krieg fundamental verändert hat, folgt daraus kein Automatismus zur Abschaffung der Wehrpflicht. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wie sich das sicherheitspolitische Umfeld in den nächsten Jahren gestalten wird, und welchen Gefahren die Bundesrepublik und unsere Truppen in den jeweiligen Einsatzgebieten ausgeliefert sein werden. Im Rahmen der Transformation der Bundeswehr an die veränderte Sicherheitslage nach 1990 fand auch eine Weiterentwicklung der Nachwuchsgewinnung statt, hin zu einer „Wehrpflicht in angepasster Form“, wie es in den Richtlinien des Verteidigungsministeriums heißt.
Die Wehrpflicht sichert in jedem Fall die Qualität der Personlauswahl und bleibt als Klammer zwischen den Bürger und der Armee bestehen. So wenig wie es in der Vergangenheit absolute Gerechtigkeit bei der Auswahl gab, so wenig wird dies in der Zukunft der Fall sein, wenn ab dem Jahr 2010 jährlich nur noch 70.000 Soldaten rekrutiert werden müssen. Die Alternative, eine Berufsarmee, würde erhebliche Unsicherheiten in den Bereichen Qualität, Anbindung an die Gesellschaft, Umfang und Kosten mit sich bringen.
Die SPD hat auf ihrem Hamburger Parteitag im Oktober 2007 das Modell der „Freiwilligen Wehrpflicht“ beschlossen. Nach dem Prinzip „So viel Freiwilligkeit wie möglich, so viel Pflicht wie nötig“ werden zuerst diejenigen tauglich Gemusterten einberufen, die ihren Dienst in den Streitkräften ausdrücklich leisten wollen. Anreize hierfür können beispielsweise mit Boni bei der Studienplatzvergabe oder in der Rentenversicherung gesetzt werden. Greift dieses Element der Freiwilligkeit, muss niemand mehr gegen seinen Willen eingezogen werden. Nur bei erhöhtem Bedarf wird dann wie bisher zusätzlich nach Eignung einberufen.
Herzliche Grüße
Jörn Thießen