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Frage von Guido F. •

Frage an Jörn Thießen von Guido F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Prof. Thießen,

auch ich bedauere die geringe Wahlbeteiligung - aber noch viel mehr die Ursachen dafür.
Ihre Anregung einer Wahlpflicht betrachte ich mit Besorgnis. Bürger die zur Wahl gehen, müssen Vertrauen in Politik haben, ist dies nicht der Fall, werden Sie keine sinnvolle Wahl treffen.

Sie forderten, den Wahlschein doch lieber ungültig zu machen, als nicht an der Wahl teilzunehmen und Sie im Unklaren über die Motive zu lassen. Sollten Sie als Abgeordneter aber nicht jeden Nichtwähler als Kritiker auffassen, den Sie und Ihre Politikerkollegen durch Ihre Arbeit nicht davon überzeugen konnten, dass Wahlen von Bedeutung sind?

Nehmen wir beispielsweise das gebrochene Versprechen Ihres Parteichefs Franz Müntefering, als er zur letzten Bundestagswahl behauptete, mit der SPD gäbe es keine Mehrwertsteuererhöhung.
Könnte das Vertrauen in Politik und damit die Wahlbeteiligung nicht deutlich gesteigert werden, wenn das Einhalten solch Wahl entscheidender Versprechen gesetzlich vorgeschrieben wäre und ein zuwiderhandeln strafrechtlich verfolgt würde?
Herrn Müntefering für seine Wahlkampflüge bei der nächsten Wahl zu bestrafen, ist wohl kaum möglich. Die SPD müsste unter die 5%-Hürde fallen, damit Herr Müntefering und der Rest der SPD-Führung nicht über ihre sicheren Landeslistenplätze in den Bundestag einziehen. Oder sehen Sie das anders?

Wer derzeit seinen Wahlschein ungültig macht oder nicht zur Wahl geht, vergibt seine Stimme, mathematisch gesehen, immer im Verhältnis des Wahlergebnisses an jede Partei.
Um die Attraktivität zu steigern, die Wahl ungültig zu machen, aber wenigstens zu wählen, wäre es doch sinnvoll, ungültige Stimmen gesondert zu zählen und sie anschließend gleichmäßig auf alle zur Wahl stehenden Parteien zu verteilen. Dadurch würde erst ermöglicht, allen Parteien eine Absage zu erteilen, keine mehr zu bevorteilen und trotzdem Einfluss auf das Wahlergebnis auszuüben.
Was halten Sie von einer solcher Änderung?

Freundliche Grüße
Guido Friedewald

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Antwort von
SPD

Lieber Herr Friedewald,

nein, ich kann nicht jeden Nichtwähler als Kritiker auffassen. Nichtwähler sind Nichtkritiker. Sie äußern keine Kritik, sondern gehen einfach nicht hin. Sie machen keinen Gebrauch von der fundamentalen Ausdrucksmöglichkeit, die in der repräsentativen Demokratie zum Willensbildungsprozess gehört.
Dass Spitzenpolitiker bei schlechten Wahlergebnissen den Weg für andere freimachen, ist kein außergewöhnlicher Vorgang. Jede Partei beobachtet ihre Wirkung auf die Wählerinnen und Wähler sehr genau, und sie zieht auch in Bezug auf ihr Führungspersonal die Konsequenzen. Bei einer hohen Wahlbeteiligung bliebe dann auch kaum Spielraum für Interpretationen - wer bei 90 Prozent Teilnahme oder mehr ein mieses Ergebnis einfährt, wird das nicht mehr damit erklären können, dass die eigene Anhängerschaft nicht zum Gang zur Wahlurne motiviert werden konnte.

Und wenn Ihnen die Personaldecke der Parteien zu kurz erscheint, um gute Leute in entscheidende Positionen zu bringen, dann möchte ich Sie ganz ernsthaft dazu ermutigen, sich selbst politisch zu engagieren. Demokratie braucht Demokraten, beteiligen Sie sich doch auch daran.

Herzliche Grüße

Jörn Thießen