Frage an Jörg-Uwe Hahn von Christoph H. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Hahn,
in seiner Rede anläßlich der Auflösung des letzten deutschen Bundestages unter Bundeskanzler Gerhard Schröder betonte unser Herr Bundespräsident die besondere Bedeutung unseres Grundgesetzes.
Welche Bedeutung aber hat unser Grundgesetz für Ihre Partei und speziell für Sie persönlich?
Kennen Sie den Art. 9 GG besonders den 2.Satz des 3.Absatzes?
Sicher verstehen Sie, daß ich nur eine Partei bzw. deren Vertreter wählen kann, die sich zu unserem Grundgesetz bekennen, dieses schützen und gegen Verletzungen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln vorgehen.
Was also werden Sie unternehmen, damit die volle Gültigkeit der Art. 9 und 14 GG wiederhergestellt und der Kammerzwang für die Handel- und Gewerbetreibenden und die Finanzierung der Kammern durch diktatorisch, einseitig und willkürlich festgelegte Zwangsbeiträge beendet wird?
Der Kammerzwang verursacht unserer Wirtschaft, besonders den kleinen und mittleren Unternehmen, Jahr für Jahr hohe Kosten und damit einen hohen wirtschaftlichen Schaden, Geld, das wir nun wirklich notwendiger brauchen für die Schaffung und den Erhalt von Arbeits- und Ausbildungsplätzen als zum Durchfüttern leistungsunwilliger und vermutlich auch leistungsunfähiger Opportunisten, die die Rechtsbeugung des Art. 9 GG durch das IHKG nur zu ihrer eigenen Bereicherung ausnutzen (Beweismittel: Haushaltspläne der IHKn: 100% Ausgaben, davon 60 - 70 % Personalkosten aber nur 20 - 30 % Einnahmen aus Gebühren und Entgelten aus dem Verkauf ihrer Leistungen).
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Höll
Der Doppelcharakter der Industrie- und Handelskammern (Selbstverwaltung des eigenen Bereichs und staatliche Aufgabenwahrnehmung) war - analog zum Doppelcharakter der Kommunen - mit Bedacht gewählt, denn ihre Aufgabe sollte sich nicht in der Interessenvertretung der gewerblichen Wirtschaft erschöpfen, sondern zugleich die Berücksichtigung der übergeordneten volkswirtschaftlichen bzw. gesamtwirtschaftlichen Interessen beinhalten (z.B. Lehrlingsausbildung, gutachterliche Stellungnahmen).
Nicht zuletzt aus diesem Grunde ermöglicht die Pflichtmitgliedschaft, auch ggf. unpopuläre Maßnahmen vor ihren Mitgliedern vertreten zu können und Trittbrettfahrereffekte zu verhindern. Ohne Pflichtmitgliedschaft aller Betriebe würde das Übergewicht von Konzerninteressen oder einzelner Personeninteressen politisch so sichtbar wie faktisch im Bereich der konkurrierenden freiwilligen Wirtschaftsvereinigungen. Zwar schränkt die Organisation der Unternehmen in einer Selbstverwaltungskörperschaft mit Pflichtmitgliedschaft den Freiheitsgrad zunächst ein, doch eröffnet erst diese Einschränkung den Unternehmen die Möglichkeit zur Beteiligung und Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen. Die unmittelbare Staatsverwaltung wird vermieden. Die Betroffenen können ihre Angelegenheiten, auch im hoheitlichen Bereich, selber regeln. Die Kammern unterliegen lediglich der Rechtsaufsicht. Durch die Pflichtmitgliedschaft werden also auch neue Freiheitsgrade eröffnet und gesichert.
Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern auf privatrechtlicher Grundlage würden den Unternehmer zwar frei in seiner Entscheidung machen, sich einer dieser Organisationen anzuschließen. Doch der Preis für diesen Freiheitsgrad ist eine Einschränkung seiner Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bei der Wahrnehmung und Umsetzung von wirtschaftsrelevanten Verwaltungsaufgaben. Denn die Wahrnehmung von hoheitlichen Aufgaben bei Nutzung des Instituts der "Beleihung" unterliegt der Rechts- und Fachaufsicht des Staates oder könnten gänzlich auf den Staat rückübertragen werden.
Die FDP sieht in der bestehenden auf dem Grundsatz der Pflichtmitgliedschaft begründeten Organisation der Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerkskammern in Form von Körperschaften öffentlichen Rechts eine geeignete Form der Selbstverwaltung der Wirtschaft und der Interessenvertretung der Unternehmen. Es besteht jedoch ein erhebliches Maß an Reformbedarf, um den Anforderungen einer sich immer weiter globalisierenden Wirtschaft gerecht zu werden und so das deutsche Kammerwesen wetterfest zu machen.
Die Frage der Verfassungskonformität und damit auch die Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft mit Art. 9 und 14 unseres Grundgesetzes wurde durch das Bundesverfassungsgericht überprüft und für verfassungsrechtlich zulässig erachtet.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Bruder
Referent für Innen- und Rechtspolitik,
Grundsatzangelegenheiten, Justiziar