Frage an Jörg-Otto Spiller von Tim K. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Spiller,
am 05.08.2008 erschien in der Tageszeitung "taz" eine 8-seitige Beilage des Bündnisses "Bahn für alle" mit dem Titel
"Kostendruck lässt Achsen brechen"
( http://www.bahn-fuer-alle.de/pages/ice-achsbruch.php )
Darin werden detailliert Fakten aufgezeigt, die dafür sprechen, dass die Deutsche Bahn zugunsten einer, auch von Ihnen befürworteten (Teil-)Privatisierung, an der Sicherheit spart, um Kosten zu senken.
Anlass für Recherche und Aufklärung durch das Bündnis war die Beinahkatasrophe in Zusammenhang eines Achsbruchs an einem ICE-3 im Kölner Hauptbahnhof am 09.07.2008. Zur besagten Katastrophe kam es nicht, weil der Zug zum Zeitpunkt des Achsbruchs nur Schrittgeschwindigkeit fuhr. Die Bahnaufsicht Eisenbahn-Bundesamt stellte in ihrem "Bescheid bezüglich des Radsatzwellenbruchs bei einem ICE der Baureihe 403 vom 11. Juli 2008" fest: ""Wäre dasselbe Ereignis bei Streckengeschwindigkeit von bis zu 300 km/h aufgetreten, hätte sich mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit eine Katastrophe wie z. B. in Eschede ereignen können."
Meine Fragen: ist Ihnen die taz-Beilage (s. auch o.g. Link) bekannt? Sind Ihnen die darin benannten, z.T. auch ältere Vorwürfe bekannt?
Können Sie angesichts dieser Vorwürfe guten Gewissens an Ihrer Entscheidung, der (Teil-)Privatisierung der Deutschen Bahn zuzustimmen, festhalten? Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Karsten,
für Ihren Hinweis auf die taz-Beilage von Attac/“Bahn für Alle“, in der der Verfasser, der ehemalige PDS-Bundestagsabgeordnete Dr. Winfried Wolf, die kühne These aufstellt, der Bruch einer Radsatzwelle bei einem Hochgeschwindigkeitszug vom Typ ICE 3 sei letztlich auf die beabsichtigte Teilprivatisierung der Deutschen Bahn zurückzuführen, danke ich Ihnen.
Überzeugt hat mich die muntere Polemik von Herrn Dr. Wolf allerdings nicht. Kurz zusammengefasst, lautet seine Argumentation so: Um angesichts des bevorstehenden Börsengangs einen höheren Gewinn ausweisen zu können und damit renditehungrigen Investoren zu gefallen, spare die Deutsche Bahn ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit ihrer Fahrgäste und Mitarbeiter an der Sicherheit. Nach der Teilprivatisierung werde alles noch viel schlimmer, dann gelte das Geschäftsprinzip verschärfte Ausbeutung der Beschäftigten und „systematisches Fahren auf Verschleiß“.
Überträgt man diese bemerkenswert schlichte Vorstellung von profitablem Eisenbahnbetrieb auf die Automobilbranche, dann machten jene Hersteller die höchsten Gewinne, die ihre Fahrzeuge aus Kostengründen nur mit unzulänglichen Bremsen, schlackernder Lenkung und dürftiger Beleuchtung ausstatteten (und einen TÜV gäbe es natürlich auch nicht).
Niemand kommt auf den Gedanken, einem Automobilhersteller eine solch unsinnige Geschäftsstrategie (und dem Staat eine derartige Gleichgültigkeit) zu unterstellen. Warum soll denn das, was bei Autos offenkundig absurd wäre, bei der Eisenbahn betriebswirtschaftlich klug sein? Welches Interesse sollte denn die Bahn daran haben, durch Vernachlässigung von Sicherheitsbelangen und Inkaufnahme von Unfällen ihren Kunden das Zugfahren abzugewöhnen?
Welche Vorsorge nach Art und Umfang zur Betriebssicherheit von Fahrzeugen und Anlagen notwendig und angemessen ist, entscheidet in Deutschland zudem kein Eisenbahnunternehmen allein, auch nicht die bundeseigene Deutsche Bahn. Alle Bahnbetreiber unterliegen staatlicher Aufsicht. Soweit nicht für reine Regionalbahnen die Zuständigkeit bei Landesbehörden liegt, ist als Sicherheitsbehörde das Eisenbahn-Bundesamt zuständig.
Es kommt vor, dass Bahnunternehmen eine Anordnung des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) für unverhältnismäßig streng halten und dagegen Widerspruch einlegen oder auch klagen. So war kürzlich zu lesen (Süddeutsche Zeitung vom 16.08.08), gegen die vom EBA angeordnete deutliche Verkürzung der Prüfintervalle für Radsätze des ICE 3 wolle die Deutsche Bahn in den Widerspruch gehen. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen. Dass Verwaltungsakte in einem geregelten Verfahren angefochten werden können, ist ein wichtiger Teil unserer Rechtsordnung. Aber ob nun mit oder ohne Zähneknirschen, solange die Auflage des Amtes besteht, muss der Vorstand der Deutschen Bahn sie befolgen. Jedenfalls ist das Eisenbahn-Bundesamt kein zahnloser Tiger, der niemandem weh tun könnte, wie Herr Dr. Wolf mit seiner Behauptung glauben machen will, für Kontrolle im Bereich des Eisenbahnbetriebs stünden dem EBA nur 48 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung.
Das Eisenbahn-Bundesamt hat (einschließlich Teilzeitkräften) annähernd 1300 Beschäftigte, von denen rund 300 in der Bonner Zentrale und 1000 in den Außenstellen vor Ort arbeiten (Vollzeitstellen laut Stellenplan 2008: 1.132; im Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2009 ist eine Aufstockung um 61 Stellen auf dann 1.193 Stellen vorgesehen). Fazit: Ein wolfsches „Fahren nach Verschleiß“ wird es bei der Deutschen Bahn nicht geben, auch dann nicht, wenn demnächst an dem Bereich „Verkehr und Logistik“ eine private Minderheitsbeteiligung zustande kommt.
Mit freundlichen Grüßen
Jörg-Otto Spiller