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Jörg-Otto Spiller
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Frage von Dieter K. •

Frage an Jörg-Otto Spiller von Dieter K. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Spiller,
rund um die Welt leihen Regierungen Geld gegen Zinsen von privaten Banken. Staatsverschuldung ist ein wesentlicher Teil der Totalverschuldung. Die Zinsen zu decken bedarf eines großen Teils unserer Steuern. Nun wissen wir, das Banken das Geld, das sie verleihen, einfach "erfinden" bzw. aus dem Nichts schöpfen und die Regierungen haben ihnen die Erlaubnis erteilt, das zu tun.

1. Warum leihen Regierungen das Geld von privaten Banken gegen Zinsen wenn sie das Geld, das sie benötigten, genausogut selbst - und zinsfrei- erstellen könnten?

2. Wieso überhaupt Geld als Schuld generieren ? Wieso nicht Geld schaffen, das ständig umläuft, und nicht fortwährend gegen Zinsen erneut geliehen werden muß um überhaupt zu exestieren?

3. Wie kann ein Geldsystem, das nur unter andauernd beschleunigtem
Wachstum funktioniert genutzt werden, um eine nachhaltige Wirtschaft zu schaffen? Ist es nicht einleuchtend, dass andauernd beschleunigtes Wachstum und Nachhaltigkeit inkompatibel sind?

4. Warum ist unser jetziges System vollständig abhängig von andauerndem Wachstum? Was muß geändert werden, um die Entstehung einer nachhaltigen Wirtschaft zu ermöglichen?

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kirschbaum

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kirschbaum,

wie Sie zu Recht betonen, machen die Schulden der öffentlichen Hand in den meisten Volkswirtschaften einen erheblichen Teil des gesamten Schuldenvolumens aus. So haben in Deutschland – die Kreditbeziehungen innerhalb des Banken- und sonstigen Finanzsektors außer Betracht gelassen – die Schulden des Staates (Bund, Länder und Gemeinden) mit einem Stand von Ende 2007 gut 1,5 Billionen Euro einen Anteil von einem Fünftel an der Gesamtsumme der Verbindlichkeiten. Sie sind damit gleich hoch wie die (vorwiegend aus langfristigen Baufinanzierungen bestehenden) Schulden aller privaten Haushalte. Die Bruttoverbindlichkeiten der nicht zum Finanzsektor zählenden Unternehmen lagen Ende 2007 bei 4,4 Billionen Euro,

Eine Billion sind 1000 Milliarden, ist eine Zahl mit zwölf Nullen. Das sind schwer vorstellbare Dimensionen. Was bedeuten für Deutschland 1,5 Billionen Euro Staatsschulden im Verhältnis zum öffentlichen Vermögen, zur Wirtschaftskraft unseres Landes, zu den laufenden Einnahmen des Staates?

Die erste Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Plausibel erscheint nur die Aussage, dass das öffentliche Vermögen ein Vielfaches der öffentlichen Schulden ausmacht. Der Staat bilanziert nicht. Über das öffentliche Vermögen gibt keine Statistik Auskunft. Verständlicherweise, denn es gibt dafür keine vernünftigen Bewertungsmethoden. Welchen materiellen Wert haben die allgemein bildenden Schulen, das Gerichtswesen, unentgeltlich zu benutzende Straßen, der Berliner Tiergarten oder die Institute der Max-Planck-Gesellschaft?

Klar zu beziffern sind die Relationen zu Wirtschaftskraft und Steuereinnahmen. Die 1,5 Billionen Schulden entsprechen fast zwei Dritteln einer Jahresleistung unserer Volkswirtschaft (Bruttoinlandsprodukt), womit Deutschland im Durchschnitt der Euro-Zone liegt, und erfordern Zinszahlungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden von zusammen rund 65 Milliarden Euro, also beachtliche zwölf Prozent der Steuereinnahmen.

Ein dicker Brocken, auch dann, wenn der Gesamtstaat in diesem und den nächsten Jahren, wie angestrebt und 2007 erstmals seit langem erreicht, ohne Neuverschuldung auskommen sollte.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie, das seien überflüssige Ausgaben. Der Staat werfe seine üppigen Zinszahlungen ohne Not den Banken in den Rachen, statt das Geld, das er brauche, einfach selbst zu schaffen. Klingt verheißungsvoll, stimmt aber leider nicht. Der Löwenanteil, rund drei Viertel, der öffentlichen Schulden besteht aus international gehandelten Anleihen – langfristigen Bundes- oder Länderanleihen, mittelfristigen Obligationen und Bundesschatzbriefen, kurzfristigen Schatzanweisungen.

Wer hat diese Papiere gekauft? Deutsche Sparer unmittelbar nur in recht bescheidenem, mittelbar jedoch in beachtlichem Umfang. Die große Masse der Sparanlagen privater Haushalte in Deutschland fließt in Bankeinlagen und Lebensversicherungen. Banken wie Versicherungen legen einen Teil der ihnen von ihren Kunden anvertrauten Gelder in Staatsanleihen und sonstigen Formen der Kreditgewährung an die öffentliche Hand an.

Da die Bundesrepublik Deutschland überall in der Welt als ausgezeichneter, über jeden Zweifel erhabener Schuldner gilt, wird ein großer Teil der deutschen Staatsanleihen im übrigen von ausländischen , insbesondere ausländischen institutionellen Anlegern gehalten, darunter auch von etlichen Notenbanken im Rahmen von deren Währungsreserven.

Nach Gläubigern aufgeteilt, entfiel Ende 2007 rund die Hälfte der gesamten deutschen öffentlichen Schulden auf ausländische Gläubiger, während der Anteil der inländischen Banken bei 30% lag.

Es stimmt, wie bei jeder Kreditgewährung durch Banken müssen auch die Kredite an öffentliche Schuldner nicht ausschließlich auf Kundeneinlagen basieren, sondern kann auch hierbei die Giralgeldschöpfung des Bankensystems zum Tragen kommen. Räumt eine Geschäftsbank einem – privaten oder öffentlichen – Kreditnehmer ein Sichtguthaben in Höhe des aufgenommenen Kredits ein, entsteht Geld. Die Bank hat es geschaffen.

Aber sie benötigt Geld, das sie nicht schaffen kann, sobald ihr Kunde ein Betrag in Bar abhebt oder, beispielsweise um einen Lieferanten zu bezahlen, eine Überweisung auf dessen Konto bei einer anderen Bank vornimmt. Außerdem schreibt die Europäische Zentralbank (EZB) den Geschäftsbanken vor, dass sie in Höhe eines von ihr festgelegten Prozentsatzes der Einlagen Guthaben bei der örtlich zuständigen Zentralbank (in Deutschland der Bundesbank) als Mindestreserve zu halten haben. Der Geldschöpfungsprozess unterliegt also der Steuerung durch die EZB, die mit Blick auf das Ziel der Geldwertstabilität darauf zu achten hat, dass die Geldmenge sich entsprechend der gesamtwirtschaftlichen Leistung entwickelt.

Könnten die Geschäftsbanken nach ihrem Belieben und gleichsam durch Hokuspokus Geld herbeizaubern, gäbe es übrigens keine Bankenkrisen.

Gerade weil Kreditaufnahmen der öffentlichen Hand im Zusammenhang mit Kreditfinanzierungen der übrigen Sektoren der Volkswirtschaft zu sehen sind, ist es ökonomisch und politisch geboten, für sie kein Sonderregime, also beispielsweise keine Kreditgewährung durch die staatliche Zentralbank, zuzulassen.

Solche bequem anmutenden Sonderwege, wie Sie sie in Ihren Fragen 1 und 2 andeuten, sind verführerisch, aber höchst gefährlich. Die deutsche Hyperinflation von 1923 beispielsweise ist so verursacht worden, als die Reichsbank der Reichsregierung aus vermeintlich patriotischen Motiven zur Unterstützung des passiven Widerstands gegen die französische Besetzung des Ruhrgebiets riesige Finanzmittel zur Verfügung stellte. Die infolge des Ersten Weltkrieges bereits angeschlagene deutsche Währung wurde infolge dieser ebenso gutgemeinten wie katastrophalen Notenbankpolitik gänzlich zerrüttet. Dieses niederschmetternde Fehlverhalten der Reichsbank war einer der Gründe, weshalb zunächst in das Bundesbankgesetz und später bei der Schaffung der Europäischen Währungsunion in die Vertragsbestimmungen zur EZB das ausdrückliche Verbot an die Zentralbank aufgenommen wurde, der öffentlichen Hand Kredite zu gewähren.

Auf Ihre Frage 3 und 4 möchte ich nach diesen langen Ausführungen nicht mehr näher eingehen. Nur eine Anmerkung sei mir gestattet: Intelligent und innovativ bewirktes Wirtschaftswachstum muss nicht mit zusätzlichem Ressourcenverbrauch einhergehen. Nachhaltigkeit und wirtschaftliches Wachstum sind insofern keine Gegensätze.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg-Otto Spiller