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Jörg-Otto Spiller
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Frage von Michael E. •

Frage an Jörg-Otto Spiller von Michael E. bezüglich Familie

Sehr geehrter Herr Spiller!

Eine Erhöhung des Kindergeldes ist (wieder einmal) im Gespräch, zwar auf Initiative der CDU hin, aber doch durch die große Koalition, also auch durch "Ihre" SPD dann zu beschließen.

Da die betreffenden Diskussionen die Verbesserung der Situation einkommensschwacher Familien zum Schwerpunkt haben, frage ich Sie, ob der Erhöhungsbetrag wie üblich ganz oder teilweise auf Sozialhilfe und/oder ALG 2 angerechnet wird, so daß sich für die betroffenen wirklich einkommensschwachen Familien gar nichts ändern wird?

Da noch keine fertigen Beschlüsse vorliegen, bitte ich Sie, nicht auf diese Tatsache zu verweisen, sondern mitzuteilen, ob Sie und die SPD eine Nichtanrechnung verbindlich durchsetzen werden. (Das wäre ja möglich, indem man im anderen Fall das Vorhaben einfach ablehnt.)

Mit freundlichen Grüßen -

M. Engel

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Engel,

vielen Dank für Ihre Frage zum Kindergeld und zur Verbesserung der Situation einkommensschwacher Familien.

Vermutlich gegen Jahresende wird die Bundesregierung ihren aktuellen Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern vorlegen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird alsbald danach sowohl die Grundsicherung für Kinder von Arbeitssuchenden und Sozialhilfeempfängern als auch der steuerliche Kinderfreibetrag angehoben werden. Im Zuge dessen wird die Koalition sicherlich auch eine Erhöhung des Kindergeldes beschließen. Denn Grundsicherung, steuerlicher Freibetrag und Kindergeld stehen in einem Zusammenhang, den ich gern etwas näher erläutern möchte.

Die heutige Gestalt des Familienleistungsausgleich in Deutschland ist durch eine wesentliche Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts zum Steuerrecht stark mitgeprägt worden: Das zur Deckung des existenznotwendigen Lebensbedarfs erforderliche Einkommen darf nicht besteuert werden. Die naheliegende Frage, wie hoch dieser „notwendige“ Bedarf denn sei, hat das Gericht ebenso pragmatisch wie plausibel beantwortet: das, worauf hierzulande auch jeder Mittellose Anspruch hat, also der im Sozialhilferecht anerkannte Mindestbedarf.

Der im Einkommenssteuergesetz (§32) festgelegte Kinderfreibetrag, der bei den Eltern das „sächliche Existenzminimum“ eines Kindes steuerfrei stellt, entspricht deshalb pauschaliert dem durchschnittlichen Grundsicherungsanspruch von Kindern.

Da wir in Deutschland einen progressiven Einkommenssteuertarif haben, wirkt sich ein Steuerfreibetrag allerdings auf die einzelnen Familien höchst unterschiedlich aus. Er bringt vor allem denen etwas, die ein gutes Einkommen haben und deshalb einem hohen Steuersatz unterliegen. Durchschnitts- und Geringverdiener haben von dem Freibetrag wenig oder (fast) nichts.

Um dieser Ungerechtigkeit entgegenzuwirken, gibt es das Kindergeld. Grundsätzlich gilt es nicht als Sozialleistung, sondern als Steuervergütung, als ergänzende Alternative zur Nutzung des Freibetrages. Es ist unabhängig vom Einkommen und damit auch von der Steuerprogression. Deshalb ist es für die ganz überwiegende Zahl der Familien viel günstiger als der Freibetrag. (Letzterer kommt im Finanzamt nur bei den nicht allzu vielen einkommensstarken Familien zum Tragen, deren Entlastungsanspruch progressionsbedingt durch das auch von ihnen bezogene Kindergeld noch nicht voll abgedeckt ist.)

Kindergeld wird auf das Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe angerechnet. - Logischerweise, muss zugeben, wer den hier dargelegten Zusammenhang berücksichtigt.

Gleichwohl scheint es mir verständlich, dass es das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen irritiert hat, wenn auf Sozialhilfe angewiesene Familien bei einer Kindergelderhöhung leer ausgegangen sind. Das hat es in der Vergangenheit in der Tat gegeben, als das Kindergeld im Interesse von Durchschnitts- und Geringverdienern isoliert vom Freibetrag und sozialhilferechtlichen Regelungen angehoben worden ist.

Die demnächst, nach Vorliegen des neuen Existenzminimumberichts, zu erwartende Entscheidungssituation dürfte jedoch eine andere sein. Der Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum ist seit mehreren Jahren unverändert. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass der Bericht eine Anhebung der Grundsicherung für Kinder von Arbeitssuchenden sowie Sozialhilfeempfängern und infolgedessen auch des Kinderfreibetrags nahelegen wird.

Dem wird der Gesetzgeber Rechnung zu tragen haben. Ich werde mich dann allerdings auch für eine Anhebung des Kindergeldes einsetzen. Die wäre nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar nicht zwingend erforderlich; die breite Masse der Familien zu übergehen, hielte ich jedoch nicht für sozial gerecht.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg-Otto Spiller