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Jörg-Otto Spiller
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Frage von Maritta S. •

Frage an Jörg-Otto Spiller von Maritta S. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Spiller,

meine Frage lautet: Würden Sie sich in ihrer Fraktion dafür stark machen, dass die Abstimmung über das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ verschoben wird, bis der Europäische Gerichtshof über die Klage Irlands gegen die Richtlinie entschieden hat?
Gründe für eine Verschiebung sind:
- Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung im Internetbereich ist ohnehin frühestens Ende 2008 möglich, weil dann erst die dafür notwendigen technischen Standards von ETSI vorliegen
- Die Internetwirtschaft hätte Kosten von 332 Millionen Euro allein für die Anschaffung von Hard- und Software zu tragen (Quelle: eco Verband der Deutschen Internetwirtschaft)
- Wenn der EuGH die Richtlinie verwirft (womit zu rechnen ist, denn die regelt ein Thema, das mit Binnenmarkt nichts zu tun hat, sondern in die "Dritte Säule gehört), sind diese Millionen völlig umsonst ausgegeben worden
- Andererseits wird durch Zuwarten nichts versäumt, es entwischt kein einziger Krimineller mehr, weil ja, wie eingangs geschildert, die Vorratsdatenspeicherung ohnehin noch nicht umgesetzt werden kann
- Außerdem gibt es starke Indizien für den Verdacht, dass die verdachtsunabhängige und flächendeckende Speicherung sämtlicher elektronischer Kommunikationsbeziehungen aller Bürgerinnen und Bürger gegen die Verfassung verstößt.
- Ist, was bei der Online-Durchsuchung klug ist (den Spruch des höchsten Gerichts abzuwarten) bei der Vorratsdatenspeicherung nicht umso mehr geboten - zumal dieses Gesetz nicht nur wenige Kriminelle, sondern uns alle betrifft?

Vielen Dank für Ihre Antwort,
es grüßt Sie ihre Wählerin
Maritta Strasser

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Strasser,

für Ihre Fragen danke ich Ihnen.

Ich verstehe Ihre Sorgen bezüglich des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und der Umsetzung der europäischen Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung. Meine Fraktion hat es sich nicht leicht gemacht. Der beschlossene Weg ist ein Kompromiss, den ich mittrage. Wir haben mit dem Gesetz einerseits im Auge behalten, dass der Staat für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen hat und fähig sein muss, seinen Schutzfunktionen nachzukommen. Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein müssen. Gestatten Sie mir bitte, diese Bemerkung voranzustellen und Ihre Fragen zusammenfassend zu beantworten.

Die vom Europäischen Parlament und EU-Ministerrat beschlossene Richtlinie 2006/24/EG macht den Mitgliedsstaaten Vorgaben, damit die Speicherung sogenannter Verkehrsdaten aus dem elektronischen Nachrichtenverkehr im wesentlichen einheitlich in der Gemeinschaft geregelt wird. Danach haben die Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen ohne besonderen Anlass, also „auf Vorrat“, für die Dauer von mindestens sechs Monaten unter anderen folgende Daten zu speichern: die Rufnummer des Anrufenden und des Angerufenen, den Beginn und das Ende der Verbindung mit Datum und Uhrzeit; bei Mobilfunkgeräten werden die Kennung des Endgerätes sowie der Standort gespeichert. Beim Telefonieren über das Internet soll das Internetprotokoll gespeichert werden. Daten, die Aufschluss über den Inhalt einer Kommunikation geben könnten, dürfen nicht auf Vorrat gespeichert werden. Ein wichtiger Inhalt des eingangs genannten Gesetzes ist die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht.

Dass die Harmonisierung der Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten nicht im Rahmen der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit („Dritte Säule“ EU-Vertrag) angestrebt wird, sondern durch eine Richtlinie, die sich auf Art. 95 EG-Vertrag (Funktionieren des Binnenmarktes) stützt, ist im Bundestag ausführlich und kritisch erörtert worden. Auch ohne verbindliche Richtlinie wäre eine solche Harmonisierung jedoch höchst wünschenswert.

Die besondere Bedeutung der Telekommunikationsverkehrsdaten für eine wirksame Strafverfolgung ist unbestritten. Zur Aufklärung von Straftaten mit komplexen Täterstrukturen, wie sie für den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität kennzeichnend sind, und von mittels Telekommunikation begangenen Straftaten, ist dieses Ermittlungsinstrument unverzichtbar.

Unter welchen Bedingungen Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf Telekommunikations-Verkehrsdaten erhalten, wird nicht durch die Brüsseler Richtlinie, sondern durch die nationale Gesetzgebung geregelt. Dies ist der zweite Kerngehalt des hier betrachteten Gesetzes. Im Mittelpunkt stehen mehrere Änderungen der Strafprozessordnung, die den rechtlichen Rahmen modifizieren, aber nicht massiv verändern. Die Balance zwischen Freiheitsrechten und Kriminalitätsbekämpfung bleibt meines Erachtens gewahrt.

Grundsätzlich können verdeckte Ermittlungsmaßnahmen nur durch einen Richter angeordnet werden. Bei besonderer Dringlichkeit kann auch die Staatsanwaltschaft eine Anordnung erlassen, die dann innerhalb von drei Werktagen von einem Richter bestätigt werden muss, ansonsten tritt sie außer Kraft. Die Anordnung verdeckter Ermittlungsmaßnahmen folgt der Verhältnismäßigkeit wegen einem Stufenmodell. Für eingriffsintensivere Maßnahmen gelten entsprechend auch höhere Anordnungsvoraussetzungen. Die Überlassung gespeicherter Verkehrsdaten oder die Erhebung von Verkehrsdaten in Echtzeit kann nur angeordnet werden, wenn eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung oder eine mittels Telekommunikation begangene Straftat vorliegt. Die Verhältnismäßigkeit der verdeckten Ermittlungsmaßnahme zur begangenen Straftat ist dabei im Einzelfall zu überprüfen, leichtere Kriminalität ist von der Verkehrsdatenerhebung ausgeschlossen. Die Anordnung darf außerdem nur ergehen, wenn andere zulässige Ermittlungsmöglichkeiten fehlen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg versprechen. Eher restriktiver geregelt als bisher sind die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung, also dem Abhören von Telefongesprächen oder der sonstigen Erfassung von Kommunikationsinhalten (§100a StPO). Neu aufgenommen in den hierfür geltenden Katalog wurden Straftaten besonders schwerer Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität. Das finde ich richtig.

Ich hoffe, sehr geehrte Frau Strasser, Ihre Bedenken gegen das beschlossene Gesetz mit diesen Erläuterungen wenigstens ein Stück gemildert zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Jörg-Otto Spiller