Frage an Jochen Partsch von Oliver H. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Partsch,
wir befinden uns mitten in der Reform unseres Sozialstaates. Die Parteien diskutieren über den richtigen Weg. Nur habe ich das Gefühl, dass alle Parteien den falschen Weg eingeschlagen haben. Denn die Parteien diskutieren darüber wie wir wieder zu mehr Wirtschaftswachstum kommen.
Ich glaube jedoch nicht, dass es unbegenztes Wachstum gibt. In unserer Natur ist nichts endlos. Eine Erkenntnis, die vor allem von den Grünen verbreitet wurde.
Unsere derzeitige Wachstumsschwäche ist meiner Meinung nach eine Folge dieses Naturgesetzes. Deshalb läßt sie sich nicht durch politische Maßnahmen beheben. Nicht durch neoliberale (Steuersenkungen, Marktderegulierung), noch durch linke (Investitionsprogramme, Stärkung der Kaufkraft) Wachstumspolitik.
Dementsprechend sollten die Parteien nach Wegen suchen von der Wachstumsabhängigkeit weg zu kommen. Die Sozialsysteme müssen auch in Wachstumsschwachen Zeiten genügend Einnahmen haben. Die Entstehung neuer Arbeitsplätze darf nicht vom Wachstum abhängig sein.
Nur leider denken die Parteien nicht so. Die Agenda 2010 wird damit begründet, dass sie Wachstum schaffen soll. Und von den Grünen hört man zu diesem Thema auch nichts mehr. Dabei hatte die Partei 25 Jahre Zeit sich Konzepte für einen konjunkturunabhängigen Sozialstaat auszudenken.
Meine Frage:
Wie stehen sie zu dieser Problematik? Setzen sie sich für Reformen ein, die nicht auf ständiges Wachstum zielen?
Freundliche Grüsse.
Oliver Hajunga
Sehr geehrter Herr Hajunga,
es gibt keinen wachstums- oder konjunkturunabhängigen Sozialstaat - es gibt aber die Notwendigkeit die sozialen Sicherungssysteme so zu gestalten, dass sie einerseits Armut vermeiden helfen, ein Leben in Würde ermöglichen, andererseits Zugänge zu Bildung und Arbeit offen halten.
Mit dem grünen Konzept einer Grundsicherung wollen wir diese Forderungen realisieren. Neben sozial- und arbeitsmarktpolitischen Zielen müssen wir uns selbstverständlich aber auch mit den ökonomischen und ökologischen Faktoren im Gesamtsystem auseinandersetzen. Und hier bleibt Ihre Frage doch etwas hinter dem Stand der Diskussion zurück.
Schon vor Jahren wurde in Abgrenzung zu vorherrschanden Wachstumsbegriffen von "qualitativem Wachstum" gesprochen, heute ist vor allem das Ziel der "Nachhaltigkeit" von strategischer Bedeutung. Wir wissen, dass Wirtschaftswachstum alleine keine Arbeitsplätze schafft. Grüne verstehen ökologische Politik heute also als eine Politik, die innovative, dynamische und nachhaltige Wirtschaftsentwicklunbg fördert. Kurz gesagt:
Wir brauchen Wachstum u.a. bei
- der ökologischen Landwirtschaft,
- den erneuerbaren Energieträgern,
- der Effizienzrevolution,
- der Sanierung und Erneuerung unserer Städte,
- bei Bildung und Betreuung,
- bei Gesundheitsvorsorge und Altenbetreuung,
- bei ökologisch verantwortbarer Mobilität.
Ohne Wachstum in diesen Bereichen werden keine neuen Arbeitsplätze entstehen.
Gerade wir Grünen sind andererseits die Garanten für das Ende des Wachstums u.a. bei der Atomenergie, der Gentechnik in Lebensmitteln oder des unsinnigen Straßenbaus.
Und dazu hört man von den Grünen nach wievor immer noch viel, wahrscheinlich sogar mehr und substantiierter! Zugegeben in etwas komplexerer Form als zu den grünen Gründerzeiten, vielleicht deshalb nicht mehr so eingängig - aber die Fragestellungen werden auch komplexer.
"Nur belehrt von der Wirklichkeit können wir sie verändern"
(So oder so ähnlich aus "Der Maßnahme" von Bert Brecht)
Mit besten Grüßen,
Jochen Partsch