Frage an Jochen Esser von Ulli Z. bezüglich Finanzen
Hallo, Herr Esser!
Respekt, daß Sie, als einer der Wenigen, sich sehr engagiert und sachkundig mit dem Folgen und vor allem den Ursachen des Berliner Bankenskandals auseinandergesetzt haben!
Ich weiß, wie nahezu hoffnungslos es ist, als einer der wenigen Aufrechten gegen eine Ignoranz aus der Trutzburg Namens Bankgesellschaft Berlin Informationen erhalten zu wollen, oder gar deren Gebaren Einhalt gebieten zu wollen.
Mittlerweile ist ja dieses unselige, zig- Milliarden vernichten habende Firmenkonglomerat von der Bank, die man gern verkaufen will, abgespalten und liegt wieder im Schoß des Landes Berlin.
Ähnlich wie Herrn Wowereit frage ich auch Sie - aus Sicht der Opposition - wie Sie gedenken, diesen Moloch namens BIH zu entflechten, zu verkaufen oder, wo das nicht gelingt zu sanieren.
Mit welchem Koalitionspartner denken Sie, könnte dies binnen absehbarer Zeit möglich sein? Könnte hier eine Schwampel (Jamaica-Koalition) oder die klassische Ampel helfen, bei der Sie, gemeinsam mit der FDP - zugegeben ein ungewöhnliches Bündnis - den großen Koalitionspartner in spe einfach nicht aus der Verantwortung lassen und dieses Erbe des Bankenskandals sehr zügig abarbeiten?
Oder fürchten Sie, weder CDU noch SPD (mit einem der beiden müßten Sie halt schon, wenn es in die erneute Regierungsverantwortung und damit zum gestaltenden Handeln kommen soll) sind überhaupt fähig, trotz erforderlicher rückhaltloser Aufklärungsarbeit auch in den eigenen Reihen eine Abarbeitung des Bankenskandals und eine anschließende Haushaltssanierung zu bewerkstelligen?
Sehen Sie die "Lösung" des Landes Berlin (also die von Rot-Rot), den ganzen Schamott auf Kredit durch das Land aufkaufen zu lassen, um dann weiterzuwursteln und neue Schulden bzw. neue Abzockmöglichkeiten zu Lasten der Landeskasse zu ermöglichen, als eher vorteilhaft oder eher nachteilhaft an?
Ich danke herzlich für Ihr bisheriges Engagement in der Sache und wünsche mir dies auch im kommenden Abgeordnetenhaus!
Werter Herr Zeidler,
zunächst möchte ich mich für das Lob bedanken, dass Sie meiner Arbeit in Sachen Bankenskandal und Risikoabschirmung zukommen lassen. Es tut gut, auf diese Weise mitzubekommen, dass es doch nicht unbemerkt bleibt, wenn ein Abgeordneter seinen Pflichten nachkommt und sich "richtig reinhängt". Ich glaube, das beanspruchen zu können, selbst wenn ich auch nicht immer alles richtig gemacht habe.
Vielleicht können wir deshalb an dieser Stelle auf den Blick zurück verzichten. Ich will mich daher sofort Ihrer Frage widmen, wie es mit der "Berliner Immobilien Holding" (BIH) in Zukunft weitergehen soll. SPD und PDS haben die vorhergehenden Entscheidungen leider getroffen und damit Tatsachen geschaffen, die den Handlungsspielraum immer enger werden lassen.
1. Der Vertrag, in dem das Land Berlin der Bankgesellschaft Gesellschaften des Immobiliendienstbleistungsbereichs abgekauft und in der BIH hat zusammengefasst hat, ist ein hoch komplexes und unübersichtliches Vertragswerk von rund 60 Seiten. Es ist nicht gelungen, den unter Risikoabschirmung stehenden Teil des Immobiliengeschäfts der Bank rasiermesserscharf von den Teilen des Immobiliengeschäfts der Bank zu trennen, für die keine Verlustgarantie des Landes besteht. An den Rändern gibt es eine unscharfe "Grauzone", die eine Fülle wechselseitiger Garantien und Freistellungen zu Folge hat. Die BIH selbst ist ein ebenso unübersichtliches Konglomerat aus Gesellschaften und Tochtergesellschaften, von denen nur ein Bruchteil dauerhaft für die traurige Abwicklung der Risikoabschirmung erforderlich sind. Insofern haben Sie mit der Bezeichnung "Moloch" völlig recht.
Sollten wir uns an einer neuen Regierung beteiligen, werde ich darauf dringen, dass die Gesellschaftsstruktur so rasch wie möglich vereinfacht und auf das Notwendige zurückgeführt wird. Nach Möglichkeit sollte anlässlich des Verkaufs der Bankgesellschaft Ende 2007 auch versucht werden, den Kaufvertrag neu zu verhandeln mit dem Ziel, das Vertragswerk zu entschlacken und alle Klauseln zu streichen, die durch den Fortgang der Abwicklung und Umorganisation des immobilemngeschäfts innerhalb der Bank und innerhalb der BIH obsolet geworden sind. Es wäre gut, wenn alle Beziehungen des Landes zu einem neuen privaten eigentümer definitiv gekappt wären.
2. Die von Ihnen angesprochene "Abfindungsaktion" gegenüber den Fondsanlegern hat für das Land und die Steuerzahler den Nachteil, dass sie nun auch noch jenen (kleinen) Teil des Risikos übernehmen, den die Fondsanleger bislang selbst zu tragen hatten. Auch ist das Abfindunbgsangebot eine Anerkenntnis der Fondsverträge, so dass allen Überlegungen der Boden entogen wurde, die Verträge mit den Anlegern als sittenwidrig und zumindest teilweise nichtig anzusehen. Schließlich ist es mehr als ein Schönheitsfehler, dass auch Anleger entschädigt werden, die am Ende vom Lied gar kein Rückgaberecht ihrer Einlage gehabt hätten. Diesen Personenkreis hätte man auf auf jeden Fall von dem Abfindungsangebot ausnehmen müssen.
Die Angebote sind inzwischen rechtswirksam. Zurücknehmen kann man sie nicht mehr. Ob in der Opposition oder an der Regierung bleibt uns nur übrig, genau darauf zu achten, dass der Effekt einer Schadensminderung durch Landesmehrheiten oder Sperrminoritäten in den Fonds auch eintritt. Für die wirklich interessante Frage, Fonds schließen und die Fondsobjekte abverkaufen zu können, sind allerdings je nach Lage Mehrheiten von 75 oder 90 Prozent oder gar Einstimmigkeit erforderlich. Von solchen Mehrheiten ist Herr Sarrazin mit seiner Ankaufsaktion bisher weit entfernt.
3. Welche Regierungskonstellation für eine schadensbegrenzende Abwicklung des Bankendesasters am Besten ist, lässt sich nur schwer beantworten. Meine Fraktionskollegen und ich haben uns häufig sehr allein gefühlt. Insofern muss man hier, glaube ich, von den realen Möglichkeiten ausgehen. Die Berliner CDU hat sich in der Opposition kaum erneuert und ist noch nicht wieder auf die Beine gekommen. Ihr Spitzenkandidat hat wenig Ahnung von den Berliner Details, wie seine Interviews immer wieder beweisen. Für all das wird die CDU bei der Wahl wohl die verdiente Quittung bekommen. Klaus Wowereit wird uns deshalb erhalten bleiben. Die offene Frage ist nur: Kann er mit der PDS weitermachen oder braucht er Bündnis 90/Die Grünen zum Regieren? Wir haben die Chance, Rot-Rot abzulösen und eine rot-grüne Koalition zu erzwingen. Herr Wowereit mag das vielleicht nicht so sehr, weil wir nicht so handzahm sind wie die PDS. Aber die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Jede Stimme zählt.
Was die von Ihnen erwähnte Ampel angeht, werden wir sinnvollerweise darüber entscheiden, wenn das Wahlergebnis diese Frage wirklich aufwirft. Für den Fall, dass Dreierkonstellationen erforderlich sind, ist es im Übrigen an der SPD und Herrn Wowereit zu Verhandlungen einzuladen. Fragen Sie ihn doch mal, ob er dann zu Gesprächen über die Ampel oder über Rot-Rot-Grün einlädt? Ich wüsste das auch gerne.
Die Antwort ist angesichts des komplizierten Themas etwas länger ausgefallen. Immerhin hoffe ich, Ihnen ein paar inhaltliche Hinweise gegeben zu haben, während sich der Regierenden Bürgermeister in seiner - zugegeben kürzeren - Antwort auf die formale Wiedergabe der von Senat und rot-roter Koalition getroffenen Entscheidungen und die unbewiesene Behauptung beschränkt hat, diese Entscheidungen seien schadensmindernd.
Mit freundlichen Grüßen
Jochen Esser