Frage an Jochen Borchert von jutta S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Entschuldigen Sie, wenn ich aus dem fernen Hamburg frage, aber es handelt sich um eine geamtdeutsche und europäische Frage :
Am 11.September wollten Zehntausende Europäer auch Tausende Deutsche in Brüssel eine Schweigeminute für die Opfer von 9/11 abhalten, dem EU-Parlament eine Petition übergeben und zugleich für den Erhalt europäischer Werte, gegen die Aufgabe von Teilen unserer Kultur - gegen die "schleichende Islamisierung Europas" demonstrieren. Die Demonstration wurde vom (Sozialistischen Bürgermeister, dessen Fraktion 14 Muslime angehören) verboten. Die Teilnehmer (ca.20 000) umfasste alle Religionen, die Demonstration war nicht politisch ausgerichtet, und alle haben sich deutlich gegen jeglichem linken oder rechten Extremismus ausgesprochen. Ausländische Politiker haben sich dafür oder dagegen ausgesprochen. Von deutschen Politikern hört man nichts. Deshalb die Frage:
"Was halten deutsche Abgeordnete vom Verbot einer Demonstration, die zugunsten des Erhalts europäischer Werte und gegen die Aufgabe von Teilen unserer Kultur stattgefunden hätte? Darf man in Europa noch seine Meinung offen kundtun? Werden deutsche Abgeordnete die Ereignisse in nationalen und europäischen Parlament thematisieren?
Keine deutsche Zeitung berichtet, aber BBC:
http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/europe/6970862.stm
oder Herald Tribune:
http://www.iht.com/articles/ap/2007/08/30/europe/EU-GEN-Belgium-Protest-Ban.php
oder :
http://www.brusselsjournal.com/node/2386/print
Mit freundlichem gruß
Jutta Starke
Sehr geehrte Frau Starke,
für Ihre Anfrage auf der Seite www.abgeordnetenwatch.de, in der Sie das Verbot einer Demonstration in Brüssel ansprechen, möchte ich mich zunächst recht herzlich bei Ihnen bedanken. Ich habe mich nunmehr über die von Ihnen ins Gespräch gebrachte Demonstration und das Verbot der selbigen informiert und möchte Ihnen in diesem Zusammenhang Folgendes mitteilen:
In Deutschland genießt die Meinungsfreiheit richtigerweise durch ihre Verankerung in Artikel 5 des Grundgesetzes einen sehr hohen Stellenwert. Das in der Verfassung festgeschriebene Grundrecht, seine Meinung frei äußern zu dürfen, wird vom Bundesverfassungsgericht als das "vornehmste Menschenrecht" bezeichnet. Es ist als eines der Kommunikationsgrundrechte für unser freiheitliches und demokratisches Gemeinwesen schlechthin konstituierend. Nur so kann die ständige geistige Auseinandersetzung, welche das Grundelement der demokratischen Staatsform bildet, ermöglicht werden.
Auch die in Artikel 8 des Grundgesetzes festgeschriebene Versammlungsfreiheit ist für deutsche Staatsbürger ein Recht mit Verfassungsrang und nur unter strengen Voraussetzungen einschränkbar. Die Durchführung einer Versammlung darf in Deutschland nur dann verboten werden, wenn sie nicht den Rechtmäßigkeitsanforderungen entspricht. Wird ein Demonstrationsverbot ausgesprochen (beispielsweise seitens des Berliner Polizeipräsidenten), besteht zum einen die Möglichkeit noch vorher die Rechtmäßigkeit des Verbotes im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes überprüfen zu lassen und zum zweiten kann im Nachhinein gerichtlich festgestellt werden, ob das Versammlungsverbot zu Recht ausgesprochen wurde. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Ausübung der Grundrechte nicht zu Unrecht eingeschränkt wird.
Das Vorgenannte gilt allerdings nur für in Deutschland stattfindende Versammlungen bzw. Demonstrationen. Die von Ihnen angesprochene Demonstration gegen die "schleichende Islamisierung Europas" sollte allerdings in Brüssel stattfinden. Da dies nicht das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland betrifft, sind unsere Gesetze auch nicht anwendbar. Allein das belgische Recht ist in diesem Fall ausschlaggebend. Nach seinen Voraussetzungen ist die Rechtmäßigkeit des Demonstrationsverbotes zu bemessen. Inwieweit diese gegeben sind oder nicht bzw. welche Gründe zu dem Verbot geführt haben, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Eine solche Entscheidung obliegt allein den belgischen Behörden, genauer in Brüssel dem dortigen Bürgermeister. Auch als Mitglied des Deutschen Bundestages ist es mir verwehrt, hiergegen vorzugehen. Das Subsidiaritätsprinzip (Vorrang der Verantwortlichkeit der "näheren" Behörde) schließt zudem eine Kommentierung dieser Entscheidung durch das Europäische Parlament aus, sodass dies erst Recht für das Parlament eines anderen Staates gelten muss.
Trotz der fehlenden Möglichkeit die Entscheidung über das Verbot der Demonstration zu prüfen, kann ich nur mit Nachdruck wiederholen, wie immanent wichtig in meinen Augen die Wahrung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in unserem demokratischen Staat ist.
Für das in mich gesetzte Vertrauen möchte ich mich recht herzlich bei Ihnen bedanken und verbleibe mit freundlichen Grüßen nach Hamburg
Jochen Borchert