Frage an Joachim Pfeiffer von Simon F. bezüglich Menschenrechte
Guten Tag Herr Pfeiffer,
mit Bedauern musste ich feststellen, dass Sie in der namentlichen Abstimmung zur "Aufnahme besonders schutzbedürftiger Geflüchteter aus den griechischen Lagern" gegen den Antrag gestimmt haben.
Wie ich konnten Sie wohl ebenfalls dem Entschließungsantrag (und den Medien) entnehmen, welche menschenunwürdigen Zustände auch und gerade für Kinder in den griechischen Lagern herrschen. Daher möchte ich Sie gerne an den Text der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erinnern, in dem dieselbe sich zu den allgemeinen und universellen (d.h. sie stehen ALLEN Menschen zu) Menschenrechten bekennt und gelobt, diese zu beschützen - in Auszügen:
In der Präambel:
"In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität."
Artikel 1, Würde des Menschen:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen."
Artikel 3, Recht auf Unversehrtheit:
"(1) Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit."
Artikel 6, Recht auf Freiheit und Sicherheit:
"Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit."
Und schließlich Artikel 24, Rechte des Kindes:
"(1) Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt."
https://www.europarl.europa.eu/germany/resource/static/files/europa_gru…
Da Sie außerdem Mitglied in der CDU sind, sind Ihnen vermutlich auch christliche Werte und Gebote kein Fremdwort, spontan fallen mir Nächstenliebe und Barmherzigkeit ein.
Zugegeben, indem ich mich auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union berufe und nicht auf das Grundgesetz, unterstelle ich Ihnen die Zustimmung zur EU und dem europäischen Gedanken, ansonsten bitte ich Sie, die entsprechenden Artikel des Grundgesetzes zu Rate zu ziehen, in denen die Grundrechte ebenfalls an erster Stelle verankert sind. Doch mit dem Wissen um Menschenrechte, geltendes EU-Recht (die Möglichkeit, auch nach Dublin III, die Verantwortung für in anderen Ländern gestellte Asylanträge zu übernehmen) und Ihre (angenommene) christliche Überzeugung bleibt aus meiner Sicht nur ein Schluss möglich:
Ihnen geht der Antrag nicht weit genug. Sie wollen statt der genannten 5.000 Menschen alle derzeit ca. 42.000 Menschen in den griechischen „Hotspots“ in Deutschland aufnehmen und bereiten einen entsprechenden Antrag vor.
Sollte mein Schluss richtig sein, danke ich Ihnen für Ihr entschlossenes Handeln im Sinne der Menschenrechte und der Christlichkeit. Sollte ich zu einem falschen Schluss gekommen sein, bitte ich um eine Erklärung, warum Sie gegen den Antrag gestimmt haben.
Mit freundlichen Grüßen
Simon Forstner
Sehr geehrter Herr Forstner,
in dem von Ihnen genannten Antrag "Humanitäres Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Asylsuchende aus Griechenland" fordert die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN insbesondere die Aufnahme von 5.000 besonders schutzbedürftigen Menschen aus den Hotspots der griechischen Ägäis-Inseln im Rahmen eines bundesweiten Relocation-Programms. Zusätzlich sollen die griechischen Behörden durch Entsendung von Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), hinsichtlich des Familiennachzugs, bei Einrichtung einer qualifizierten unabhängigen Rechtsberatung sowie finanziell und strukturell unterstützt werden.
In den Hotspots herrschen dramatische Zustände, das ist so richtig wie schlimm. Die in den Anträgen daraus gezogenen Schlussfolgerungen, das Hotspotprinzip aufzugeben und das EU-Türkei-Abkommen zu kündigen, sind jedoch abzulehnen, da sie kontraproduktiv sind und das Problem noch verschärfen würden. Durch den Abschluss des EU-Türkei-Abkommens wurde die Zahl der in Griechenland ankommenden Menschen wirksam reduziert sowie das Geschäft der Schleuser und Todesfälle in der Ägäis verhindert. Die Aufkündigung des Abkommens wäre das falsche Signal und würde die Zuzugszahlen wieder signifikant erhöhen.
Es ist zudem nicht die Aufgabe von Präsident Erdogan, darüber zu entscheiden, wer nach Europa kommen darf und wer nicht. Flüchtlinge zum Spielball zu machen, um Druck auf die EU auszuüben, ist inakzeptabel. Jetzt muss die EU zeigen, ob ihr Außengrenzschutz funktioniert. Wenn nicht, dann wird das Europa ohne Grenzen nach innen bald Geschichte sein. Und doch muss auch der Türkei geholfen werden. Sie hat rund 3,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen und erwartet einen weiteren Zustrom aufgrund der dramatischen humanitären Lage in Idlib.
Die Idee der Hotspots ist grundsätzlich gut, bedarf jedoch einer besseren Ausführung. Die bestehenden Defizite müssen angegangen werden. Insbesondere müssen die Verfahren zügig durchgeführt und vor Ort entsprechende Unterkünfte und Versorgung zur Verfügung gestellt werden. Hingegen würde eine kurzfristige einmalige Aufnahme einer bestimmten Anzahl von unbegleiteten minderjährigen Asylantragstellern das grundsätzliche Problem der Unterbringungssituation auf den griechischen Inseln und der langen Verfahren nicht lösen. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass dadurch Pull-Effekte ausgelöst und ein noch höherer Migrationsdruck auf Griechenland entstehen würde. Darüber hinaus würde ein Alleingang Deutschlands die Findung eines gemeinsamen europäischen Lösungsansatzes in der Migrationsfrage untergraben. Stattdessen muss weiterhin auf Hilfe vor Ort gesetzt und Griechenland insbesondere bei der Beschleunigung der Asylverfahren unterstützt werden. Deutschland leistet hier bereits administrative und logistische Unterstützung in großem Umfang (z.B. Lieferung von Hilfsgütern im Wert von 1,56 Mio. Euro im Dez. 2019, Vermittlung von Know-how durch BAMF-Mitarbeiter zur Identifizierung im Rahmen der Familienzusammenführung).
Mit keinem Wort wird zudem erwähnt, dass Deutschland in den vergangenen fünf Jahren allein ca. 1,79 Millionen Asylbewerber aufgenommen hat, von denen ein Großteil weiterhin hier lebt. Dass Deutschland damit seine humanitären Verpflichtungen auch im europäischen Vergleich (über-)erfüllt hat und die Städte und Gemeinden nach Auskunft der kommunalen Spitzenverbände noch viele Jahre benötigen, um diejenigen zu integrieren, die bereits im Land sind, wird vollständig ausgeblendet. Auch das pragmatische Vorgehen des Bundesinnenministeriums (BMI) in Form einer solidarischen ad hoc-Aufnahme von im Mittelmeer Aufgegriffenen sowie das Bemühen der Bundesregierung um einen ad hoc-Mechanismus, solange keine gemeinsame europäische Lösung gefunden ist, findet keine Erwähnung.
Um auch in Zukunft eine möglichst kohärente Politik im Bereich der humanitären Aufnahme zu gewährleisten und Nachteile für das Gemeinwesen in der Bundesrepublik insgesamt zu verhindern, ist die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen kommunale Aufnahme abzulehnen und an dem Erfordernis der BMI-Zustimmung festzuhalten. Angesichts der mit den bereits in Deutschland befindlichen und nach wie vor in erheblicher Zahl nach Deutschland gelangenden Migranten scheint auch die Zustimmung des BMI zu größeren Landesaufnahmeprogrammen derzeit nicht angezeigt. Dadurch erübrigen sich in der Folge die Forderungen nach einer besonderen nationalen bzw. europäischen finanziellen Unterstützung für derartige Aufnahmen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Pfeiffer MdB