Frage an Joachim Pfeiffer von Hannsjürgen S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Pfeiffer,
wie stehen Sie den von "unserem" Bundesinnenminister geforderten Maßnahmen zur "Terrorismusbekämpfung", wie zum Beispiel der Computer-Spionage und der Vorratsdatenspeicherung, gegenüber? Finden Sie diese gewaltigen Einschnitte in die Privatsphären der Bundesbürger notwendig, auch wenn die Gefahr, bei einem Terroranschlag ums Leben zu kommen, so groß ist wie die Wahrscheinlichkeit eines Sechsers im Lotto?
Mit freundlichen Grüßen
Hannsjürgen Schmidt
Sehr geehrter Herr Schmidt,
es tut mir Leid, dass sich die Beantwortung Ihrer Frage zur Terrorismusbekämpfung und Vorratsdatenspeicherung verzögert hat.
Der internationale Terrorismus hat sich mit den Anschlägen des 11. September 2001 zu einer weltweiten Bedrohung entwickelt. Das Ausmaß der Gewaltbereitschaft, die logistische Vernetzung und die langfristig angelegte und grenzüberschreitende Vorgehensweise der Täter haben die Gefährdung deutlich vor Augen geführt.
Die fehlgeschlagenen Attentate durch Kofferbomben auf zwei Regionalzüge im Juli des vergangenen Jahres sowie die Festnahme der drei Terrorverdächtigen vor wenigen Tagen zeigen deutlich, dass auch Deutschland mit einer neuen Qualität terroristischer Aktivitäten rechnen muss. Darauf weist auch der Verfassungsschutzbericht vom 15. Mai 2007 hin.
Das Internet bietet Terroristen ein gigantisches Forum, es ist Kommunikationsplattform, Werbeträger, Fernuniversität, Trainingscamp und think tank; deshalb ist es dringend notwendig, dass wir im nachrichtendienstlichen Bereich die Möglichkeit der so genannten Online-Durchsuchung haben. Das Bundeskriminalamt muss rasch in die Lage versetzt werden, angemessen und wirkungsvoll reagieren zu können. Ein unverzichtbares Instrument ist der verdeckte Zugriff auf Computer von Terroristen. Mit der Beschlagnahme des Computers einschließlich Festplatte ist es im Zeitalter der Hochtechnologie nicht mehr getan. Hochprofessionelle Täter verschlüsseln ihre Daten auf den Festplatten, so dass sie im Fall einer Beschlagnahme nichts wert sind. Mit Hilfe von Online-Durchsuchungen können die Daten vor der Verschlüsselung ausgelesen werden.
Niemand fordert die Einführung einer flächendeckenden Überwachung des Internets im Sinne einer Rasterfahndung. Es geht lediglich darum, ein weiteres Instrument zu schaffen, mit dem man – wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind – zusätzliche Erkenntnisse über einen Verdächtigen gewinnen kann, der bereits durch die Sicherheitsbehörden überwacht wird. Es handelt sich also um gezielte Maßnahmen gegen einzelne hochprofessionelle schwerkriminelle Terroristen. 99% aller Menschen in Deutschland werden davon nie betroffen sein.
Die Hürden für einen Eingriff des Staates in die durch die Verfassung geschützte Privatsphäre des Einzelnen werden sehr hoch gelegt.. So wird eine Online-Durchsuchung nur auf richterlicher Anordnung erfolgen.
Es ist deshalb nicht nur verantwortungslos, sondern völlig abwegig, wenn Ängste in der Bevölkerung vor flächendeckender Ausforschung ihrer Computer geschürt werden.
Im Übrigen wurde bereits in der vergangenen Wahlperiode unter Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) mit Online-Durchsuchungen begonnen – allerdings ohne verfassungsrechtlich tragfähige Rechtsgrundlage! Diesen Missstand müssen wir dringend beseitigen!
Zur Vorratsdatenspeicherung möchte ich folgendes erläutern: Die Bundesregierung hat der Richtlinie Nr. 2006/24/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, zugestimmt. Sie hat dies mit Unterstützung des Deutschen Bundestages getan. Der Deutsche Bundestag hat ausdrücklich darauf hingewiesen dass ein Zugriff auf Telekommunikationsverkehrsdaten insbesondere bei Straftaten mit komplexen Täterstrukturen, wie sie für den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität kennzeichnend sind, und bei mittels Telekommunikation begangenen Straftaten unverzichtbar ist.
Im Übrigen ist die Speicherung von Telekommunikationsdaten weder neu noch ungewöhnlich. Bisher waren Telekommunikationsgesellschaften ermächtigt, Daten zum Zweck der Abrechnung für maximal sechs Monate zu speichern. Neu ist nun, dass die Gesellschaften zum Zweck der Strafverfolgung verpflichtet werden, Daten für sechs Monate zu speichern.
Nach meiner Auffassung ist es gelungen in der Richtlinie Regelungen mit Augenmaß zu erreichen. So ist es der Bundesregierung gelungen, sehr viel weitergehende Wünsche zur Datenspeicherung auf europäischer Ebene abzuwehren
- Es werden nur die Daten gespeichert, die von Telekommunikationsunternehmen sowieso erhoben werden, um gegenüber ihren Kunden die Richtigkeit der Rechnung nachweisen zu können.
- Es wird nur gespeichert, wer wann mit wem gesprochen hat, die Inhalte der Gespräche dürfen nicht aufgezeichnet werden.
- Sämtliche Telefondaten dürfen nur ein halbes Jahr gespeichert werden.
- Der Katalog der Straftaten, die Anlass für eine Überwachung sein können, ist auf schwere Straftaten begrenzt und wurde modernisiert. Betroffene müssen grundsätzlich im nach hinein über Überwachungen unterrichtet werden.
Betroffene können die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nachträglich von einem Gericht überprüfen lassen.
Auch den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts trägt der Entwurf Rechnung. So wird der sogenannte Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gewährleistet. Das heißt konkret: Die Telefonüberwachung ist immer unzulässig, wenn zu erwarten ist, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus diesem privaten Lebensbereich erlangt werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Gespräch bei der Telefonseelsorge abgehört wird.
Damit wird dem Grundrechtsschutz bei heimlichen Telefonüberwachungen und Ermittlungsmaßnahmen hinreichend Rechnung getragen.
Ich stimme Ihnen zu, dass es in einer freiheitlichen Gesellschaft, die in eine globalisierte Welt eingebettet ist, eine völlige Sicherheit vor terroristischen Bedrohungen nicht geben kann. Das wäre das Ende jeder Freiheit. Ich möchte mir persönlich nach einem Terroranschlag in Deutschland als Politiker aber nicht den Vorwurf machen müssen, nicht alle Möglichkeiten – immer im Rahmen der Grenzen unserer Verfassung - ausgeschöpft zu haben, um den Bürgern durch den Staat ein Höchstmaß an Sicherheit zu geben. Das Risiko eines Anschlags ist nur dadurch zu verringern, dass man es potentiellen Tätern so schwer wie möglich macht, ihre Pläne umzusetzen. Die Online-Überwachung sowie die Vorratsdatenspeicherung können in meinen Augen sinnvolle Instrument sein, um dieses Ziel zu erreichen.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Joachim Pfeiffer