Frage an Joachim Pfeiffer von Matthias H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Pfeiffer,
wie gedenken Sie auf diese unverschämten Drohungen des amerikanischen Botschafters zu reagieren und konkret: Welche wirkungsvollen Maßnahmen sind geplant, um deutsche Unternehmen vor dieser Willkür "unserer Freunde" zu schützen?
Vielen Dank und Gruß, M. H.
Sehr geehrter Herr H.,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 14. Januar.
Die Kritik des amerikanischen Botschafters hinsichtlich des Baus von Nord Stream 2 kann ich nicht nachvollziehen.
Grundgedanke jedes europäischen Erdgasprojekts muss es sein, die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit der Energieversorgung ganz Europas zu verbessern. Daher verfolgt die EU seit Jahrzehnten richtigerweise das Ziel, ihre Gasversorgung zu diversifizieren, sowohl hinsichtlich der Quellen als auch hinsichtlich der Transportwege. Je mehr Gas auf den europäischen Markt gelangt, desto höher wird dessen Liquidität. Höhere Liquidität bedeutet mehr Wettbewerb. Mehr Wettbewerb führt zu sinkenden Preisen, von denen alle Verbraucher profitieren.
Dies möchte ich Ihnen anhand der Zahlen am europäischen Gasmarkt gerne erläutern:
Aktuell haben wir in Europa einen Gasbedarf von etwa 450 bis 500 Mrd. m³. Je nach Annahmen wird dieser in den nächsten Jahren um mindestens 50 Mrd. m³, eher jedoch 100 Mrd. m³ ansteigen. Das heißt, 2030 hätte Europa einen Gasbedarf von bis zu 600 Mrd. m³. Derzeit werden noch 20 Prozent des Bedarfes selbst gefördert.
Was die Infrastruktur betrifft, ist die Pipeline-Kapazität Europas beträchtlich und entspricht rund 400 Mrd. m³. Diese Pipelines führen nicht nur aus Russland durch Weißrussland oder über die Ukraine und Polen nach Deutschland, sondern auch etwa aus dem Kaukasus durch die Türkei, aus Nordafrika durch das Mittelmeer und aus Skandinavien durch die Nordsee.
Darüber hinaus verfügt Europa über substantielle Speicherkapazitäten. Dazu kommen noch LNG-Kapazitäten von aktuell 220 Mrd. m³. Wenn man die im Bau befindlichen Kapazitäten von 20 bis 30 Mrd. m³ dazu nimmt, entspricht dies 250 Mrd. m³, also etwa 50 Prozent des aktuellen Bedarfs.
Aufsummiert bedeutet das, dass über Eigenproduktion, Speicher, Pipelines und LNG über 200 Prozent des Gasbedarfs gedeckt sind. Durch Nord Stream 2 kommen 55 Mrd. m³, also 10 Prozent des europäischen Gasbedarfs, dazu. Das ist ein klarer Beweis dafür, dass die Versorgungssicherheit besser und nicht schlechter wird.
Ausgehend von dieser Grundregel zur Funktionsweise von Märkten wird deutlich, dass Nord Stream 2 nicht im Widerspruch zu den Zielen der europäischen Energieunion und des Energiebinnenmarktes steht. Im Gegenteil: Nord Stream 2 leistet einen Beitrag zur Diversifizierung der Transportrouten und erhöht damit die Liquidität, den Wettbewerb und die Versorgungssicherheit auf dem europäischen Energiemarkt.
Demensprechend ist es auch nicht die Aufgabe der EU, amerikanischen Unternehmen, die ihr (aus Fracking-Produktion stammendes) Erdgas in Europa vermarkten wollen, potentielle Wettbewerber vom Leibe zu halten. Amerikanisches Flüssiggas ist auf dem europäischen Gasmarkt willkommen, muss sich aber, wie alle anderen Energieträger auch, dem Wettbewerb stellen.
Meiner Meinung nach stärkt Nord Stream 2 also durchaus die Versorgungssicherheit und den Wettbewerb und dient damit den Zielen der europäischen Energieunion und des Energiebinnenmarkts.
Es gibt bislang auch keine Sanktionen gegenüber Unternehmen, welche am Projekt Nord Stream 2 beteiligt sind. Gleichwohl wird die extraterritoriale Wirkung von Sanktionen von einzelnen Staaten vermehrt auch als Instrument eingesetzt, um Investitions- und Handelsströme zum eigenen Nutzen umzulenken. Eine solche Außenwirtschaftspolitik lehnen wir als CDU/CSU entschieden ab. Es ist eine gemeinsame Aufgabe von Deutschland und der Europäischen Union hierauf adäquate und wirksame Antworten zu finden.
In diesem Sinne setzt sich Deutschland für offene Wirtschaftssysteme ein und bekennt sich in Freihandelsabkommen mit anderen Staaten zu den Prinzipien eines freien und regelbasierten Welthandels.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Pfeiffer