Frage an Joachim Pfeiffer von Sandra H. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Pfeiffer,
am 08. November hat Ihre Fraktion, neben anderen, den Antrag der Partei Die Linke abgelehnt, bei dem es darum ging, die Abschläge bei Renten wegen Erwerbsminderung für gegenwärtige Empfänger (m/w) wie für Neuzugänge abzuschaffen sowie die Zurechnungszeiten für Erwerbsminderungsrentner (m/w) in einem Schritt vom 62. auf das 65. Lebensjahr zu verlängern.
Als persönlich Betroffene möchte ich Ihnen regelrecht entgegenschreien: warum??
Nur weil der Antrag von den Linken gestellt wurde?
Die Verbesserungen, die am selben Tag für Erwerbsminderungsrentner (m/w) im Bundestag beschlossen wurden, gelten auch nur für Neuzugänge in diese Rentenform.
Als persönlich Betroffene (siehe oben) empfinde ich das als nicht fair.
Ich bin gespannt, ob mich Ihre Antwort überzeugt.
Mit freundlichen Grüßen aus dem Remstal
S. H.
Sehr geehrte Frau H.,
mit dem Gesetz über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz) hat der Deutsche Bundestag am 8. November 2018 zusammengefasst folgendes beschlossen: Wer wegen Krankheit oder Unfall vorzeitig Rente beantragen muss, wird künftig durch die neue Zurechnungszeit finanziell bessergestellt. Zukünftig wird diese Zurechnungszeit bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze ausgeweitet. Daher wird sie für Rentenzugänge im Jahr 2019 in einem Schritt auf das vollendete 65. Lebensjahr und acht Monate und von 2020 bis 2031 schrittweise auf das vollendete 67. Lebensjahr verlängert. Entsprechendes gilt für die Renten wegen Todes. Die Verlängerung wird auch auf die Alterssicherung der Landwirte übertragen.
Der von Ihnen zitierte Antrag der Fraktion DIE LINKE hatte eine ähnliche Zielrichtung, wurde aber abgelehnt, weil er hinter dem zurückblieb, was die Koalitionsfraktionen in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Die Erwerbsminderungsrente ist eine der wichtigsten sozialen Absicherungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung, auch wenn sie nicht immer den Lebensstandard sichern kann. Früher sah das Erwerbsminderungsrentenrecht so aus: Es wurde berechnet, welchen Rentenanspruch man hätte, wenn man bis zum 55. Lebensjahr gearbeitet hätte. Auf dieser Basis wurde die Erwerbsminderungsrente berechnet. Das war nicht sehr viel. Nach der Riester-Reform wurde mit 10,8 Prozent Abschlägen kalkuliert bei einer höheren Zurechnungszeit bis zum 60. Lebensjahr. Mit dieser neuen Zurechnungszeit wurde schon einmal ein Drittel der Abschläge kompensiert. In der vergangenen Legislaturperiode wurde diese Zurechnungszeit erneut verbessert bis zum 62. Lebensjahr und damit eine höhere Erwerbsminderungsrente ermöglicht. Mit dem jetzt beschlossenen Gesetz wurde die Zurechnungszeit in einem Schritt von 62 Jahren und 3 Monaten auf 65 Jahre und 8 Monate erhöht. Das bedeutet eine deutliche Verbesserung für die Erwerbsunfähigkeitsrentnerinnen und -rentner. Danach wird die Zurechnungszeit in weiteren Monatsschritten entsprechend der Anhebung der Regelaltersgrenze auf das Alter 67 angehoben. Das heißt mit anderen Worten: Nunmehr wird berechnet, welchen Rentenanspruch jemand, der beispielsweise schon mit 30 oder 40 Jahren in Erwerbsminderungsrente gehen musste, erworben hätte, wenn er tatsächlich bis 67 Jahre durchgearbeitet hätte. Wenn man die Reform der letzten Legislaturperiode und die aktuellen Neuregelungen zusammenfasst, wurden die Abschläge, die durch die Riester-Reform entstanden sind, deutlich überkompensiert.
Sie kritisieren nun, dass die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente nur für Neurentner gelten und wünschen sich die Übertragung auch für diejenigen, die wie Sie schon eine solche Rente beziehen.
Wir in der Union wissen, dass der Eintritt einer Erwerbsminderung stets ein besonderer Schicksalsschlag für die Betroffenen ist. Für die Erwerbstätigen fängt die Erwerbsminderungsrente zumindest ein Stück weit die Einkommenseinbußen auf, die damit verbunden sind, wenn man aus gesundheitlichen Gründen längerfristig gar nicht mehr oder nicht mehr voll arbeiten kann. In der Vergangenheit wurde wie oben beschrieben das zugrundeliegende Recht mehrfach verändert. Hier hat es nicht nur Kürzungen, sondern auch Verbesserungen gegeben.
Bei der Rentenberechnung spielt unter anderem die Zurechnungszeit eine wesentliche Rolle. Es ist zutreffend, dass von Verlängerungen der Zurechnungszeit zunächst nur diejenigen unmittelbar profitieren und auch in der Vergangenheit profitiert haben, die erst nach Inkrafttreten der jeweiligen Neuregelung in Rente gegangen sind bzw. noch zukünftig gehen werden.
Es ist auch für uns nachvollziehbar, dass diejenigen, die vorher, insbesondere vor 2014 in Rente gegangen sind, dies als unbefriedigend empfinden. Wir haben die Situation dieser Menschen mitbedacht, konnten jedoch dafür bisher noch keine Lösung finden. Denn im Rentenbestand finden sich sehr viele unterschiedliche Renten.
So wurden im Jahr 2001 zwar Abschläge in der Rente eingeführt, im Gegenzug dafür aber die Zurechnungszeit weiter verlängert. Daher finden sich im Rentenbestand Menschen, die mit oder ohne Abschläge in Rente gegangen sind. Weiterhin gibt es Bezieher von Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten nach altem Recht. Ferner finden sich dort Bezieher von vollen oder teilweisen Erwerbsminderungsrenten nach neuerem Recht, die auf Zeit oder längerfristig gewährt wurden oder werden. Es ist schwierig, die einzelnen Fallgestaltungen und deren Auswirkungen auf die aktuelle Rentenhöhe herauszuarbeiten, so dass sich keine universelle Lösung anbietet.
Deshalb ist es in vielen Rechtsgebieten und so auch im Rentenrecht üblich, dass Neuregelungen ab einem Stichtag nur für die Zukunft und auch nur für neue Fälle gelten. Damit werden umfangreiche Neuberechnungen vermieden.
Daher kann eine unmittelbare Übertragung der Neuregelung auf den Rentenbestand zurzeit nicht versprochen werden. Ich darf Ihnen aber versichern, dass wir die Lage der derzeitigen Erwerbsminderungsrentner durchaus auch in den Blick nehmen. Sie profitieren von den Verbesserungen bei den Kindererziehungszeiten ebenso wie von den zuletzt außergewöhnlich guten Rentenanpassungen, mit denen sichergestellt ist, dass die Rentner auch von der guten Lohnentwicklung profitiert haben.
Nach den Plänen der Union soll sich außerdem alsbald eine Kommission mit allen Zukunftsfragen der Rente befassen, dabei wollen wir auch die Erwerbsminderungsrenten nochmals in den Blick nehmen und prüfen, was hier möglich erscheint.
Ich hoffe, meine Ausführungen zeigen, dass wir hier am Ball bleiben wollen, eine Lösung aber auch nicht einfach ist.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Pfeiffer MdB