Frage an Joachim Pfeiffer von Martin K. bezüglich Wirtschaft
Guten Tag Herr Pfeiffer,
ich habe heute, 21.4.16, in der ARD das Magazin "Kontraste" gesehen. In einem Beitrag ging es u.a. um die VW-Abgasaffäre und den Siemens-Bestechungsskandal und über die rechtlichen Möglichkeiten in Deutschland dies zu ahnden. In Deutschland können Unternehmen diesbezüglich nur nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht belangt werden, also ähnlich dem Falschparker nur mit einem Bussgeld, das zudem bei 10 Millionen Euro gedeckelt ist.
Sie wurden in diesem Beitrag interviewt und haben das gleiche Argument wie ein Vertreter des deutschen Industrie- und Handelskammertages gegen die Einführung eines Unternehmensstrafrecht angeführt: In Deutschland können Unternehmen schon sanktioniert werden und man solle die Wirtschaft nicht unter Generalverdacht stellen. Zudem wäre ein Unternehmensstrafrecht nicht zielführend.
Hierzu meine Fragen:
1. Was wäre Ihrer Meinung nach zielführend?
2. Was ist überhaupt das/Ihr Ziel?
3. Der Chef der Staatsanwaltschaft Berlin gab im gleichen Bericht zu, dass Vergehen von Unternehmen selten verfolgt werden, weil die Staatsanwaltschaft dazu nicht verpflichtet ist (Ordnungswidrigkeitenrecht) und auf Grund von Personalmangel lieber andere Vergehen verfolgt, bei denen eine Verfolgungspflicht besteht. Wie begründen Sie Ihre Haltung zu einem Unternehmensstrafrecht, bei dem die Verfolgung von Vergehen von Unternehmen zwingend wäre, in Anbetracht dieser Realität?
4. Wie kommen Sie auf die Idee, dass durch ein Unternehmensstrafrecht die Wirtschaft unter Generalverdacht gestellt wird? Nur weil Mord unter Strafe gestellt ist, wird ja auch nicht jeder Bürger des Mordes verdächtigt.
Vielen Dank für die schnelle Beantwortung meiner Fragen.
Martin Körner
Sehr geehrter Herr Körner,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 21.04.2016, die ich gerne beantworte. Vorweg aber noch einige Bemerkungen zum Kontraste-Beitrag: Wenn man interviewt wird hat man nicht unbedingt auch Einfluss darauf, was später dann tatsächlich gesendet wird. Es ist aus meiner Sicht doch schon bezeichnend, welchen Raum die Befürworter eines Unternehmensstrafrechts bekommen und welchen Umfang meinem Beitrag eingeräumt wurde. Tatsächlich habe ich zu dem Thema natürlich deutlich mehr gesagt als im Beitrag letztendlich wiedergegeben wurde. Ein Schelm wer Böses dabei denkt...
Gehen wir in medias res: In Europa kennen viele Länder eine „Unternehmensstrafbarkeit“ im Sinne eines eigenständigen, gesetzlichen Sanktionswerkes. Eine begriffliche und differenzierende Kategorisierung des Begriffes "Sanktion", wie sie dem deutschen Recht mit der Unterscheidung zwischen „Kriminalstrafe“ und (der hier einschlägigen) „ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktion“ eigen ist, existiert in diesem Maße in anderen europäischen Staaten allerdings nicht. Vielmehr lässt der internationale Vergleich zum Teil einen ziemlich unsystematischen, fast schon umgangssprachlichen Umgang mit dem Begriff der Strafe im Hinblick auf die Sanktionierung von Unternehmensvergehen erkennen. Wie beispielsweise der Blick auf das österreichische Verbandsverantwortlichkeitsgesetz zeigt, steht die Wirkung einer Sanktion auf das Unternehmen und nicht deren Titulierung als "Kriminalstrafe" im Vordergrund. Daher kann aus einem internationalen Vergleich - wie im Beitrag erwähnt - mithin kein Argument für die Notwendigkeit eines deutschen „Verbands- oder Unternehmsstrafgesetzbuches“ gezogen werden, da das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht mit der Verbandsgeldbuße gem. § 30 OWiG ja schließlich eine Sanktionsmöglichkeit vorsieht.
Die Verhängung einer "Kriminalstrafe" im Rahmen eines Unternehmensstrafrechts widerspräche dem in Deutschland in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Schuldprinzip „nulla poena sine culpa“. Dieser Grundsatz besagt, dass eine Strafe nur für schuldhaft vorwerfbares Verhalten erfolgen kann. Ein reines Fehlverhalten reicht dabei nicht aus, es muss auch schuldhaft erfolgt sein und das Fehlverhalten muss vorwerfbar sein, dazu gehören zum Beispiel Schuldfähigkeit, Vorsatz beziehungsweise Fahrlässigkeit sowie ein Unrechtsbewusstsein. Eben diese persönliche Vorwerfbarkeit ist im Falle von juristischen Personen, also Unternehmen, ausgeschlossen, es gilt der Grundsatz „societas delinquere non potest“. Lediglich die natürlichen Personen, die für die juristische Person tätig werden, können sich eines vorwerfbaren Verhaltens schuldig machen. Ein Unternehmensstrafrecht würde demnach die Abkehr von diesem grundgesetzlich geregelten Prinzip bedeuten. Ich weiß nicht, ob Sie das wollen; ich will es jedenfalls nicht!
Das Schuldprinzip ist Grundlage für
* die Strafbegründung: Eine Strafe darf nur verhängt werden, wenn dem Täter seine Tat persönlich zum Vorwurf gemacht werden kann.
* das Strafmaß: Einzige Grundlage für das Strafmaß ist die Schuld des Täters, wobei die voraussichtlichen Strafwirkungen zu berücksichtigen sind.
* die Schuld-Unrechts-Kongruenz: Die Schuld muss alle Elemente des verübten Unrechts umfassen.
Aus meiner Sicht ist das jetzige Sanktionssystem grundsätzlich zielführend. Leider ist in dem populistischen Beitrag von Kontraste untergegangen, dass bei einem Verfahren gegen ein Unternehmen neben der Zahlung eines Bußgeldes auch eine Gewinnabschöpfung angeordnet werden kann. Denn es ist doch selbstverständlich, dass ein Unternehmen einen illegal erworbenen Gewinn nicht mit einen Bußgeld legalisieren kann. Es muss diesen Gewinn abgeben und es muss ein Bußgeld zahlen. In dem von Ihnen angesprochenen Siemens-Bestechungsfall musste der Konzern beispielsweise insgesamt 395 Million Euro bezahlen. Das Ziel, unrechtmäßige Gewinne zu entziehen und Fehlverhalten von juristischen Personen zusätzlich zu sanktionieren, funktioniert aus meiner Sicht im Rahmen der deutschen Rechtsordnung recht gut. Man könnte ggf. darüber nachdenken, die Bußgeldhöhe weiter zu erhöhen.
Im Hinblick auf die Aussagen des Berliner Staatsanwalts möchte ich zu bedenken geben, dass die Staatsanwaltschaft zwar nicht verpflichtet ist, eine Ordnungswidrigkeit zu verfolgen. In solchen Fällen liegt aber in der Regel ein persönliches, oft strafrechtlich relevantes Fehlverhalten bei einem oder mehreren Mitarbeitern vor; und dieses muss zweifellos strafrechtlich verfolgt werden. Bei Betrug (§ 263 StGB) als Offizialdelikt muss die Staatsanwaltschaft beispielsweise selbständig tätig werden. Inwieweit allerdings ein Interesse besteht, das Fehlverhalten der Verantwortlichen zu verfolgen und deren Schuld zu ermitteln, obliegt allein der Staatsanwaltschaft. Wir als Legislative können hierbei keine Vorgaben machen und wir wollen dies auch nicht.
In dem besagten Interview für Kontraste habe ich unter anderem die Beweggründe für eine Forderung nach einem Unternehmensstrafrecht einzeln aufgeschlüsselt. In dem eingespielten Satz beschreibe ich meinen Eindruck, dass die Forderung nach einem Unternehmensstrafrecht nur aufkommt, um die Wirtschaft insgesamt an den Pranger zu stellen oder zu kriminalisieren. Und wissen Sie was: Genau das erlebe ich immer wieder. Denn was würde wohl passieren, wenn in bestimmten Branchen Strafverfahren gegen einzelne Unternehmen geführt würden: Es würde generalisiert und die ganze Branche würde es abbekommen. Das haben wir doch gerade im Bankensektor erlebt. Dabei würden auch völlig unbescholtene Unternehmen in den Fokus der Kritik geraten und darunter leiden müssen. Dies will ich nicht!
Gerne höre ich hierzu Ihre Bewertung und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Joachim Pfeiffer