Frage an Joachim Pfeiffer von Joachim F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Mit Ihrer Antwort zur Frage nach Volksentscheiden haben Sie Ihren Standpunkt klar zu erkennen gegeben, wenn das Volk den Euro oder die Diktate aus Brüssel nicht will, dann darf es das nicht selbst entscheiden, weil Sie und Ihre Kollegen im Bundestag das besser wissen.
Diese Meinung könnte man ja noch gelten lassen, aber in Fernsehsendung war zu sehen, dass Abgeordnete meist durch Abwesenheit glänzen und dass eine Handvoll ein Gesetz beschloss, dass vielen Deutschen zum Nachteil gereicht hätte, wenn es nicht im Bundesrat gescheitert wäre. In einer anderen Sendung wurden Abgeordnete zu einer Abstimmung über die Euro-Rettung befragt. Nur einer wusste, dass es dabei um den unvorstellbar großen Betrag von 211 Milliarden Euro ging.
Und dann gibt es auch noch den Fraktionszwang. Nicht die Abgeordneten entscheiden, sondern die Partei, genauer gesagt, die Parteiführung.
Meinen Sie wirklich, dass das alles richtig ist?
Sehr geehrter Herr Freimuth,
die Gründe für meine ablehnende Haltung zum Thema Volksentscheide auf Bundesebene habe ich in meiner Antwort an Herrn H. vom 02.09.2013 ausführlich erläutert. Aus der Abwesenheit von Abgeordneten bei Abstimmungen im Plenum des Bundestages auf ihre Unkenntnis zu schließen, ist allerdings ein Irrglaube:
Die Führungen der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen haben zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit vereinbart, dass bei Abstimmungen über Gesetze und Anträge nur diejenigen Abgeordneten im Plenarsaal anwesend sein müssen, in deren Federführung der jeweilige Tagesordnungspunkt liegt. Soll z.B. über die 8. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen abgestimmt werden, wie in dieser Legislaturperiode geschehen, so ist vereinbart, dass nur die Abgeordneten des hier federführenden Ausschusses für Wirtschaft und Technologie an der Abstimmung teilnehmen. Den übrigen Abgeordneten steht diese Zeit dann für andere Termine zur Verfügung, etwa für Berichterstattergespräche über andere Gesetzesvorhaben, für die interne Abstimmung von Anträgen, Gespräche mit ausländischen Delegationen oder mit Verbänden usw. An diese Absprache halten sich in der Regel alle Fraktionen – im eigenen Interesse, denn die Erledigung dieser Aufgaben ist genauso wichtig und der Tag hat nun einmal nur 24 Stunden. Fehlende Anwesenheit im Plenum ist also keinesfalls mit Untätigkeit gleichzusetzen, sondern mit effektiver Zeitnutzung für das gesamte Tätigkeitsspektrum eines Abgeordneten. Nur bei Themen von grundsätzlicher Bedeutung, wenn die Kanzlermehrheit benötigt wird und/oder eine oder mehrere Fraktionen eine namentliche Abstimmung beantragt haben, werden alle Abgeordneten ins Plenum zitiert.
Mit dem Begriff „Fraktionszwang“ bin ich nicht einverstanden. Treffender ist das Wort „Fraktionssolidarität“, denn jede Partei bzw. Fraktion muss sich, um ihre Interessen durchsetzen zu können, auf ihre Abgeordneten verlassen können. Der Wähler erwartet für seine Wahlentscheidung ein klares Profil der Partei, das nur durch ein im Wesentlichen einheitliches Abstimmungsverhalten erreicht werden kann. Sollten sich Abgeordnete aber nicht an das (in der Regel durch einen innerparteilichen demokratischen Prozess verabschiedete) Programm ihrer Partei (oder bei Koalitionsregierungen http://de.wikipedia.org/wiki/Koalition_(Politik) nicht an das Koalitionsprogramm) halten, so treten verabredete Gesetze u.U. nicht in Kraft. Außerdem ist es für die Abgeordneten aus Zeitgründen nicht möglich, in sämtlichen Fachgebieten die nötige Sachkenntnis selbst zu erwerben. Es ist daher unabdingbar, die Zuständigkeiten aufzuteilen, sich an den Meinungen der entsprechenden Fachkollegen zu orientieren und sich auf deren Urteil zu verlassen. So kann etwa ein Abgeordneter in Teilbereichen die Fraktionsmeinung maßgeblich prägen, während er sich in anderen Teilbereichen auf die Expertise seiner Fraktionskollegen verlässt. Ohne Fraktionssolidarität wäre diese Arbeitsteilung – und damit der Erhalt der Arbeitsfähigkeit – einer Fraktion erheblich eingeschränkt.
Grundsätzlich gilt: immer die Gesamtfraktion entscheidet über Gesetzesvorhaben und nicht die Parteiführung. Deshalb an dieser Stelle ein klares Ja: ich meine wirklich, dass das so richtig ist. Sie können mich gerne einmal eine Woche lang in Berlin begleiten - von morgens ab 07:00 Uhr bis Mitternacht, von Montag bis Freitag -, damit Sie sich ein Bild machen können über die Arbeit eines Abgeordneten im Deutschen Bundestag.
Übrigens haben Fernsehjournalisten auch mich befragt zu den Rettungsschirmen; ich habe die Fragen umfassend und korrekt beantwortet. Ob mein Statement allerdings gesendet wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Womöglich hat es nicht ins skandalisierende negative Sendekonzept gepasst?
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Pfeiffer MdB