Frage an Joachim Pfeiffer von Erich N. bezüglich Staat und Verwaltung
Sehr geehrter Herr Doktor Pfeiffer,
gerne hätte ich gewusst, wie lautet eigentlich Ihre Meinung zu der aufkommenden Diskussion (wie in jedem Jahr meistens) bezüglich mehr Volksabstimmung? Beispielsweise soll der Bundespräsident direkt gewählt werden. Auch die Schwesterpartei der CDU, die CSU spricht sich in der aktuellen Wahlwerbung für mehr Plebiszit aus.
Freundliche Grüße
Erich Nolte
Winnenden
Sehr geehrter Herr Nolte,
ich habe grundsätzliche Bedenken gegen eine Volksgesetzgebung auf Bundesebene und begründe Ihnen gerne ganz ausführlich, warum:
Beim Thema Bürgerbeteiligung auch bei Sachfragen geht es um eine Grundsatzfrage. Es gibt zwei mögliche Modelle der Gesetzgebung in einer Demokratie: die repräsentative und die direkte Demokratie. Zu beiden Modellen gibt es unterschiedliche Argumente, die ich im Folgenden erläutern will:
I. Die repräsentative Demokratie
Wir haben in Deutschland eine repräsentative Demokratie, also eine Form der Organisation von politischen Entscheidungsfindungsverfahren, bei der jede politische Frage - mit Ausnahme der Zusammensetzung des Parlamentes - mittelbar durch die so genannten Volksvertreter getroffen wird. Das bedeutet vereinfacht gesagt: Die vom Volk gewählten Bundestagsabgeordneten sind beauftragt, die Probleme in Deutschland zu lösen. Wenn sie das nicht tun oder nicht können, werden sie nicht wieder gewählt.
Argumente dafür:
- Die historische Entwicklung der bundesdeutschen Verfassungstradition erklärt den Erfolg der repräsentativ-parlamentarischen Staatsform. Er beruht darauf, dass die Politiker verantwortlich handeln und nicht ihre Entscheidungskompetenz in Krisenzeiten an das Volk delegieren.
- Die repräsentative Form der Demokratie bietet den Vorteil, dass die Entscheidungsfindung schneller und preisgünstiger vollzogen wird. Wahlkämpfe und die Kosten für die Abstimmung und Auszählung nehmen viel Zeit und Geld in Anspruch.
- Die Repräsentanten können sich voll auf ihre politische Arbeit konzentrieren, der politische Entscheidungsprozess wird auf diese Weise professionalisiert. Für komplexe Sachverhalte wie Einzelfragen zur Steuer- und Sozialgesetzgebung kann Expertenwissen genutzt werden, über das der durchschnittliche Bürger nicht verfügt.
- Die repräsentative Demokratie ist ein lernendes Verfahren, während die direkte Demokratie die politische Fragestellung auf Ja-Nein-Alternativen reduziert. Sie besitzt ein hohes Maß an politischer Entscheidungsfähigkeit.
- Repräsentative Systeme besitzen ebenso ein hohes Maß an politischer Stabilität. Sie sind weniger anfällig für kurzzeitige Einflüsse durch Demagogie und Populismus und des "Volkszorns". Als Beleg dafür kann angeführt werden, dass kurz nach ausnehmend grausamen Mordfällen die Zustimmung zur Todesstrafe bei Umfragen rapide zunimmt.
Argumente dagegen:
- Indirekte Demokratie, zu der die repräsentative Demokratie zuzählen, ist konzentriert Macht in den Händen weniger, was die Wahrscheinlichkeit von Korruption in der Regierung erhöht.
- Kritiker führen als Nachteil der repräsentativen Demokratie in Form von parlamentarischen Regierungssystemen (sofern sie auf einem Verhältniswahlrecht beruht) auch den Fraktionszwang auf. Die Regierung kann mit Neuwahlen drohen oder abweichendes Verhalten mit aussichtslosen Listenplätzen bestraft werden. Diese Mechanismen begrenzen das freie Mandat des Abgeordneten.
- Die Gegner einer Demokratie durch Repräsentation beklagen ferner die mangelnde Einflussnahme durch den Stimmbürger, der keinen direkten Einfluss auf Sachthemen nehmen kann, und die Gefahr, dass die Volksvertreter ihrerseits zu sehr von den Auffassungen der normalen Leute entfernt lebten.
- Zudem fürchten sie, repräsentative Systeme könnten leichter von Einzelinteressen (Lobby) beeinflusst werden, da es einfacher und billiger ist, eine vergleichsweise überschaubare Gruppe Abgeordneter zu überzeugen als Millionen von Stimmberechtigten. Die politischen Affären zu Parteispenden der letzten Jahre in Deutschland (Flick-Affäre, Schwarzgeldaffäre) werden hier als Beispiel angeführt.
II. Die direkte Demokratie
In der Schweiz beispielsweise gilt das Modell der direkten Demokratie. Unter diesem Modell werden politische Entscheidungsverfahren und Formen der Bürgerbeteiligung subsumiert, bei denen in der Regel ausgewählte politische Themenbereiche direkt durch Volksabstimmungen entschieden werden können. In der Praxis sieht direkte Demokratie in der Regel abgestufte Verfahrensformen über Bürger- oder Volksbegehren bis hin zum eigentlichen Volksentscheid vor.
Argumente dafür:
- Die Wähler des Wahlverlierers müssen sich nicht für eine ganze Legislaturperiode unvertreten fühlen.
- Die Gründe für politische Entscheidungen müssen dem Bürger vermittelt werden, was zu einer höheren Zufriedenheit und einer höheren Beteiligung der Bürger führt.
- Die Befürworter direktdemokratischer Elemente betonen, dass politische Parteien in einer direkten Demokratie gewöhnlich weniger Macht haben als in einer repräsentativen Demokratie. Volksentscheide bei Sachfragen laufen weder zeitlich noch thematisch unbedingt parallel zu den Wahlen der Repräsentativorgane.
- Die Bestechung führender Vertreter oder die Ausnutzung von persönlichen Beziehungen ist bei der direkten Demokratie wenig wirksam, da unplausible Entscheidungen vom Volk einfach aufgehoben werden können.
- Die Auswirkungen der 5%-Hürde auf die Regierungsbildung werden unwichtiger.
- Die gegenseitigen Blockademöglichkeiten von Bundestag und Bundesrat wären wegen der Möglichkeit von Volksentscheiden eingeschränkt.
Argumente dagegen:
- Gegen die direkte Demokratie spricht, dass sie in der Entscheidungsfindung langsamer und teurer ist als die repräsentative Demokratie, da es mit dem Volksentscheid mindestens einen zusätzlichen Schritt in der Gesetzgebung gibt.
- Sachplebiszitäre Entscheidungsverfahren sind keine geeigneten Instrumentarien, um den demokratischen Verfassungsstaat effizienter zu gestalten. Die Frage nach der Verantwortlichkeit stellt sich nicht mehr. Wie soll das Volk sich selbst zur Verantwortung ziehen?
- Ein weiterer Nachteil ist die Abhängigkeit von den Medien. Erwiesenermaßen können die Medien die Bevölkerungsmeinung stark und schnell beeinflussen, wenn sie ein aktuelles Thema in Form einer Kampagne ausführlich bearbeiten. In einer direkten Demokratie liegt die Macht deshalb zum großen Teil bei den Medien, die allerdings oft nicht nur das Wohl der Bevölkerung im Auge haben.
- Direkte Demokratie bewirkt automatisch eine Abwertung des Parlaments und kann Populismus und Polemiken fördern. Sie schwächt die politischen Parteien und stärkt Interessengruppen und Spezialinteressen aller Art.
- Das starke außenpolitische Gewicht Deutschlands erfordert Berechenbarkeit, Handlungsfähigkeit und klare Verantwortlichkeiten. Volksabstimmungen auf Bundesebene stehen dem entgegen.
- Zudem haben die Bürger oft nicht den nötigen Sachverstand und die nötige emotionale Neutralität, um komplexe politische Probleme zu bewältigen. "Die Bevölkerung ist zu groß und die Probleme sind zu komplex." (Richard von Weizsäcker). Das ist oft an der Wahlbeteiligung abzulesen, die bei den Schweizern zum Beispiel immer beklagenswert niedrig ist. Die Wahlbeteiligung in Deutschland bei der Europawahl im vergangenen Juni, die nicht hoch war, war noch viel höher als die Abstimmungsbeteiligung in der Schweiz.
Meine Meinung ist, dass man für oder gegen das eine oder andere Modell diskutieren kann, jedoch nicht beide Modelle vermischen darf. Es muss klare Zuständigkeiten geben, sonst bekommen wir ein Problem der Legitimation. Man kann nicht bei schwierigen Entscheidungen einen Volksentscheid fordern und die "einfachen" Fragen durch den Bundestag regeln lassen. Das muss einheitlich geschehen.
Grundlegende Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik, wie die Aufstellung der Bundeswehr, Beitritt zur NATO, die Einführung des Euros, eventuell auch die Wiedervereinigung, wären wahrscheinlich nicht getroffen worden. Oft müssen Entscheidungen gegen die tagespolitische Stimmungslage der Allgemeinheit getroffen werden, um Deutschland für die Zukunft fit zu machen. Dafür hat der Bürger die Möglichkeit eine Person und eine Partei auszuwählen, der er diese wichtige Aufgabe am ehesten zutraut. Dieses System auf Grundlage des Grundgesetztes hat sich in der 50 jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Davon grundsätzlich abzukehren halte ich nicht für den richtigen Weg, das bürgerliche Engagement zu stärken.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen nahe bringen, weshalb ich gegen eine Volksgesetzgebung auf Bundesebene bin. Ich würde mich freuen, mit Ihnen in einen konstruktiven inhaltlichen Diskurs einzusteigen. Vielleicht sehe ich Sie auf einer der kommenden Veranstaltungen im Wahlkreis, an denen ich teilnehme. Die Termine können Sie meiner Homepage http://www.joachim-pfeiffer.info entnehmen. Gerne können Sie in der CDU auch eine objektive Mitarbeit leisten, denn die Politik lebt vom Mitmachen; ganz nach meinem Motto: Wenn man Politik anderen überlässt, wird sie anders gemacht.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Pfeiffer MdB