Frage an Jerzy Montag von Marian M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Montag,
wie vor kurzem in den Medien zu lesen war hat sich Herr Dr. Schäuble äußerst kritisch, wenn nicht gar herablassend gegenüber den Richtern und Entschlüssen des Bundesverfassungsgericht geäußert.
So sagt er zum Beispiel "Wer Gesetze gestalten will, sollte sich bemühen, Mitglied des Deutschen Bundestages zu werden" (Quelle: Spiegel online; http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,612560,00.html), jedoch verkennt er dabei die dem Verfassungsgericht durch die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und das Prinzip der Gewaltenteilung zugebilligte Entscheidungskompetenz.
Ist es nicht gerade die Pflicht dieses Gerichts, Entscheidungen des Gesetzgebers auf Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen und im Zweifelsfalle einzuschreiten?
Die Kritik von Herrn Dr. Schäuble offenbart ein grobes Missverständnis dieses Zusammenhangs und lässt die Vermutung zu, dass wissentlich Gesetze verabschiedet werden, die im Nachhinein aus offensichtlichen Gründen als nicht verfassungskonform eingestuft werden. Dieses Verhalten ist für einen Bundestagsabgeordneten und -minister völlig inakzeptabel. Wie bewerten Sie als unser Abgeordneter dieses Verhalten, würden Sie Herrn Schäuble als Rechtsexperte gar zustimmen?
Mit freundlichen Grüßen
Simon Lanzmich und Marian M. Misch
Sehr geehrte Frau Misch, sehr geehrter Herr Lanzmich,
Vielen Dank für Ihre Fragen.
Mit seiner Äußerung zeigt Bundesinnenminister Schäuble wieder einmal sein eigenwilliges Verfassungsverständnis. Er sieht in dem Bundesverfassungsgericht wohl eher ein Hindernis für seine ausufernden Sicherheitsgesetze, als den Hüter des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat das Verwerfungsmonopol für verfassungswidrige Gesetze und das ist auch gut so. Gegenseitige Kontrolle und Gewaltenteilung sind grundlegende Voraussetzungen einer rechtsstaatlichen Demokratie.
Nicht zu vergessen ist, dass sich das Bundesverfassungsgericht nicht selbstständig als Korrektor der Legislative aufspielt. Es wird erst dann tätig, wenn ein oder eine BeschwerdeführerIn ein Gesetz für verfassungswidrig hält und sich deshalb an das Gericht wendet. In den letzten Jahren musste das Bundesverfassungsgericht immer wieder klarstellen, dass viele der sogenannten "Sicherheitsgesetze" nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Zu nennen sind hier der großer Lauschangriff, der präventive Abschuss von Passagiermaschinen, die Onlinedurchsuchung oder das bayerische Versammlungsgesetz. In all diesen Fällen musste das Bundesverfassungsgericht eingreifen und den allzu eifrigen Gesetzgeber in seine Schranken weisen.
Das Problem liegt also nicht beim Verfassungsgericht, sondern beim Gesetzgeber, der immer wieder daran scheitert, seine Gesetze so auszugestalten, dass diese mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Gerade im Hinblick auf diesen Gesichtspunkt ist es beunruhigend, eine solche Aussage von Bundesinnenminister Schäuble zu hören.Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier äußerte sich in einem Vortrag in Tutzing kritisch zu Versuchen das Bundesverfassungsgericht in seinen Rechten zu beschränken. Wer das Prüfungsrecht des Verfassungsgerichts in Frage stelle, und ein "Primat der Politik" fordere, rüttle an den Grundstrukturen des Verfassungsstaats, sagte Papier.
Um sich in Zukunft nicht mehr über die Richter am Bundesverfassungsgericht ärgern zu müssen, sei Bundesinnenminister Schäuble angeraten, die verfassungsrechtlichen Bedenken der Opposition und aus den eigenen Reihen in Bezug auf seine Gesetze endlich ernst zu nehmen, damit ein Gang nach Karlsruhe nicht mehr die Regel ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Jerzy Montag, MdB