Frage an Jerzy Montag von Christoph R. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Montag,
innerhalb der Grünen gibt es eine rege Debatte um das Grundeinkommen. Ich möchte Sie bitten, zu erläutern, ob Sie für das bedingungslose Grundeinkommen ohne Überprüfung sind oder für eine "verwässerte" Variante mit Kontrollmechanismen?
Sehr geehrter Herr Rupprecht,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Grundeinkommen. In der Tat gewinnt die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen immer mehr an Bedeutung - auch in unserer Partei. Wir nehmen die verschiedenen Vorschläge sehr ernst.
Meines Erachtens ist aber Skepsis angebracht, wenn damit geworben wird, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen eine globale Alternative zum bestehenden Sozialstaat sein könnte. Die meisten sozialstaatlichen Institutionen werden (auf lange Sicht) nicht entbehrlich. Die Rentenversicherung kann nicht über Nacht abgeschafft werden, über viele Jahrzehnte wären erworbene Ansprüche zu bedienen. Auf die Krankenversicherung, Pflegeversicherung oder auch die Eingliederungshilfe für Behinderte kann gar nicht verzichtet werden. Da viele Bürgerinnen und Bürger arbeiten wollen wird unseres Erachtens auch Arbeitsmarktpolitik nicht entbehrlich. Ganz zu schweigen davon, dass Bildungseinrichtungen verbessert und ausgebaut werden müssen und nicht abgebaut werden können.
Wir werden uns also auch in Zukunft darüber zu unterhalten haben, wie viel Geld wir für diese Aufgaben ausgeben wollen und wie Bildung oder auch der Schutz bei Pflegebedürftigkeit am besten gewährleistet werden können.
Selbst die Befürworterinnen und Befürworter eines Grundeinkommens räumen ein, dass ein bundeseinheitliches Grundeinkommen nicht überzeugend wäre. Die sehr unterschiedlichen Wohnkosten müssten mithin berücksichtigt werden (über eine Regionalisierung oder über das Wohngeld). Auch räumen sie ein, dass die Bedarfe der Antragstellerinnen und Antragsteller nicht über einen Kamm geschoren werden können. Besondere Bedarfe wären rechtlich also zu decken.
Selbstbestimmung und Solidarität bilden die normative Grundlage in einer Gesellschaft, in welcher der Wunsch nach sozialem Zusammenhalt fester Bestandteil des Selbstverständnisses ist. Zusammenhalt wird nur dann erhalten, wenn sich die Gesellschaft auf Prioritäten einigt. Eine solche Priorität ist aus grüner Sicht die Parteinahme für die Schwächsten. Dazu gehört, dass sozialstaatliche Leistungen die Befähigung der Menschen zum Ziel haben müssen, ein Leben in eigener Regie zu führen. Dauerhafte Alimentierung widerspricht diesem Ziel.
Bei der grünen Grundsicherung geht es auch um gesellschaftliche und politische Teilhabe. Der Staat ist hier mehr als ein Geldverteiler: Er muss aktivieren, indem er Strukturen schafft, in denen Potenziale des oder der Einzelnen entdeckt und entwickelt werden können. Wichtig ist die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Lebensverläufen und persönlichen Voraussetzungen. Wir wollen einen Sozialstaat, der die soziale Orientierung des oder der Einzelnen fördert, statt die jeweilige Lebenslage zum „sozialen Schicksal“ erstarren zu lassen. Das aber passiert leicht, wenn sich der Kontakt auf die monatliche Kontoüberweisung beschränkt.
Wer Menschen bei der Entfaltung ihrer Potenziale unterstützen will, muss ihnen mehr anbieten als bloße Geldtransfers. Diese allein eröffnen langfristig keinen Raum für neue Lebensentwürfe. Grüne Grundsicherung setzt sich deshalb aus zwei gleichrangigen Bestandteilen zusammen: Teilhabegarantie und Existenzsicherung.
Mit besten Grüßen,
Jerzy Montag, MdB