Frage an Jerzy Montag von Jörn H. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Montag,
in Ihrer Bundesttagsrede vom 7.6.2013 äußerten Sie sich wie folgt zur traditionellen und religiösen Beschneidung von Mädchen:
"Die Verstümmelung der Genitalien von Mädchen und Frauen ist eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung und irreversible Körperverletzung, die weder mit Religion noch Tradition zu rechtfertigen ist. Die Eingriffe, die meistens an Mädchen kurz vor der Pubertät bis zum 18. Lebensjahr erfolgen, beschädigen die Sexualorgane oder entfernen sie sogar ganz und zielen auf die Verhinderung der sexuellen Selbstbestimmung ab. Der Staat insgesamt und wir als Gesetzgeber haben die Pflicht, die gefährdeten Mädchen und Frauen vor einem solch massiven Eingriff in ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit zu schützen."
Angesichts dieser Aussage möchte ich Sie fragen, warum Sie der Meinung sind, dass der Staat diese Pflicht bei Jungen nicht hat und Sie einem Gesetz zugestimmt haben, dass einen derartigen Eingriff nicht nur aus traditionellen oder religiösen sondern gar aus beliebigen Gründen legalisiert, ihn also nicht nur straffrei stellt, sondern explizit als elterliches Recht deklariert. Warum sind Sie der Ansicht, dass bei Jungen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung zurückstehen muss?
§1631 BGB schließt als Motive für die Beschneidung von Jungen ebenfalls das Motiv der Verhinderung der sexuellen Selbstbestimmung ein bzw. kann dies durch die generelle Freigabe nicht verhindern.
Ich möchte Sie schon einmal im Voraus darum bitten, die Frage nicht mit einem pauschalen Hinweis auf die schweren und schwersten Formen der weiblichen Genitalverstümmelung abzutun, sondern frage Sie explizit auch danach, warum selbst die leichteren Formen der Genitalbeschneidung bei Mädchen geächtet werden, die mitunter lediglich aus einem Einritzen der Klitorisvorhaut bestehen und in den Folgen der Beschneidung von Jungen vergleichbar oder weniger gravierend sind?
Sehr geehrter Herr Hoss
vielen Dank für ihre Fragen. Ich beantworte sie gerne, aber Sie müssen es schon mir überlassen, auf welche Weise und mit welchen Argumenten ich dies mache.
Nach meiner Überzeugung und nach den mir vorliegenden Informationen sind die Vorhautbeschneidungen von Jungen und die Genitalverstümmelungen von Mädchen weder in ihrer Schwere noch in ihrer Intention vergleichbar. Wir sprechen ganz bewusst von Verstümmelungen und nicht von kosmetischen Eingriffen im Intimbereich oder von Anritzungen oder Ähnlichem. Die vom Gesetz erfassten Genitalverstümmelungen bei Mädchen wären in diesem Sinne mit einer Entfernung der Eichel bei Jungen vergleichbar.
Auf dieser Grundlage beantworte ich gerne Ihre Fragen hinsichtlich der Strafbarkeit der Beschneidung von Jungen.
Selbstverständlich hat der Staat die Pflicht, die körperlichen Integrität von Kindern zu schützen. Wie alle Menschen werden sie vor Körperverletzungen geschützt, wie alle Menschen haben aber auch sie das Recht, im Rahmen des § 228 StGB in eine Körperverletzung einzuwilligen. In dieser Erklärung werden Kleinkinder, die sich nicht selbstverantwortlich artikulieren können, von ihren Eltern vertreten. Dies geschieht im Rahmen des verfassungsrechtlich garantierten Elternrecht und richtet sich nach dem Wohl des Kindes. Das Wohl eines Kindes bestimmen grundsätzlich und in erster Linie die Eltern, dies ist ihre Pflicht und ihr Recht.
Ich habe der gesetzlichen Regelung zugestimmt, das elterliche Recht zur Bestimmung des Kindeswohls ihrer Söhne einzuschränken, wenn sie die Einwilligung zu einer Vorhautbeschneidung aussprechen. Die Einschränkungen ergeben sich aus § 1631 d BGB, der Ihnen ja – wie ich lese – bekannt ist.
Ich habe aber auch der Strafvorschrift zugestimmt, nach der jeder – auch die Eltern – zu bestrafen ist, der eine Genitalverstümmelung an Mädchen durchführt oder ihr zustimmt.
Insoweit hat der Gesetzgeber auch in diesem Bereich dem Elternrecht eine Grenze gezogen.
Die Frage der Beschneidung von Jungen – ich hoffe nicht auch der Genitalverstümmelung der Mädchen - wird auch in Zukunft kontrovers diskutiert werden. Es lässt sich hier wohl kein Ergebnis finden, welches wirklich alle für richtig halten. Jeder kann in dieser Thematik letztlich nur seinem Gewissen folgen- und dies habe ich in der Abstimmung im Bundestag getan.
Mit freundlichen Grüßen
Jerzy Montag