Frage an Jerzy Montag von Tammo M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Hr.Montag,
da auch die Grünen für Hr.Gauck als Präsident sind, möchte ich sie fragen, ob, in einer Zeit in der wir andere europ. Länder in die Krise zwangs-"sparen", in der Proj. wie S21 mit Hilfe von Wasserwerfern durchgesetzt und in dem aus "alternativlosem Sparzwang" in Deutschland das Sozialsystem zusammengestrichen während die Steuern gesenkt werden, ein Hr.Gauck,
- für den der Wert der Freiheit von so großer Bedeutung ist, daß ihm die Solidarität und staatl. Fürsorglichkeit in Deutschland manchmal viel zu weit geht. (Welt-Online, 21.2.12)
- dessen Gläubigkeit an die Rationalität der Märkte durch die Finanzkrise in keiner Form erschüttert, sondern, der im Gegenteil Finanzmarktkritiker (z.B. Occupy) als "unsäglich albern" beschimpft. (Spiegel, 16.10.11)
- der ein abstraktes Freiheitsideal des Liberalismus vertritt, das sich auf bürgerliche Abwehrrechte gegen den Staat beschränkt und in dem ansonsten jeder seines Glückes Schmied ist. (Gauck, 2009, "Winter im Sommer...")
- der Gesellschaftsvorstellungen, die auf eine materielle soziale Basis für die Verwirklichung von Freiheit drängen, als tendenziell totalitär ansieht. (Gauck, 2009, "Winter im Sommer...")
- der als Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde 1997 die Bundesregierung wissentlich angelogen hat. (Tagesspiegel, 19.02.11)
- dem als einziges Adjektiv zu dem Buch von Herrn Sarazin "mutig" einfällt (Süddeutsche, 20.02.12)
der richtige Präsident ist.
Ich halte Deutschland NOCH für ein soziales Land, in dem nicht das Prinzip "Jeder ist sich selbst der Nächste" großgeschrieben wird, in dem nicht immer nur der Rücksichtsloseste gewinnt, in dem Menschen nicht nach ihrer Herkunft oder "Rasse" abgestempelt werden und in dem man evtl auch aus Fehlern lernen kann.
Als einer Ihrer Wähler bei der letzten Wahl, fühle ich mich dafür verantwortlich wie Sie Ihre Stimme abgeben.
Deshalb bitte ich Sie, NICHT für Herrn Gauck als neuen Präsidenten zu stimmen.
vielen Dank
mit freundlichen Grüßen
T.Mueller
Sehr geehrter Herr Mueller,
vielen Dank für Ihre Frage vom 21. Februar 2012. Ich möchte Ihnen erläutern, weshalb ich in der Bundesversammlung für Herrn Gauck gestimmt habe.
Joachim Gauck ist kein Bundespräsident, mit dem ich immer einer Meinung sein werde. Man wird mit ihm streiten können und seine Ansichten nicht immer teilen. Wichtiger als ein Bundespräsident der immer Überzeugungen vertritt, die mit den eigenen konform sind, ist mir eine Persönlichkeit, die mich dazu zwingt, mich selbst immer wieder zu hinterfragen. Joachim Gauck traue ich zu, dies zu tun. Er wird Diskussionen anstoßen, vorantreiben und moderieren. Dies ist ein wichtiger Beitrag für eine lebendige Demokratie. Die von ihm initiierten Debatten werden den Dialog befördern und so zu mehr Verständigung in unserem Land führen. Ich glaube, dies sind genau die Eigenschaften, die der neue Bundespräsident braucht.
Erlauben Sie mir noch zwei inhaltliche Bemerkungen.
Zunächst zum Freiheitsbegriff, den Joachim Gauck verwendet. Es geht ihm hierbei nicht um eine Freiheit, wie sie die FDP vertritt; eine Freiheit, die zu Lasten der Schwachen der Gesellschaft und auf Kosten der Solidarität geht. Vielmehr meint Joachim Gauck die Freiheit jedes Einzelnen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, sich bürgerschaftlich zu engagieren, sich zu beteiligen und die eigene sowie die Zukunft des Landes aktiv mitzugestalten. Mit diesem Freiheitsbegriff identifizieren auch wir GRÜNEN uns.
Das Zweite sind Gaucks Äußerungen zu Sarrazins Buch. Als sich Joachim Gauck in der Fraktionssitzung von Bündnis 90 / die GRÜNEN vorstellte und Frage und Antwort stand, bedauerte er seine Aussagen und versicherte: "Es gibt weder in meinem Herzen, noch in meinem Kopf Ressentiments gegen die, die anders sind."
Ich halte daher Joachim Gauck für einen geeigneten Bundespräsidenten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Entscheidung näher bringen.
Mit freundlichen Grüßen
Jerzy Montag