Frage an Jerzy Montag von Felix S. bezüglich Jugend
Sehr geehrter Herr Montag!
Ich habe bei Youtube ein Video gefunden, wo sie in Zusammenhang mit den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Bundestag von einer "Strafsucht" sprechen. Frau Steinbach von der CDU, nicht meine bevorzugte Partei oder Politikerin, behauptet, Sie hätten von "fundamentalistischer Rachsucht" gesprochen. http://www.youtube.com/watch?v=jmtd-Iwv32I
Ich möchte wissen, wie die Grünen über einen Bischof hergefallen wären, der sich gewagt hätte, so eine Aussage in den Mund zu nehmen!
Wir haben hier das Problem, dass Opfer oft für ihr Leben gezeichnet sind und erst viele Jahre nach dem Missbrauch es fertig bringen, über das Erlebte zu reden. Die meisten Täter können aber dann wegen der Verjährung nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden, weil die Taten verjährt sind.
Muss sich Verjährung nicht auch nach der Art der Straftat und nach der Wahrscheinlichkeit der Zeitdauer bis zum bekannt werden einer Tat orientieren?
Ist das Strafrecht nicht sinnlos, wenn die Verjährung für sexuelle Delikte so kurz ist, dass Täter relativ sicher sein können nicht mehr belangt zu werden?
Wie kommen Sie in dieser Situation dazu, von einer Sucht nach Strafe zu sprechen?
Die Mehrzahl der Missbräuche findet nicht im Umfeld der Kirchen statt, aber durch ein besseres Verhalten der Verantwortlichen in der Kirche hätte manche Folgetat dort vermieden werden können. Nachdem nun durch die kirchlichen Täter einer weiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist, welche schwerwiegenden Folgen sexueller Missbrauch hat, möchte ich zusätzlich wissen, was planen Sie zu tun, um solches Geschehen in der ganzen Gesellschaft aufzudecken und wie könnte eine Profilaxe zur Vermeidung von Missbrauchshandlungen aussehen? Was kann die Politik hier in der Gesetzgebung und Finanzierung leisten?
Mit bestem Gruß, Felix Staratschek
Sehr geehrter Herr Staratschek,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte.
Die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung einer Tat scheint mir nicht geeignet, um die Dauer der Verjährung zu bestimmen. In einem Rechtsstaat muss Rechtssicherheit für den Einzelnen und die Allgemeinheit gewährleistet sein. Jede/r muss wissen, wann er für sein individuelles Verhalten mit Strafe zu rechnen hat - und wann nicht. Wahrscheinlichkeiten sind daher keine Grundlage für die Frage, ob eine Strafe noch angedroht werden kann oder nicht. Natürlich darf eine Verjährung nicht so kurz sein, dass der Täter sicher sein kann, nicht belangt zu werden. Das ist aber auch nicht der Fall. Ich stimme ihnen daher zu, dass die strafrechtliche Verjährung sich nach der Art der Straftat zu richten hat. So ist es im deutschen Strafgesetzbuch aber auch vorgesehen. Die Verjährung ist abhängig vom Höchstmaß der angedrohten Freiheitsstrafe. Konkret im Sexualstrafrecht haben wir Verjährungsfristen von bis zu 20 Jahren, nach Aufnahme von Ermittlungen bis zu 40 Jahren. Das deutsche Strafrecht ist hier sehr differenziert und ich sehe hier grundsätzlich keinen Änderungsbedarf, mit vielleicht einer Ausnahme: Die Vorschriften zur Hemmung der Verjährung ordnen das Ruhen der Verjährung für bestimmte Sexualdelikte an. Der Beginn der Verjährungsfrist ist in diesen Fällen bislang nur bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Opfers hinausgeschoben. Die Dauer der Hemmung sollte nach unserer Auffassung bis zum 25. Lebensjahr verlängert werden, um so mehr Raum dafür zu schaffen, eine eventuelle Traumatisierung durch die Tat verarbeiten zu können. Meine Fraktion hat einen entsprechenden Gesetzentwurf bereits auf den Weg gebracht. Im Übrigen werden die meisten Straftäter innerhalb der Verjährungsfristen bekannt und verfolgt. Leider waren es bei den bekannt gewordenen Fällen des sexuellen Missbrauchs gerade die Institutionen (besonders aber nicht nur die katholische Kirche), die durch organisierte Vertuschung eine Verfolgung hintertrieben. Hier gilt es anzusetzen um für eine rasche Einschaltung der Staatsanwaltschaft zu sorgen. Ich arbeite deshalb am sog. „Runden Tisch Missbrauchsopfer“ im Bundesjustizministerium mit, wo für alle Organisationen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, Leitlinien für eine umgehende Einschaltung der Ermittlungsbehörden bei Verdacht eines sexuellen Missbrauchs erarbeitet wurden.
Grundsätzlich brauchen wir ein waches und empathisches Umfeld, wo sich Kinder und Jugendliche aufhalten. Wir sind alle aufgerufen, gefährdeten Kindern und Jugendlichen zu helfen und sie zu stärken, damit möglicher Missbrauch nicht vertuscht und verdrängt, sondern sofort zur Anzeige gebracht wird.
Mit freundlichen Grüßen
Jerzy Montag