Frage an Jerzy Montag von Jürgen E. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Montag,
mit Freuden habe ich gelesen, dass Sie und Ihre Kollegen aus der Fraktion der Grünen an die Bundesregierung eine Kleine Anfrage bezüglich der Hintergründe des Oktoberfest-Attentats und der möglichen Zusammenhänge mit dem deutschen Rechtsextremismus bzw. mit Gladio/Stay-Behind gestellt haben. Ich empfinde es als eine schweres Versäumnis, dass sich bislang nur Italien, Belgien und die Schweiz ernsthaft an solche Themen herangewagt haben. Da Deutschland ja einer der "Haupschlachtfelder" im Kalten Krieg war, wäre es sehr überraschend, wenn hier die Strukturen schwächer gewesen wären. Daher finde ich Ihre Initiative ausgesprochen verdienstvoll.
Wenn ich recht informiert bin, wurde die Anfrage am 13. Mai gestellt und müsste mittlerweile von der Bundesregierung beantwortet sein.
Ist die Antwort schon bei Ihnen eingetroffen? Was ist der Inhalt der Antwort bzw. bis wann kann man mit deren Veröffentlichung in der Tagespresse bzw. auf Ihrer oder einer anderen Homepage rechnen?
Und noch eine zweite Frage: Meiner Meinung ist einer der wichtigsten Gründe, warum solche Fragen wie das Oktoberfestattentat, aber auch andere Fragestellungen mit möglichen politischen oder wirtschaftlichen Hintergründen (CDU-Spendenaffäre etc., Treuhand-"Machenschaften") in Deutschland meist nur sehr zögerlich oder gar nicht juristsch verfolgt werden, an der Weisungsgebundenheit der deutschen Staatsanwälte. Anders als z.B. (noch) in Italien, können allzu forsche und neugierige Staatsanwälte jederzeit ohne großes Aufsehen von übergeordneten Behörden bzw. dem zuständigen Innenminister zurück gepfiffen werden. Dadurch wird die Justiz in ihren Kontrollaufgaben massiv behindert, finde ich.
Wie sehen Sie das? Hat die Fraktion der Grünen ggfs. vor auch in dieser Frage aktiv zu werden?
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Ernst
Sehr geehrter Herr Ernst,
vielen Dank für Ihre Anfrage bei Abgeordnetenwatch. Bitte entschuldigen Sie die verspätete Antwort, die dem hohen Arbeitsanfall im Parlament am Ende der Legislatur geschuldet ist. Die kleine Anfrage zu den Hintergründen des Oktoberfest-Attentats wurde mittlerweile von der Bundesregierung beantwortet. Der Bundestagsverwaltung war es bisher aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens nicht möglich, die Antwort zeitnah zu veröffentlichen. Daher finden Sie die Antwort auf meiner Homepage ( http://www.jerzy-montag.de ) . Gerne möchte ich mich auch Ihrer Frage zur Weisungsgebundenheit deutscher Staatsanwältinnen und Staatsanwälte widmen. Das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland beruht auf dem Prinzip der Gewaltenteilung. Die Verteilung der Staatsgewalt auf Legislative, Exekutive und Judikative dient der Machtbegrenzung und der Sicherung von Freiheit und Gleichheit.
Die Staatsanwaltschaft ist Organ der Exekutive und unterliegt dem internen und dem externen Weisungsrecht. Das interne Weisungsrechts ist die Berechtigung der Dienstvorgesetzten zu Anweisungen innerhalb der Behörde oder des Bezirks. Es ist im Beamtenrecht und im öffentlichen Dienst durchaus üblich. Darüber hinaus steht dem jeweiligen Landesjustizminister ein externes Weisungsrecht zu. Umfasst ist jeweils die Anweisung für die Sachbehandlung bestimmter Arten von Verfahren (generelles Weisungsrecht) oder eines Einzelfalls. Dem Weisungsrecht liegt das preußische Rollenverständnis der Staatsanwaltschaft als der Behörde, die den Rechtswillen des Staates durchsetzt, zu Grunde. Außerdem sollen so die Rechtsqualität und die Einheit der Rechtsordnung (Gleiches Vorgehen vor allem für Masseverfahren wie z.B. dem Ladendiebstahl) gewährleistet werden. Begrenzt wird die Weisungsgebundenheit durch die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Legalität und der Verhältnismäßigkeit sowie durch das faire Verfahren und die Bindung an Gesetze. Wird das Weisungsrecht missbräuchlich ausgeübt, kann dies eine Straftat darstellen (Verfolgung Unschuldiger oder Strafvereitelung im Amt).
Vor allem das externe Weisungsrecht des Justizministers wird in Öffentlichkeit und Fachkreisen häufig als nicht zeitgemäß kritisiert. Zu Recht, wie ich meine. Ich plädiere daher für dessen Abschaffung oder zumindest für eine Beschränkung auf ein generelles Weisungsrecht durch die Justizministerkonferenz.
Auch wenn es höchst selten und nur ausnahmsweise ausgeübt wird, sprechen gewichtige Gründe gegen Weisungen im Einzelfall. Allein der Schein der Einmischung bei Verfahren gegen PolitikerInnen oder UnternehmerInnen genügt, um das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat zu erschüttern. Zu Recht oder zu Unrecht entsteht der Eindruck „die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“. Die Gefahr und die – seltenen - Fälle der politischen Einflussnahme, des Missbrauchs und der Instrumentalisierung rechtfertigen den Gewinn an Rechtseinheitlichkeit nicht. Das Weisungsrecht hat zudem Einfluss auf die Unabhängigkeit der Gerichte, denn die Anklageerhebung durch die Staatsanwalt ist Voraussetzung für die Befassung des Gerichts. Sie entfällt, wenn eine Anklage aus politischen Motiven gar nicht erhoben wird. Dass dem Landesjustizminister ein Weisungsrecht zustehen müsse, da er für die Handlungen der Staatsanwaltschaft vor dem Landesparlament verantwortlich sei, ist ein Zirkelschluss. Schafft man das Weisungsrecht ab, so entfällt auch die Verantwortlichkeit. Zahlreiche und überfällige Reformbemühungen – unter anderem ein Referentenentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz – bleiben bisher leider erfolglos.
Mit freundlichen Grüßen
Jerzy Montag, MdB