Frage an Jens Brandenburg von Mohammed A. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Brandenburg
"Wer es mit der Chancengerechtigkeit im Bundesgebiet ernst meint, muss für bundesweite Bildungsstandards und vergleichbare Schulabschlüsse sorgen." Den Satz kennen Sie vielleicht. Er stammt aus dem Wahlprogramm der FDP von 2009. Bislang war es immer ein wichtiger Punkt der FDP, dass Bildung Ländersache ist und es keine bundesweite Gleichmacherei gibt. Nunmehr hat Ihre Fraktion (nicht die Partei!!!) einen Beschluss gefasst, dass im Abitur die Autonomie der Länder aufgehoben wird und ein bundeseinheitliches Abitur eingeführt werden soll. Darauf gerichtet sind meine Fragen:
1. Wer soll dieses bundesweite Abitur erstellen? Und wieso sollen nur die MINT-Fächer bundesweit festgelegt werden?
2. Was ist mit dem Realschul- und Hauptschulabschluss? Handelt es sich hier um Schüler zweiter Klasse, die keine angebliche Spitzenbildung bedürfen?
3. Was bleibt aus dem Föderalismus noch übrig, wenn die Kernkompetenz immer weiter ausgehöhlt wird?
4. Wieso setzen Sie sich nicht für ein europaweites Abitur ein, wo Ihnen die EU so am Herzen liegt und es auch hier Unterschiede gibt?
Sehr geehrter Herr A. S.,
herzlichen Dank für das Übersenden Ihrer Fragen. Der deutsche Bildungsföderalismus ist aus der Zeit gefallen. Schulabschlüsse und die Voraussetzungen, diese zu erlangen, sind nicht mehr zwischen den Bundesländern vergleichbar. Bildungschancen dürfen nicht vom Wohnort abhängen. Deshalb fordern wir Freie Demokraten einheitliche Standards für die Prüfungen zum Abitur und der Mittleren Reife. Das vollständige Positionspapier der FDP-Bundestagsfraktion finden Sie unter https://www.fdpbt.de/sites/default/files/2019-09/190905_Beschluss_Update_Bildung.pdf
Zu Ihren Fragen im Einzelnen:
1) In einem ersten Schritt fordern wir ein Kernabitur in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik, da in diesen Fächern die erforderlichen Bildungsstandards bereits existieren. Ein solches Kernabitur ist ein erster Schritt für mehr Vergleichbarkeit und einen chancengerechten Hochschulzugang. Nur wenn einheitliche Prüfungen das Erlernte deutschlandweit überprüfen, wird aus der Unverbindlichkeit von Standards ein verbindliches Qualitätsziel. Die Aufgaben sollen vom IQB erstellt werden, also einer von den Ländern getragenen Institution.
2) Wir wollen bundesweite Abschlussprüfungen für Mittlere Reife und Abitur einführen. Die Ausweitung einheitlicher Prüfungen auf weitere Abschlüsse prüfen wir. Wir wollen für jeden Bildungsweg Standards auf höchsten Niveau. Deutschland lebt von der Diversität seiner Bildungsabschlüsse und den daraus folgenden Lebensentwürfen.
3) Im Mittelpunkt einer guten Bildungspolitik stehen nicht Bund-Länder-Interessen, sondern die Bildungschancen einzelner Schüler. Die Bildungsinhalte als zentrales Element der Bildungshoheit der Ländern werden durch einheitliche Standards nicht angetastet. Im Gegenteil: Das Einvernehmen über gemeinsame Standards und bundesweite Abschlussprüfungen ist im Interesse der Länder, denn sie können und sollen weiterhin autonom und eigenverantwortlich die bestmöglichen Wettbewerbsbedingungen für ihre Schulen organisieren. Letztlich bleibt es den Ländern überlassen, auf welchem Weg genau sie diese Standards erreichen, wie sie ihre Schulen organisieren und welche Lehrkräfte sie in welcher Weise einsetzen. Den Schulen vor Ort wollen wir deutlich mehr Entscheidungsfreiheit überlassen.
4) Hohe europaweite Bildungsstandards mögen sehr wünschenswert sein, von einer praktischen Umsetzbarkeit sind wir - anders als auf Bundesebene - aufgrund der enormen Qualitätsunterschiede jedoch weit entfernt. Die europäische Zusammenarbeit zur Steigerung der Bildungsqualität sollte sicher ein Schwerpunktthema der kommenden Jahre sein.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Brandenburg