Jens Augner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Franziska H. •

Frage an Jens Augner von Franziska H. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Augner,

meine Freundin und ich interessieren uns für Ihre Pläne in Bezug auf Jugendförderung, Schaffung von Arbeitsplätzen und Unterstützung der schulischen Bildung besonders in Reinickendorf. Wie werden Sie diese Pläne umsetzen? Über eine Antwort Ihrerseits würden wir uns sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Franziska Hoffmann

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Liebe Frau Hoffmann,

gerne antworte ich auf Ihre Frage. Als in Reinickendorf arbeitender Lehrer liegen mir Schul- und Jugendpolitik natürlich besonders nahe.

Da es ich um eher allgemeine Fragen handelt, könnte ich hier sehr lange Abhandlungen schreiben. Ich werde mich bemühen, mich auf einige zentrale Aspekte zu beschränken.

Wir möchten Kitas und Schulen zu Lern- und Lebensorten machen. Einerseits sollen die Kinder und Jugendlichen gemeinsam lernen, zugleich aber auch stärker individuell gefördert werden können. Schulen sollten eine zentrale Rolle im Kiez haben und in Kooperation z.B. mit Jugendeinrichtungen und Vereinen über den Unterricht hinaus Unterstützung geben, aber auch Angebote zur Freizeitgestaltung machen (verstärkte Ganztagsangebote). Dies bedeutet für uns auch, dass Schulen viel stärker ein individuelles Profil entwickeln - und dazu auch eine größere Eigenverantwortung bei der LehrerInnenauswahl, dem Unterrichtsangebot und auch der Ausstattung mit Lehr- und Lernmitteln haben. Zudem sollten die Schulen über einen Etat verfügen, mit dem sie kurzfristig Personal für mittelfristige Vertretungsfälle einstellen können. Die Ausstattung der Schulen - insbesondere bei den Fachräumen - muss verbessert werden.

Uns inspirieren manche skandinavischen Vorbilder - wenn wir uns daran orientieren wollen, benötigen wir neben Geld und einem neuen LehrerInnen-(Selbst-)Verständnis aber auch eine bauliche Veränderung der Schulen. Daher wird der Wandel der Berliner Schule ein längerer Prozess sein. Deshalb brauchen wir Modellschulen, die neue Konzepte ausprobieren. Denn ein Patentrezept haben auch wir nicht. Doch gilt es, vieles zu probieren und dann sich nicht Bewährendes zu verwerfen und sich Bewährendes zu erhalten und auszubauen.

Wir möchten Projekten in der Schule mehr Raum geben - angesichts der vielfältigen neuen Prüfungen wie z.B. dem MSA, aber auch angesichts der Schulzeitverkürzung und der dadurch volleren Stundentafel ist das schwer, aber dennoch halten wir das weitegehend selbstständige und selbstorganisierte Lernen für eine wichtige Möglichkeiten, Schlüsselqualifikationen zu erwerben bzw. zu trainieren.

Weil es ein umstrittenes Thema ist, auch noch eine Bemerkung zum Fach Ethik:
bei aller Kritik an der konkreten, schnellen Umsetzung halte ich das Fach für die richtige Antwort auf die kulturelle, weltanschauliche und religiöse Vielfalt in Berlin. Nur wenn die SchülerInnen sich gemeinsam über zentrale Fragen des Lebens austauschen und sich nicht in eine Gruppe zurückziehen können, die die gleiche Sicht bereits hat, werden wir den gesellschaftlichen Dialog und das friedliche Miteinander fördern können. Zudem ist es in einer Demokratie eigentlich üblich, Staat und Religion zu trennen.

Viele von den eben aufgeführten Vorstellungen kosten Geld - und davon hat Berlin bekanntlich nicht gerade viel. Deshalb möchten die Grünen, dass die ab Januar 2007 zu erwartenden Mehreinnahmen zu 20 Prozent als Zukunftsinvestition in die Bildung investiert werden.

Und auf Reinickendorf selbst bezogen: Wir haben hinsichtlich der Bürgermeister/innen-Wahl 5 Projekte formuliert, die uns besonders wichtig sind und über die wir mit den beiden KandidatInnen, Frau Wanjura und Herrn Senftleben verhandeln wollen, wenn diese mit grüner Unterstützung gewählt werden wollen. Dazu gehört auch folgendes Projekt:

"Rütli tanzt auch in Reinickendorf

Seit langem ist die Bedeutung der außerunterrichtlichen Projektarbeit für das Schulklima und die Leistungsbereitschaft von Schülerinnen und Schülern unbestritten. Der Film "Rythm is it" hat die Thematik einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht. Die kontinuierliche Einbeziehung entsprechender Angebote in das schulische Leben muss gesichert werden. Die enge Kooperation von Schulen mit freien Trägern der Jugendarbeit, des Sports, der Kultur oder in gesellschaftspolitischen Fragen muss aber auch finanziell abgesichert werden. Dafür benötigt jede Schule einen entsprechenden Etat, über den sie nach eigenen Schwerpunktsetzungen entscheiden darf. Bündnis90/Die Grünen wollen ab dem Jahr 2007 jeder Reinickendorfer Schule Gelder zur Verfügung stellen, die ausreichen, um monatlich je nach Schulgröße zwischen 40 und 50 Stunden in Kooperationsprojekten in den Bereichen Musik, Tanz, Theater, Sport und gesellschaftspolitischer Themen sicherzustellen."

Weiterlesen und Weiterklicken: hier gibt es allgemeine bildungspolitische Vorstellungen der Grünen als auch eine Übersicht zentraler parlamentarischer Initiativen der grünen Abgeordnetenhausfraktion:

http://www.gruene-fraktion-berlin.de/cms/default/rubrik/6/6151.ich_wills_wissen.htm

Zudem empfehle ich die Lektüre des Wahlprogrammes, in dem Bildung als erstes Thema eine zentrale Position hat.

http://gruene-berlin.de/site/fileadmin/dateien/2006/Wahlprogramm_2006.pdf

Für die Jugendförderung bin ich kein ausgewiesener Experte. Aus meinen Erfahrungen als Bezirksverordneter in Tiergarten weiß ich, wie unschön die Arbeit als Bezirksverordneter gerade im Jugendhilfeausschuss sein kann: es geht leider oft nur um die Mängelverwaltung bzw. die Entscheidung, wer künftig keine Förderung mehr bekommt. Da ich mich in die Reinickendorfer Details erst einarbeiten muss, bitte ich um Nachsicht, keine weiteren Details auszuführen. Grundsätzlich möchten wir kleine Initiativen stärken, gerade solche, die von den "Betroffenen" selbst initiiert werden. Ich sehe Möglichkeiten, z.B. durch die Vernetzung von Schul-, Kultur- und Jugendpolitik eine Vielfalt der Jugendeinrichtungen zu erhalten.

Zu den Arbeitsplätzen müsste ich wieder sehr weit ausholen. Wenn nur die konkreten Dinge interessieren, bitte gleich beim übernächsten Absatz weiterlesen.

Vorwegschicken möchte ich, dass ich unser bisheriges System der Arbeitsorganisation und vor allem die Vorstellung, den gesellschaftlichen Stand an einer Erwerbsbiographie festzumachen, für antiquiert halte. Ein großes Problem ist vor allem die Verknüpfung der sozialen Sicherungssysteme mit den Zahlungen der sozialversicherungspflichtig arbeitenden Menschen. Aufgrund der steigenden Produktivität, aber auch der Zunahme nicht-sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung (insbesondere "Mini-Jobs") ist zum einen weniger Geld in den Sozialversicherungskassen (bzw. müssen die Beiträge dazu steigen) und zum anderen ist eine Unterstützung mit Sozialleistungen insbesondere im Alter absehbar, wenn aufgrund der fehlenden Rentenbeiträge kein ausreichender Rentenanspruch erworben wird. Langfristig ist das eine enorme Belastung für den Staat.

Das Problem haben auch die meisten Parteien erkannt. Davon zeugen, ganz neutal, die Konzepte der Kopfpauschale (CDU), der Bürgerversicherung (in verschiedenen Variationen Rot und Grün), bedarfsorientierte Grundsicherung (Grüne) oder aber das Bürgergeld der FDP. Doch ist der nötige Systemwechsel schwer zu bewältigen, weil einerseits die Gerechtigkeitsvorstellungen sehr unterschiedlich sind, so dass die Festlegung auf ein neues, z.B. steuerfinanziertes System sehr schwierig ist, aber auch in der Praxis Organisations- und Finanzierungsprobleme aufwirft (gerade in der Umstellungsphase) und Ungerechtigkeiten kaum ausbleiben können. Deshalb wagt sich auch kaum eine der Parteien an eine konkrete Umsetzung der nötigen Veränderungen.

Bei Abkürzung bitte hier weiterlesen:

Konkret bedeutet das für die Arbeits(markt)politik auf Landes- und Bezirksebene, dass wir nur einige Löcher stopfen können bzw. kleinere Verbesserungen bewirken, sprich Arbeitsplätze schaffen können, das grundsätzliche Probleme nicht lösen können (hier ist vorwiegend die Bundesregierung, teilweise in Kooperation mit dem Bundesrat) zuständig. Eine Vollbeschäftigung unter klassischen Bedingungen wird es nicht mehr geben. Dennoch möchten wir natürlich möglichst vielen Menschen zu einer Arbeit verhelfen.

Wir möchten im gemeinnützigen Bereich Arbeit fördern: anstelle von 1-Euro-Jobbern wollen wir qualifizierten oder zu qualifizierenden Menschen zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung insbesondere im Jugendbereich, im Umweltschutz, in der Kultur oder im sozialen Bereich verhelfen.

Ein Investitionsprogramm zur Förderung regenerativer Energien (insbesondere Solaranlagen), zur dezentralen Energieversorgung und Förderung von Energiesparmaßnahmen, aber auch zur Nutzung von Brauch- und Regenwasser schafft Arbeitsplätze und spart mittel- und langfristig Energie- und Wasserausgaben bei der Bewirtschaftung (öffentlicher) Gebäude.

Um die kreativen Potentiale vieler Menschen zu fördern, möchten wir durch erschwingliche Gewerberäume und günstige Kredite aus einem Kreativfonds die kreativen Potentiale nutzbar machen.

Bei der Wirtschaftsförderung wollen wir darauf achten, dass Unternehmen nicht nur kurzfristige Hilfen in Anspruch nehmen, um dann danach weiterzuziehen (s. SAMSUNG). Es darf auch keinen Dumpingwettbewerb mit anderen Bundesländern geben. Denn volkswirtschaftlich sollen ja mehr Arbeitsplätze entstehen und nicht nur geographisch verlagert werden.

Puh, jetzt ist die Antwort doch etwas länger geraten. Ich hoffe aber, die grundsätzliche Ausrichtung meiner politischen Vorstellungen deutlich gemacht zu haben.

Herzliche Grüße

Jens Augner