Wie stehen Sie zu den Sonderregelungen des Arzneimittelgesetzes über alternative Heilmethoden und zu deren Finanzierung durch die Krankenkassen?
Ihrer Biografie entnehme ich, dass Sie an der Universität Witten/Herdecke Humanmedizin studiert haben, die anthroposophische Wurzeln hat. Laut Grundsatzprogramm Ihrer Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN müssen „Leistungen, die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist, […] von der Solidargemeinschaft übernommen werden.“
— Wie stehen Sie persönlich vor diesem Hintergrund zur alternativen Heilmethoden?
— Werden Sie bei einer Abstimmung für die Beibehaltung der Sonderregelungen zur Phytotherapie, Homöopathie und anthroposophischen Medizin des Arzneimittelgesetz stimmen?
— Werden Sie bei einer Abstimmung für die Apothekenpflicht derartiger Arzneimittel stimmen?
— Werden Sie sich dafür einsetzen, dass gesetzliche Krankenkassen diese Arzneimittel auch zukünftig als Satzungsleistung anbieten dürfen? Oder diese in den Leistungskatalog aufgenommen werden? Oder werden Sie sich dafür einsetzen, dass nur noch evidenzbasierte Mittel finanziert werden?
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Für mich ist zentral: Das Gesundheitswesen sollte den Menschen und nicht die Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund stellen. Es ist grundsätzlich sinnvoll, eine ganzheitliche Betrachtung des Menschen in der Medizin zu fördern. Das steigende Interesse an Homöopathie und komplementärmedizinischen Behandlungsmethoden ist sicherlich auch eine Reaktion auf die mangelnde Zuwendung und Patientenorientierung in der Medizin und Ausdruck eines Bedürfnisses nach einem ganzheitlichen Ansatz. Außerdem haben ökonomische Interessen in der Gesundheitsversorgung derzeit ein zu starkes Gewicht. Als Grüne treten wir im Sinne der bestmöglichen Versorgung aller Bürger*innen für eine stärkere Förderung von Grundlagenforschung, klinischen Studien, Versorgungsforschung und translationalen Studien in der Medizin ein. Die öffentlichen Forschungseinrichtungen spielen dabei eine zentrale Rolle, um eine gewisse Unabhängigkeit von Pharmakonzernen zu erlangen. Wir Grünen machen uns besonders dafür stark, dass der Bund die Versorgungsforschung - hier verorten wir die komplementärmedizinische Forschung – stärker fördert.
Die Komplementärmedizin stellt für uns Grüne eine wichtige Ergänzung zur Schulmedizin dar. Ein reines Denken in Arzneimittelwirkstoffen etwa wird den komplexen Heilungsmechanismen des menschlichen Körpers nicht gerecht. Dort, wo Komplementärmedizin die Schulmedizin wirksam ergänzen kann, sollte dies verstärkt fortgeführt werden und dabei weitere Evidenz geschaffen werden. Gleichzeitig muss aber auch deutlich gemacht werden, bei welchen Erkrankungen und Krankheitsgraden homöopathische Behandlungen nicht klassische Wirkstoffmedizin ersetzen dürfen und können.
Da Sie auch konkret nach einer Apothekenpflicht fragen. Homöopathika sind in Deutschland sinnvollerweise durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zulassungs- bzw. registrierungspflichtig und werden dadurch auf Qualität und Sicherheit geprüft. Es ist durchaus sinnvoll die Abgabe über Apotheken zu organisieren, um eine falsche oder unangebrachte Einnahme zu verhindern. Außerdem ist davon auszugehen, dass eine Patientin oder ein Patient, der nach Homöopathika fragt, ein tatsächliches medizinisches Problem hat. In diesem Fall ist er bei einem Apotheker oder einer Apothekerin mit heilberuflicher Ausbildung in jedem Fall besser aufgehoben.
Wenn man noch auf Grünes Verhältnis zu Wissenschaft (wird in dem Zusammenhang ja immer in Frage gestellt) und Wahlprogramm/ Grundsatzprogramm verweisen will, vielleicht noch folgender Absatz:
In Ihrer Frage geht es im weiteren Sinne auch um das Verhältnis von Wissenschaft und Politik, insbesondere natürlich den Stellenwert von Wissenschaft und Forschung bei Bündnis 90/ Die Grünen. In den zurückliegenden Jahren hatten wir als debattenfreudige Partei, einige interne Diskussionen dazu – Gentechnik und Homöopathie sind nur die bekanntesten Beispiele. Für uns steht fest: Gute Politik orientiert sich an nachprüfbaren Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen (Artikel 156 Grundsatzprogramm: https://cms.gruene.de/uploads/documents/20200125_Grundsatzprogramm.pdf). Forschung muss sich aber immer auch kritisch reflektieren, in allen Disziplinen Machtverhältnisse hinterfragen und vielfältig in der Wahl von Methoden, Theorien und Arbeitsweisen sein. Darüber hinaus sind der freie Informationsaustausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, die Überprüfbarkeit von Interessenskonflikten sowie der öffentliche Zugang zu Forschungsergebnissen und Datengrundlagen Grundprinzipien einer demokratischen Wissenschaft. Auch in unserem Bundestagswahlprogramm findet sich u.a. folgender Satz: „Eine stärkere Einbeziehung der Zivilgesellschaft, ein sicherer Zugang zu Informationen für alle sowie die verständliche Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse sind Voraussetzungen für ein konstruktives, sich gegenseitig stimulierendes Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft.“
Mit freundlichen Grüßen,
Janosch Dahmen