Wie stehen Sie zu Waffenlieferungen an die Ukraine?
Sehr geehrter Herr Marien,wann hört man endlich von ernsthaften Bemühungen zu Friedensverhandlungen zwischen Russland und Ukraine, bevor die Ukraine kaputt gebombt ist?
Bisher höre ich hauptsächlich von Ausweitung des Militäretats, weiterhin Waffenlieferung an die Ukraine, Aufstockung des Beitrags zur Nato, damit zukünftige Kriege noch brutaler, todbringender... geführt werden können.Freundliche GrüßeAndreas

Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Frage. Selbstverständlich wird es zu einem Frieden nur durch Verhandlungen kommen. Allerdings scheint Russland bisher kein Interesse an ernsthaften Verhandlungen zu haben, vielmehr beharrt es nach wie vor auf seinen Maximalforderungen. Dies wird deutlich, da es selbst mit D. Trump (dem man ja sicherlich keine politische Nähe zur Bundesregierung bzw. zu den Grünen nachsagen wird) nicht zu substanziellen Verhandlungen gekommen ist.
Allerdings laufen bereits seit Beginn der Vollinvasion intensive internationale diplomatische Bemühungen, um mit Drittstaaten (China, Indien, Brasilien, Türkei ...) Verhandlungskanäle aufzubauen und zumindest im kleinen (z.B. Gefangenenaustausche oder humanitäre Korridore) zu Erleichterungen zu kommen.
Solange allerdings Russland mit aller Brutalität weiter die Ukraine angreift, bin ich der Meinung, dass wir ihr weiterhin die Mittel geben müssen, um sich verteidigen zu können. Ein sofortiger Waffenstillstand wäre möglich, wenn Russland seine Kampfhandlungen einstellt.
Zur Zeit geht es leider darum, für mögliche Verhandlungen (zunächst erst einmal für einen Waffenstillstand, später vielleicht auch einmal Friedensverhandlungen) der Ukraine eine möglichst gute Verhandlungsposition zu ermöglichen: Ich bin überzeugt, dass Russland solange weiterkämpfen wird, solange es Aussicht auf weitere wesentliche Geländegewinne sieht bzw. sogar einen vollständige Eroberung der Ukraine für möglich hält. Und eine militärische Niederlage der Ukraine hielte ich tatsächlich für eine große Bedrohung der gesamt Sicherheitslage in Europa. Unsere osteuropäischen, baltischen und skandinavischen Nachbarstaaten sind da sehr klar in Ihrer Einschätzung, die ich so teile.
Was die eigene militärische Ausrüstung angeht, sehe ich es nicht so, dass es darum geht, dass zukünftige Kriege noch brutaler und todbringender geführt werden sollen -- ganz im Gegenteil, es geht darum, durch glaubhafte Abschreckung zu verhindern, dass es überhaupt zum Krieg kommt. Ich gebe zu, dass ist eine Haltung, die sehr verschieden ist von der der Friedensbewegung in den 70er 80er Jahren des letzten Jahrhunderts und damit einer der wichtigen Gründungsströmungen der Grünen Partei. Meines Erachtens stellt sich die Situation heute aber auch grundlegend anders dar. Während damals die Sowjetunion eine auf Status-Quo bedachte Macht einer bi-polaren Welt war, ist das heute Russland revisionistisch und bereit, militärisch seine Grenzen zu verschieben. Zudem gibt es heute nicht mehr zwei geschlossene Blöcke, die sich gegenüberstehen, sonder die Welt zerfällt gerade wieder in mehrere "Einflusszonen", und sowohl die USA als auch China und Russland machen deutlich, dass wieder das Recht des Stärkeren gelten wird.
Ich hoffe, meine Einschätzung verdeutlicht zu haben, herzliche Grüße
Jan Marien