Frage an Irene Köhne von Andreas T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Köhne,
glauben Sie, dass zeitlich unbegrenzte "Berufs-"Politik, also die hauptberufliche, entgeltliche und karriereorientierte Beschäftigung mit Politik und insbesondere die Tätigkeit als Abgeordnete(r), im Rahmen eines Mandats, nicht im Grundsatz dem Demokratieprinzip widerspricht, weil Mandat (als Ehrenamt) und Beruf (als entgeltliche und insofern eigennützige Tätigkeit) gewissermaßen ein Gegensatz sind?
Gilt dies nicht insbesondere, wenn Abgeordnete über viele Jahre oder Jahrzehnte über Listen, die ja unabhängig von den für den Kandidaten persönlich abgegebenen Stimmen, den Wiedereinzug automatisieren, immer wieder in die Abgeordnetenplätze reinrutschen?
Antwort:
Sehr geehrter Herr Tzschacksch,
vielen Dank für Ihre spannende Frage, die es mir nicht leicht macht, einfach und zweifelsfrei zu antworten. Denn wenn man, wie ich, schon seit geraumer Zeit Mandatsträgerin im politischen Alltagsgeschäft ist, kommen einem auch selbst hin und wieder Zweifel an der momentanen Funktionstüchtigkeit unseres politischen Systems. Die Komplexität und die Unvollkommenheit sind manchmal auch für „Profis“ schwer auszuhalten.
Aber nun zu Ihrer eigentlichen Frage, der Entlohnung von Abgeordneten und der damit eng verbundenen Thematik der „Berufspolitiker“.
Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen: Regierungs- und Verwaltungsapparat neigen in der Politik dazu, Entscheidungen am Parlament vorbei zu treffen. Umso wichtiger ist es, einer Verselbstständigung von Verwaltungshandlungen das demokratische Prinzip, vor allem auch in Hinblick auf eine funktionierende Kontrolle, entgegenzuhalten. Eine Gesellschaft sollte immer das Interesse haben, dass die Kontrolle von Regierung und Verwaltung durch das Parlament funktioniert und eine hohe Durchdringungsquote, sprich Qualität, hat. Diese Qualität kann sie jedoch nur haben, wenn die Mitglieder des Parlaments sich intensiv mit ihrem Mandat auseinander setzen können und während ihrer Amtszeit autonom sind. Natürlich: Auch ich hätte gerne mehr Zeit zur Verfügung und mehr Mitarbeiter. Die Realität ist aber anders: Das Abgeordnetenhaus ist "nur" (oder zum Glück) ein Halbtagsparlament, sodass viele meiner Kollegen nebenher noch arbeiten gehen (um auch nach ihrer Amtszeit den Anschluss nicht verloren zu haben oder als Selbstständige ihren Kundenstamm beizubehalten). Eine Reduzierung der Mandate auf bloße Ehrenamtlichkeit lehne ich dezidiert ab, denn dann würde das System der demokratischen Kontrolle insgesamt noch uneffizienter werden, als es an manchen Stellen momentan leider ist.
Der von Ihnen aufgeworfene Gegensatz zwischen Ehrenamt und Beruf stellt sich aus meiner Sicht als Arbeitnehmerin und Gewerkschafterin genau andersherum: Würde die Tätigkeit im Abgeordnetenhaus aufs Ehrenamt reduziert, wäre vermutlich nur noch die Oberschicht aus Wannsee, Kladow und Alt-Heiligensee im Landesparlament vertreten. Andersherum wären die Mandatsträger nicht frei, sie wären ökonomisch gebunden und könnten sich nicht unbedingt kritisch äußern, zum Beispiel auch speziell entgegen Arbeitgeberinteressen.
Soweit erst mal ein kurzer Antwortversuch. Dies ist sicherlich ein unerschöpfliches Thema, dass man an vielen Stellen weiter diskutieren kann.
Mit freundlichen Grüßen
Irene Köhne