Frage an Ingrid Fischbach von Friedhelm L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Fischbach,
am 15.November sollen Sie, nach bestem Wissen und Gewissen, Ihr Votum zur beantragten Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan abgeben. Als überzeugter Pazifist (Jahrgang 1929) appelliere ich an Sie,die vorab gegebene Zustimmung zu revidieren und mit NEIN zu stimmen. Sie werden damit dazu beitragen, das weitere Sterben unschuldiger Frauen, Kinder und Männer zu verhindern.
Unsere deutschen Soldaten tun ihr Bestmögliches, um humanitäre Leistungen zu schützen, aber zumeist vergeblich. Sie werden nicht nur von den Taliban, sondern von einem Großteil der afghanischen Bevölkerung als ein Teil der kriegführenden Interventionalisten angesehen und daher vermehrt mit Raketen, Minen und Selbstmordattentaten bekämpft.
Deutschland wurde emotional, nicht vernunftgemäß, in den Afghanistankrieg hineingezogen. Militärs und andere Fachleute sagen aus, dass über 10-30 Jahre der Kriegseinsatz weiter "nötig" sein werde. Wir sind also in einer Sackgasse, aus der es schwer ist, herauszufinden. Nur wer klug und couragiert ist, ist auch bereit, Fehler zuzugeben und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Frieden ist vor allem mit wirtschaftlicher Unterstützung und Aufbauhilfe möglich, hier stimme ich der Bundeskanzlerin voll zu.Wie bekannt, wurden seit 2002 für den Krieg 85 Milliarden US-Dollarausgegeben, aber nur 7,5 Milliarden für den friedlichen Aufbau von Entwicklung in Landwirtschaft, Gesundheit, Ausbildung und Straßenbau.
Wenn Deutschland die durch Beendigung unseres militärischen Einsatzes gesparten Millionen Euro dem Wohl der Bevölkerung Afghanistans zukommen ließe, dann würde nicht nur die Sympathie für unser Volk wieder steigen, sondern wir würden echte Friedensarbeit leisten.
Mit freundlichen Grüßen aus Ihrem Wahlkreis
Friedhelm Laubkemeier
Sehr geehrter Herr Laubkemeier,
vielen Dank für Ihre email bei „abgeordnetenwatch“ vom 11. November 2007, in der Sie sich kritisch mit dem deutschen Einsatz in Afghanistan beschäftigen. Ich begrüße Ihre Beteiligung an der sicherheitspolitischen Diskussion sehr.
Da ich mit Ihrer Bewertung der Situation jedoch nicht in allen Punkten übereinstimme, möchte ich die Gelegenheit nutzen, meinen Standpunkt darzulegen sowie einige Detailinformationen zu liefern.
Zurückgehend auf eine Initiative der damaligen Rot/Grünen Regierung engagiert sich die Bundesrepublik Deutschland in zwei getrennten multinationalen Missionen in Afghanistan:
Die International Security Assistance Force (ISAF) ist eine durch den UN-Sicherheitsrat mandatierte Mission unter Führung der NATO aufgrund der Ursprungsresolution 1386. Ziel der Mission ist die Unterstützung der afghanischen Regierung bei der Schaffung eines sicheren Umfeldes und leistungsfähiger Sicherheitsorgane für den Wiederaufbau Afghanistans. Die Bundeswehr ist durch einen Beschluss des Parlaments seit dem 22. Dezember 2001 (BT-Drucksache: 14/7930 und Verlängerungen) am ISAF-Einsatz in Afghanistan beteiligt. Die Mandatsobergrenze umfasste bisher bis zu 3000 Soldaten. Teil der ISAF-Mission ist auch der Einsatz der Aufklärungstornados der Bundeswehr, deren Aufgaben Aufklärung, Überwachung und Auswertung aus der Luft umfassen. Der Tornadoeinsatz war bisher vom Bundestag gesondert mandatiert und hatte eine Obergrenze von 500 Soldaten (BT-Drucksache 16/4298). Beide Mandate wurden kürzlich zu einem Mandat mit einer Obergrenze von 3500 Soldaten zusammengefasst (BT-Drucksache 16/6460), von denen zur Zeit 3149 eingesetzt sind (Stand: 31. Oktober 2007). Durch die Addition der Mandate hat sich die Gesamtzahl der einsetzbaren Soldaten unter dem Strich nicht erhöht. Wir erhalten aber eine größere Flexibilität, bei Bedarf die Schwerpunkte des Personaleinsatzes zu verschieben.
Weiterhin engagiert sich die Bundesrepublik in der amerikanisch geführten Operation Enduring Freedom (OEF), die sich auf das Selbstverteidigungsrecht aus Artikel 51 der UN-Charta (Res. 1368, 1373, 1378) stützt. Im Rahmen von OEF können bis zu 1800 deutsche Soldaten (davon 1100 Marinesoldaten) eingesetzt werden (BT-Drucksache: 14/7296 und Verlängerungen). Hauptaufgabe des OEF-Mandats ist die internationale Terrorbekämpfung. Der deutsche Beitrag zu OEF findet zur Zeit fast ausschließlich im Rahmen des Marineeinsatzes um das Horn von Afrika und um die arabische Halbinsel statt. Hauptauftrag ist die Seeraumüberwachung und der Schutz von Seeverbindungslinien. So sollen vor allem die Transport- und Nachschubwege von Terroristen abgeschnitten werden, aber auch der Rückgang der Piraterie in diesem Bereich ist ein positiver Nebeneffekt. Aktuell sind in diesem Rahmen ca. 300 Soldaten im Einsatz, die Mehrzahl hiervon an Bord von Schiffen. Für Afghanistan sieht unser OEF-Mandat bis 100 Soldaten der Spezialkräfte vor, die jedoch seit Längerem nicht mehr angefordert wurden.
Auch wenn der deutsche Beitrag zu OEF einen anderen Schwerpunkt hat, so unterstützen wir jedoch ausdrücklich die Wichtigkeit von OEF in Afghanistan. Die Terrorbekämpfung, insbesondere im Süden des Landes, die Schutzaufgaben und das Training der afghanischen Streitkräfte die im Rahmen von OEF durch andere Nationen wahrgenommen werden, sind essentiell für die Sicherheit aller Einsatzkräfte und Aufbauhelfer in Afghanistan. ISAF und OEF sind getrennte Mandate, jedoch in der Zielrichtung aufeinander abgestimmt. Würden wir ISAF, und damit dem Wiederaufbau, die robuste Schutz- und Einsatzkomponente von OEF nehmen, würden alle unsere Vorhaben in Afghanistan in kurzer Zeit undurchführbar werden. Nur im Zusammenspiel ermöglichen die Missionen einen erfolgreichen Einsatz. Kombiniert ergänzen sie sich zur militärischen Komponente unseres Afghanistan-Konzepts.
Darüber möchte ich anmerken, dass dem Einsatz der deutschen Streitkräfte das Prinzip der „Vernetzen Sicherheit“ zugrunde liegt. Dieses Konzept sieht eine multilateral angelegte, ressortübergreifende Zusammenarbeit vor. Ziel ist es, die zivilen und militärischen Instrumente der wichtigsten Akteure wirksam miteinander zu verbinden. Hierzu werden politische, militärische, entwicklungspolitische, wirtschaftliche, humanitäre, polizeiliche und nachrichtendienstliche Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung integriert und aufeinander abgestimmt. Der Erfolg der zivilen Wiederaufbaubemühungen ist dabei ein essentielles Interesse der Streitkräfte. Nur mit einer funktionierenden wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur kann sich eine selbsttragende stabile Sicherheitslage entwickeln, welche die Voraussetzung für einen Abzug des Militärs ist.
Um dieses Ziel zu erreichen, stützt sich unser Konzept für Afghanistan auf das Prinzip des „Afghan Ownership“. Prämisse hat hierbei die Stärkung der afghanischen Eigenverantwortung beim Wiederaufbau der Institutionen und der Zivilgesellschaft. Bewusst gehen wir diesen Weg gemeinsam mit der afghanischen Regierung und Bevölkerung und orientieren uns dabei maßgeblich an deren Wünschen und Hoffnungen, um das Land effektiver zu selbsttragender Stabilität zu führen.
Bei unseren Bemühungen befinden wir uns immer noch am Anfang eines langen Weges, gleichwohl haben wir bereits eindeutige Erfolge vorzuweisen. Die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit wurden durch die Verabschiedung der Verfassung und verschiedener Gesetze auf ein in Afghanistan bisher unbekanntes Niveau gehoben. So werden in der Verfassung z.B. Frauen und Männer gleichgestellt, die wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen haben Verfassungsrang und traditionelle Formen der Unterdrückung wie Ehrenmorde oder Zwangsehen sind verboten worden. Gemeinsam mit der afghanischen Regierung konnte eine beachtliche Entwicklung im zivilen Wiederaufbau angestoßen werden. Seit 2001 entstanden mehr als 3500 Schulen, die Alphabetisierungsrate – auch unter Mädchen – steigt kontinuierlich an. Drei Viertel der Bevölkerung haben eine medizinische Grundversorgung. Die Infrastruktur befindet sich im Aufbau und ist besonders im städtischen Bereich bereits deutlich verbessert worden. In ländlichen Gebieten versucht die Bundeswehr mit ihrem „PRT Konzept“ (Provincial Reconstruction Team) die Entwicklung zu fördern. Die derzeit fünf PRTs werden durch eine Doppelspitze bestehend aus Beamten des Auswärtigen Amtes und Offizieren der Bundeswehr geführt. Diese zivil-militärische Leitung ermöglicht eine effiziente Koordinierung der Arbeit der Bundesbehörden, der NGOs sowie der Bundeswehr. Um möglichst große Nachhaltigkeit zu erreichen, werden nach Möglichkeit einheimische Organisationen eingebunden.
Gleichzeitig jedoch sind diese positiven Entwicklungen durch terroristische und kriminelle Aktivitäten im Land bedroht. Da den afghanischen Behörden in vielen Bereichen noch die Mittel zur Durchsetzung ihres hoheitlichen Monopols fehlen, nimmt die ISAF-Mission eine Reihe von militärischen Schutz- und Unterstützungsaufgaben wahr. Gerade die Aufklärungstornados der Bundeswehr leisten hierbei einen wichtigen Beitrag, da sie helfen, die Bewegungen feindlicher Kräfte frühzeitig zu erkennen. Auch die Einsatzkräfte der OEF-Mission sind in diesem Zusammenhang unabdingbar, da sie durch ihren Auftrag der Terrorbekämpfung einem erneuten Einsickern und Festsetzen von Terroristen entgegentreten. Das übergreifende Ziel ist jedoch, die afghanischen Behörden in die Lage zu versetzen, alle Sicherheitsaufgaben so bald wie möglich selbst wahrzunehmen. Zu diesem Zweck engagieren wir uns unter anderem in der Ausbildung von afghanischen Militär- und Polizeikräften.
Die ISAF-Mission in Afghanistan kann somit nicht ohne einen nachhaltigen zivilen Aufbau erfolgreich sein. Auf der anderen Seite ist dieser Aufbau momentan unmöglich ohne einen robusten militärischen Schutz. Recht deutlich äußert sich diese Wechselwirkung darin, dass staatliche Hilfsorganisationen und NGOs nur in den Sphären relativer militärischer Sicherheit, wie etwa in Kabul oder im Norden Afghanistans, erfolgreich arbeiten. In den umkämpften Gebieten im Süden Afghanistans – wo zivile Organisationen Anschläge und Entführungen befürchten müssen – ist die humanitäre Hilfe fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Da nur durch das gleichzeitige Stärken beider Säulen Fortschritte zu erreichen sind, versuchen wir durch die vernetzte Sicherheit hier eine möglichst enge Abstimmung zu erreichen.
Zur effektiven Verwirklichung unserer Ziele in Afghanistan haben wir darüber hinaus ein übergreifendes Gesamtkonzept entwickelt. Sowohl das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung als auch das Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion zum deutschen Engagement in Afghanistan bieten einen aufeinander abgestimmten Plan für unser weiteres Vorgehen in diesem Land.
Ein Rückzug der Bundeswehr zum jetzigen Zeitpunkt würde lediglich dazu führen, alle Fortschritte, die bisher gemacht worden sind, in Frage zu stellen. Auch die Sicherheit in Deutschland ist direkt vom Erfolg der Afghanistan-Mission abhängig. Im Falle eines Endes des Engagements der internationalen Streitkräfte, würde das Land innerhalb kürzester Zeit wieder zu einer Ausbildungsstätte für Terroristen werden, von denen auch für die deutsche Bevölkerung eine direkte Bedrohung ausgehen würde. Ein Rückzug aus Afghanistan würde Deutschland nicht vor Terroranschlägen schützen, wie manche behaupten. Wir würden uns bestenfalls das kurzfristige Wohlwollen von jenen Fanatikern erkaufen, die die Werte unserer Gesellschaft ohnehin als dekadent und schwach verachten. Viel dramatischer wären jedoch die Auswirkungen in Afghanistan selbst. Durch einen Rückzug würden wir alle Afghanen im Stich lassen, die sich keine Rückkehr in das Mittelalter und zu den Gewalttaten der Taliban wünschen. Deutschlands Glaubwürdigkeit als Schützer seiner Bürger – aber auch als ehrlicher Vertreter humanitärer Grundwerte – stünde zur Disposition, wenn wir uns im Angesicht solcher Perspektiven unserer Verantwortung entziehen.
Eine rein politische Lösung für den Aufbau der afghanischen Zivilgesellschaft, unter Ausschluss eines Streitkräfteeinsatzes, stellt momentan keine Perspektive dar. Die meisten der Talibankommandeure und ortsansässigen Warlords haben kein aufrichtiges Interesse daran, mit uns zu kooperieren, da sie langfristig auf eine Wiederherstellung der alten Zustände hinarbeiten. Auch mit wirtschaftlichen „Anreizen“ zur Zusammenarbeit ist in diesem Zusammenhang sehr vorsichtig umzugehen, um nicht Kriminellen die Ressourcen zur Verfügung zu stellen, mit denen sie Ihre Machtpositionen ausbauen können.
Wir nehmen die Frage des Wiederaufbaus in Afghanistan außerordentlich ernst und unterliegen bei unserer Analyse der Situation keinerlei ideologischen Denkbarrieren. Für einen Erfolg unserer Arbeit in diesem Land sind wir bereit, neue Wege zu beschreiten. Unser Vorgehen und unser Konzept für Afghanistan ist das Ergebnis langfristig angelegter außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen. Gleichzeitig versuchen wir der hohen Verantwortung gerecht zu werden, die wir für die afghanische Bevölkerung übernommen haben.
Wir sind zuversichtlich, den richtigen Weg beschritten zu haben, um diese schwierige Herausforderung zu bewältigen. Sowohl Afghanistan als auch die Bundesrepublik Deutschland werden hiervon profitieren.
Mit freundlichen Grüßen
Ingrid Fischbach, MdB