Frage an Ingo Wellenreuther von Frye H. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Dr.Wellenreuther,
anbei einige Fragen zum ESM-Vertrag:
Artikel 21 (1): Ist die EZB ein Finanzinstitut ? Kann der ESM Kredite der EZB aufnehmen ?
Wenn ja, bis zu welcher Höhe ? Wenn ja, bis zu welcher Höhe nach Abwicklung
des EFSF (Artikel 39) ?
Artikel 32 (9): Kann der ESM wie jede Bank handeln ? Hat er dann faktisch eine Banklizenz ?
Für die Beantwortung bedanke ich mich im voraus.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Frye
Sehr geehrter Herr Dr. Frye,
ich danke Ihnen für Ihre Anfrage vom 20. Juli 2012. Da es sich um sehr spezifische Fragen handelt, habe ich mir zur Beantwortung Informationen beim Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages eingeholt, weswegen ich Ihnen erst heute antworten kann.
Artikel 21 (1):
Ist die EZB ein Finanzinstitut?
Der ESM definiert sich selbst als eine "internationale Finanzinstitution" (Art. 1 Abs. 1 ESM-Vertrag), die von 17 Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets mittels eines völkerrechtlichen Vertrages gegründet wurde. Internationale Finanzinstitutionen sind beispielsweise auch die Weltbank oder der IWF. Es handelt sich beim ESM damit letztlich um eine gemeinsame Einrichtung von Zentralregierungen der EU, so dass der ESM grundsätzlich als Schuldner des "öffentlichen Sektors" eingeordnet werden dürfte.
Kann der ESM Kredite der EZB aufnehmen?
Allein unter Berücksichtigung des Binnenrechts des ESZB, wie es sich aus der Leitlinie EZB/2011/14 ergibt, könnte die EZB ihre Leitlinien autonom so gestalten bzw. abändern, dass der ESM als Geschäftspartner Kredite der EZB in Anspruch nehmen könnte. Sie könnte die Zulassungskriterien für den Abschluss geldpolitischer Geschäfte mit der EZB bzw. den nationalen Zentralbanken entsprechend ändern.
Allerdings muss bei dieser Frage auch Art. 123 AEUV in Betracht gezogen werden, der als Primärrecht der Union das Handeln der EZB bindet: Nach der Verbotsnorm des Art. 123 Abs. 1 AEUV ist es weder der EZB noch den nationalen Zentralbanken gestattet, der EU oder den Mitgliedstaaten direkte Kredite zu gewähren oder deren Schuldtitel unmittelbar zu erwerben (sog. monetäre Haushaltsfinanzierung). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass sich die EU oder die Mitgliedstaaten nicht über die EZB oder die jeweilige nationale Zentralbank zu deren - im Vergleich zu den Kapitalmärkten günstigeren - Bedingungen refinanzieren können, sondern stattdessen ihren Kapitalbedarf unter den geltenden Bedingungen der Finanzmärkte decken. Die Möglichkeit eines Mitgliedstaates, sich unter Umgehung der Kapitalmärkte bei einer Zentralbank - der EZB oder der nationalen Zentralbank - zu refinanzieren, könnte sich andernfalls nach übereinstimmender Meinung in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur inflationsfördernd auswirken. Wäre z. B. die EZB vertraglich verpflichtet, den Mitgliedstaaten unbegrenzt Kredite zu gewähren, geriete diese Geldmengenkomponente aus ihrem Kontrollbereich. Über die Höhe der monetären Basis würde anstelle der EZB ein nationaler Haushaltsgesetzgeber entscheiden. Durch das Verbot der monetären Finanzierung durch die Zentralbanken wird der öffentliche Sektor zu einer Kreditfinanzierung an den Kapitalmärkten gezwungen. Unsolide Haushaltsführung wird dort mit Zinsaufschlägen quittiert. Das Verbot gemäß Art. 123 AEUV soll damit die Bemühungen um eine solide Haushaltspolitik fördern.
Alleiniger Zweck des ESM ist es, seinen Mitgliedern mit schwerwiegenden Finanzierungsproblemen Stabilitätshilfe zu Konditionen bereitzustellen, die sie am Markt nicht mehr erzielen könnten (Art. 3 ESM-Vertrag), weswegen eine Kreditvergabe der EZB an den ESM der Zwecksetzung des Art. 123 AEUV grundsätzlich zuwider laufen würde.
Die EZB selbst hat in einer Stellungnahme vom 17. Mai 2011 festgestellt: "[.] Artikel 123 AEUV [würde] in Bezug auf die Rolle der EZB und des Eurosystems dem ESM nicht erlauben, ein Geschäftspartner des Eurosystems im Sinne von Artikel 18 des ESZB-Satzung zu werden. Bezüglich des Letzteren erinnert die EZB daran, dass das Verbot der monetären Finanzierung in Artikel 123 AEUV sowohl aus Gründen der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten als auch zur Einhaltung der Integrität der einheitlichen Geldpolitik und der Unabhängigkeit der EZB und des Eurosystems eine der Säulen der Rechtsstruktur der WWU [Wirtschafts- und Währungsunion] ist."
Wenn ja, bis zu welcher Höhe? Wenn ja, bis zu welcher Höhe nach Abwicklung des EFSF (Artikel 39)?
Entsprechend der obigen Ausführungen gehe ich nicht davon aus, dass der ESM Kredite der EZB aufnehmen kann.
Artikel 32 (9):
Kann der ESM wie jede Bank handeln? Hat er dann faktisch eine Banklizenz?
Art. 32 Abs. 9 ESM-Vertrag lautet: "Der ESM ist von jeglicher Zulassungs- oder Lizenzierungspflicht, die nach dem Recht eines ESM-Mitgliedes für Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsunternehmen oder sonstige der Zulassungs- oder Lizenzierungspflicht sowie der Regulierung unterliegende Unternehmen gilt, befreit."
Aus dem die Mitgliedstaaten als Vertragsparteien völkerrechtlich bindenden ESM-Vertrag ergibt sich damit, dass keiner der ESM-Mitgliedstaaten vom ESM eine Banklizenz für seine Bankgeschäfte verlangen darf. Eine Aussage über die Zulässigkeit einer Refinanzierung über die EZB ergibt sich hieraus indes nicht. Insoweit ist, wie oben ausgeführt, für die EZB auf das Recht der EU zurückzugreifen.
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Wellenreuther MdB