Frage an Ingo Wellenreuther von Siegfried L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Wellenreuther,
wie ich diversen Quellen ( http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/101/1710158.pdf, http://www.focus.de/politik/deutschland/chip-online-exklusiv-datenschutz-gau-meldeaemter-erhalten-neue-rechte_aid_778243.html ) entnehmen konnte, hat die CDU/CSU-Fraktion der Änderung des MRRG (und somit auch der (meiner persönlichen Meinung nach) impliziten Aushöhlung des Datenschutzes - durch $44 MRRG) zugestimmt.
Meine Fragen an Sie :
(1) Waren Sie persönlich bei dieser Abstimmung anwesend und wie habe Sie abgestimmt ?
(2) Können Sie mir vermitteln, welche Gründe dafür sprechen, persönliche Daten (ohne Widerspruchsrecht des Betroffenen) an "Hinz und Kunz" (ich spreche hier ausdrücklich nicht von staatlichen Institutionen) weiterzugeben ?
(3) Ist Ihrer Meinung nach der o.a. $44 MRRG mit dem Grundgesetz bzw. Art. 8 der EU-Grundrechtecharta vereinbar ? (Als Mitglied im Rechtsausschuss sollte Ihnen meines Erachtens die Beantwortung dieser Frage möglich sein)
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Lehmann
Sehr geehrter Herr Lehmann,
vielen Dank für Ihre Frage, auf die ich Ihnen gerne antworte.
Bei den Beratungen des Gesetzentwurfs in den Ausschüssen war ich anwesend, nicht aber bei der Abstimmung im Plenum.
Die beschlossene Neuregelung ist noch nicht in Kraft, daher gilt die derzeitige Rechtslage, die vor dem Hintergrund Ihrer zweiten Frage interessant ist: Bereits jetzt kann nach dem geltenden § 21 Abs. 1 MRRG jede Person oder Stelle eine Auskunft zu Vor- und Familienname, Doktorgrad und Anschriften einzelner Einwohner bei der Meldebehörde erhalten, sofern beispielsweise nicht schutzwürdige Interessen der Betroffenen beeinträchtigt werden (§ 6 MRRG). Zum Zweck dieser Regelung besagt der juristische Kommentar von Medert/Süßmuth "Melderecht des Bundes und der Länder": "Die Vorschrift trägt diesem Informationsbedürfnis des privaten Bereichs, dort insbesondere der Wirtschaft, Rechnung, indem sie davon ausgeht, dass in unserer Gesellschaft - so das BfD-Gutachten, Tz. 79 - "mit ihren vielfältigen Kommunikationsformen und -zwängen sich niemand ohne triftigen Grund seiner Umwelt gänzlich entziehen kann und darf. Er muss erreichbar bleiben und es hinnehmen, dass andere Mitbürger notfalls staatliche Hilfe erwarten, um mit ihm Kontakt aufnehmen zu können (z. B. zur Eintreibung von Forderungen, zur Durchsetzung von Erziehungspflichten und anderen Verantwortlichkeiten). Auch Benda, der frühere Präsident des BVerfG, kommt in seiner "Gutachtlichen Äußerung zu verfassungsrechtlichen Fragen des Entwurfs eines Meldegesetzes für das Land Berlin vom 27.12.1984" (nicht veröffentlicht) zu einem ähnlichen Ergebnis. Er führt dort in diesem Zusammenhang aus: "Das Meldewesen dient der Verfolgung vielfacher öffentlicher und privater Zwecke, Es ist ein wichtiger Teil der Dienstleistungsfunktion des modernen Staates für seine Bürger... Auch die Aufgabe, den Kontakt der Bürger untereinander zu erleichtern, der Wirtschaft relevante Informationen zur Verfügung zu stellen ..., sind gute Gründe für die Aufrechterhaltung und eine die Möglichkeiten neuer Technik nutzenden Verbesserung des Meldewesens." Nach allem kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass der private Sektor von dem Zugang zu den (zwangsweise erhobenen) Meldedaten nicht ausgeschlossen werden kann."
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 21. Juni 2006 keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des geltenden - im Verhältnis zu § 44 Bundesmeldegesetz (BMG) noch weitgehenderen - § 21 MRRG gelassen. Insofern gibt es keinen Grund, die Verfassungsmäßigkeit des § 44 BMG in Frage zu stellen.
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Wellenreuther MdB