Frage an Ingo Wellenreuther von Julius R. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Wellenreuther,
vielen Dank für Ihre Antwort!
Bei Ihrer Antwort verwechseln Sie eines: Ich fragte nach der Rechtmäßigkeit der Griechenlandrettung in Bezug auf den Vertrag von Lissabon, insbesondere Artikel 123. Ihre Antwort bezog sich auf des Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das lediglich eine Beurteilung in Bezug auf das Grundgesetz vorgenommen hat. Dass europäische Verträge das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben sind scheint für Sie selbstverständlich zu sein.
Wie können Sie davon ausgehen, das zukünftige Verträge (ESM, EFSF) beachtet werden, wenn alle bestehenden Verträge (auch von Ihnen!) ignoriert werden?
Zu Ihrer Erklärung, dass Griechenland lediglich "Kredite" erhalten und diese auch zurückzahlen würde ein kurzes Gedankenspiel:
Wir betrachten ein fiktives Unternehmen:
1. Es arbeitet hochdefizitär
2. Es ist überschuldet
3. Es ist zahlungsunfähig
Gibt es irgendjemanden, der ein solches Unternehmen für solvent erklärt oder glaubt, dass man, wenn man ihm jetzt weiteres Geld gibt, es später zurückerhalten wird?
Griechenland ist ohne Inflation nicht konkurrenzfähig. Die Hilfszahlungen sind bisher vollkommen wirkungslos gewesen, Griechenland steht heute nicht besser da als vor einem Jahr. Gehen Sie die Probleme an, anstatt sie zu verzögern. Die aktuelle Politik der Regierung ist nichts anderes als Insolvenzverschleppung, damit ist niemandem geholfen.
Mit freundlichen Grüßen
Julius Reuter
Sehr geehrter Herr Reuter,
vielen Dank für Ihre Nachfrage, auf die ich Ihnen gerne antworte.
Ich kann Ihre Bedenken im Hinblick auf die derzeitige Staatsschuldenkrise und die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden, gut nachvollziehen. Sie können versichert sein, dass ich mich sehr wohl an Gesetz und Recht halte. Was den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB angeht, so verbietet Art. 123 AEUV den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln öffentlicher Stellen durch die Zentralbanken, nicht aber den mittelbaren Erwerb solcher Titel (so die so weit ersichtlich einhellige Auffassung in der Rechtswissenschaft, vgl. Ulrich Häde in Calliess/Ruffert, Kommentar zum EUV/AEUV, Art. 123, Rn. 10). Der Ankauf von Staatsanleihen, die sich bereits auf dem Markt befinden, ist der EZB also daher gestattet, ob es sinnvoll ist, ist ein anderes Thema.
Ein Vergleich eines Staates in der Eurozone mit einem Unternehmen ist kaum möglich. Auch wenn die wirtschaftswissenschaftliche Fachwelt in der Beurteilung der derzeitigen Krise sehr uneins ist, so ist doch überwiegend anerkannt, dass es aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen der Staaten erhebliche negative Folgewirkungen für andere Staaten hätte, wenn Griechenland leichtfertig aus der Euro-Zone entlassen würde. Dieser sog. Domino-Effekt besteht bei Unternehmen nicht in dieser Form.
Umgekehrt liegt es aber in der vollen Verantwortung Griechenlands, die Reformschritte, an die weitere Kredite geknüpft werden, strikt und unbedingt einzuhalten und damit ihre Zahlungsfähigkeit selbst zu sichern. Dazu vereinbaren der Internationale Währungsfonds - der im Übrigen schon vielfach erfolgreich derartige Staatsschuldenkrise gemeistert hat - als unabhängige Institution und die Kommission der EU unter Mitwirkung der Europäischen Zentralbank mit dem Mitgliedstaat konkrete Maßnahmen, wodurch die Defizite der Staaten zurück geführt und deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verbessert werden sollen, und überwachen deren Einhaltung. Werden diese Maßnahmen nicht eingehalten, wird der nächste Teilbetrag nicht ausgezahlt - hier gibt es keinen Entscheidungsspielraum, das ist in den Verträgen und im deutschen Gesetz so vorgesehen.
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Wellenreuther MdB