Frage an Ingo Wellenreuther von Horst D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Wellenreuther,
zum Thema ESM-Vertrag bitte ich Sie freundlicherweise um Beantwortung der nachfolgenden Fragen:
Im Artikel 21, Absatz 2 steht geschrieben:
"Leistet ein ESM-Mitglied bei einem Kapitalabruf nach Artikel 9 Absätze 2 und 3 keine Zahlung, erfolgt an alle ESM-Mitglieder ein geänderter Kapitalabruf zur Einzahlung von höheren Beträgen, um sicherzustellen, dass der ESM den Gesamtbetrag des erforderlichen einzuzahlenden Kapitals erhält."
Meine Fragen:
1) Ist es zutreffend, dass die verbleibenden noch zahlungsfähigen bzw. zahlungswilligen ESM-Mitglieder in diesen Fällen über ihren eigentlichen Anteil hinaus, auch noch die anteiligen Anteile der nicht mehr zahlungsfähigen bzw. zahlungswilligen ESM-Mitglieder übernehmen müssen?
2) Bis zu welcher Höchtsumme zu Lasten der einzelnen ESM-Mitglieder gilt diese Regelung?
3) Was kann die ESM gegen nicht zahlende Mitglieder konkret unternehmen?
4) Durch welche Regelung innerhalb des ESM-Vertrages wird sichergestellt, dass letztendlich nicht nur noch ein Mitglied, zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland, als einzig noch verbleibende Zahler übrig bleibt?
5) Welche Sicherheiten werden von den Zahlungsempfängern gestellt?
sowie:
6) Warum erhält der IWF den Status eines bevorrechtigten Gläubigers?
7) Warum erhalten die unter Artikel 30 Abs. 1 genannten handelnden Personen Immunität?
Für die Beantwortung bedanke ich mich im voraus.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Dormann
Sehr geehrter Herr Dormann,
vielen Dank für Ihre Frage, auf die ich Ihnen gerne antworte, wobei ich zunächst betonen möchte, dass bisher lediglich ein Entwurf für einen "Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)" vorliegt, der auch erst ab Juli 2013 gelten soll. Die Verhandlungen auf europäischer Ebene über den genauen Text des ESM-Vertrages verzögern sich, es sind also noch Änderungen an dem Entwurf zu erwarten.
Zu 1. Das ist korrekt, allerdings ist in Art. 21 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 des ESM-Vertragsentwurfs geregelt, dass der so genannte Gouverneursrat gegen den säumigen Mitgliedstaat vorgeht, damit dieser seiner Zahlungspflicht (samt Zinsen) nachkommt und dass - wenn die Zahlung nachträglich erfolgt ist - die anderen Mitgliedstaaten den zu viel bezahlten Betrag zurück erhalten.
Zu 2. Dies geht aus dem ESM-Vertragsentwurf nicht hervor, hier besteht noch Klärungsbedarf.
Zu 3. Zu klären ist auch, welche konkrete Maßnahmen das Vorgehen des Gouverneursrats nach Art. 21 Abs. 2. des ESM-Vertragsentwurfs gegen einen säumigen Mitgliedstaat umfassen soll. Art. 4 Abs. 7 des ESM-Vertragsentwurfs sieht jedenfalls vor, dass der säumige Mitgliedstaat für die Dauer des Versäumnisses sein Stimmrecht verliert.
Zu 4. Ein derartiger Ausfall von ESM-Mitgliedern würde die Geschäftsgrundlage des ESM aushebeln und damit seine Gültigkeit beenden.
Zu 5. Es ist vorgesehen, dass der ESM unter anderem aus insgesamt 80 Mrd. eingezahltem Kapital besteht, das ab 2013 von sämtlichen Mitgliedstaaten entsprechend ihres jeweiligen Anteils am Kapital der EZB in fünf gleichen jährlichen Raten einzuzahlen ist. Diese Einlage stellt bereits eine Sicherheit eines jeden Staates dar.
Darüber hinaus erschließt sich mir nicht der Gedanke von Sicherheiten, der auch schon im Rahmen der Griechenland-Hilfe aufkam. Ein Staat, der Kredite aus dem ESM in Anspruch nehmen muss, hat erhebliche Finanzprobleme und wird nicht über Geld- oder Goldreserven in einer Höhe verfügen, die als Sicherheiten hilfreich sein könnten. Was Ländereien als Sicherheit angeht, könnte es sich hierbei ohnehin nur um Land handeln, welches im Staatsbesitz steht. Es wäre dann diesbezüglich sinnvoller, wenn dem Staat im Rahmen der Reformprogramme, an die die Kredite geknüpft werden, aufgegeben wird, diese Ländereien selbst zu veräußern, um die Kredite zu bedienen, als wenn der Umweg über andere Länder gewählt würde.
Zu 6. Es ist geplant, dass ESM und IWF den Status bevorrechtigter Gläubiger haben werden, da diese Gremien die finanziellen Unterstützungen als Darlehensgeber auszahlen sollen, wobei - wie der ESM-Vertragsentwurf - sagt, "akzeptiert wird, dass der IWF dem ESM als Gläubiger vorrangig ist." Der ESM-Vertragsentwurf sagt aber auch: "Die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten werden sich dafür einsetzen, dass dem ESM und den anderen Mitgliedstaaten, die bilateral neben dem ESM als Darlehensgeber auftreten, ein gleichwertiger Gläubigerstatus zuerkannt wird."
Zu 7. Zunächst ist zu betonen, dass die Immunität nur hinsichtlich der amtlichen Tätigkeiten besteht und die Immunität außerdem auf Beschluss des Gouverneursrats aufgehoben werden kann. Immunitäten sind bei internationalen Finanzinstitutionen üblich und sind demgemäß z. B. beim IWF oder der Weltbank vorgesehen. Sinn und Zweck einer Immunitätsgewährung ist es, die Unabhängigkeit und die Funktionsfähigkeit der Organisation zu gewährleisten. Die Immunität ist demnach zum Beispiel für die Durchführung einer Schuldenrestrukturierung bzw. Umschuldung wichtig, die im ESM für den Fall vorgesehen ist, dass ein Land seine Schuldentragfähigkeit nicht alleine durch Finanzhilfen wiederherstellen kann. Mitarbeiter des ESM sind dann z.B. vor Klagen von Banken geschützt, die bei einer solchen Umschuldung Geld verlieren.
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Wellenreuther MdB