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Ingo Flemming
CDU
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Frage von Holger T. •

Frage an Ingo Flemming von Holger T. bezüglich Bundestag

Sehr geehrter Herr Flemming,

welche Haltung haben Sie zur Verkleinerung des Bundestages?

Mit freundlichen Grüßen
H. T.

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Trepte,

ich bedanke mich für Ihre Frage, welche eine gravierende und ebenso komplexe Problematik aufgreift. Meiner Auffassung nach ist der Bundestag mit 709 Sitzen in dieser Legislaturperiode zu groß. Die Sollgröße liegt bei 598 Sitzen. Würde eine notwenige Wahlrechtsreform scheitern, droht mit der kommenden Bundestagwahl aus dem XL-Bundestag ein XXL-Bundestag mit 800 Abgeordneten oder mehr zu werden. Dieser Umstand hängt originär mit unserem Verhältniswahlrecht und Parteiensystem zusammen. Umso schwächer die Volksparteien werden und sich das Parteiensystem weiter ausdifferenziert, desto wahrscheinlicher ist ein Wachstum der Bundestagssitze.

Ein stetiges Anwachsen hätte nicht nur Platzprobleme in den Berliner Bundestagsgebäuden zur Folge, sondern wäre auch teuer für den Steuerzahler. Ebenso würde die Funktionsfähigkeit des Parlaments und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die repräsentative Demokratie leiden. Aus diesen und weiteren Gründen bin ich für die Verkleinerung und eine Anpassung des Wahlrechts.

Jedoch ist die Lage kompliziert: Anderthalb Jahre hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) mit einer fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe nach einem gemeinsamen Reformvorschlag gesucht. Dieser Vorschlag scheiterte im Frühjahr dieses Jahres. Seitdem schwelen unterschiedliche Fraktionsvorschläge, welche aufgrund der zeitlichen Nähe zur kommenden Bundestagswahl nur wenig Aussicht auf Erfolg haben werden, da meines Wissens nach keine Kompromissbereitschaft fraktionsübergreifend herrscht.

Die Orientierungsgröße in einer Wahlrechtsreform liegt fraktionsübergreifend bei 598 Abgeordneten. Der gravierendste Streitpunkt ist aber der Umgang mit Überhang- und Ausgleichsmandaten, welche den Kern der Wahlrechtsreform bilden sollen. Ich bin fest davon überzeugt, dass in jeder Novellierung des Wahlgesetzes jede Wählerin und jeder Wähler zwei Stimmen haben muss: eine Erststimme für Direktkandidaten und eine Zweitstimme für die Parteien. Ein komplett anderes Wahlsystem soll und darf es aus meiner Sicht nicht geben, weswegen sich die Sitzverteilung an den Zweitstimmanteilen, also dem Verhältniswahlrecht, orientieren muss. Folglich müssen aber auch die Überhangmandate ausgeglichen werden. Hierzu hatte bereits das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass es ohne der Zuführung eines Ausgleichsmandates maximal 15 Überhangmandaten geben sollte.

Auch nicht zur Diskussion darf das Direktmandat, also die Personalisierung der Verhältniswahl stehen. Wer seinen Wahlkreis gewinnt, soll ein Mandat bekommen. Ebenso sollen aber in einer möglichen Wahlkreisreform die Direktmandatskreise nicht zu groß sein, damit noch eine Bindung zwischen dem Mandatsträger und den Menschen besteht. Deshalb kann die Wahlkreisanzahl nicht einfach stark verringert werden. Ebenso muss beachtet werden, dass Abgeordnete aus dem ganzen Land einziehen sollen. Deshalb kann man für Überhangmandate nicht einfach beliebig parteiliche Landeslistenmandate streichen. Aus dieser Gemengelage muss aber eines hervorgehen: das Wahlrecht ist für eine Demokratie so zentral, dass es nicht politisiert werden darf. Demzufolge muss meiner Auffassung nach eine Wahlrechtsreform möglichst einstimmig beschlossen werden.

Die Bundestagsfraktion der CDU und CSU haben bedauerlicherweise bisher keinen gemeinsamen Vorschlag gemacht. Unsere Freunde von der CSU lehnen eine Wahlkreisreduzierung kategorisch ab. Die Haltung zur Wahlkreisreform ist in der CDU hingegen ambivalent. Ich halte es ähnlich wie die CSU: Eine Reduzierung wie auch Vergrößerung der Wahlkreise darf es nicht geben, da schon heute einzelne Wahlkreise unüberschaubar groß sind. In einem einzelnen Wahlkreis, welcher größer als das Saarland ist, ist Bürgernähe und Repräsentation schlichtweg nicht mehr möglich. Hierbei möchte ich insbesondere auf Bundestagskollegen aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg verweisen.

Seitens der Union stehen derzeit drei Ideen im Raum: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat vorgeschlagen, die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 270 zu verringern. Zudem solle es erst nach 15 Überhangmandaten einen Ausgleich für die anderen Fraktionen geben. Die Kollegen aus der CSU haben vorgeschlagen, dass alles so bleibt, wie es ist, aber eine Höchstgrenze von 650 oder 690 Sitzen definiert wird. Dieser Vorschlag würde alle Direktmandate weiter garantieren, aber ebenso wie der Vorschlag von Herrn Schäuble die Mehrheitsverhältnisse gegenüber den Oppositionsparteien unter Umständen verzerren. Der dritte Vorschlag stammt aus einer Initiative einiger Unionskollegen. Das sogenannte Grabenwahlsystem soll die Erst- und Zweitstimme nicht verrechnen. Letztere Idee ist mutig, jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht konsensfähig.

Zuletzt möchte ich nicht vorenthalten, dass es einen weiteren und eher unorthodoxen Vorschlag gibt. Dieser erfordert aber ein generelles Umdenken bezüglich Wahlen und insbesondere dem Verhältniswahlrecht. Würde der Satz im Bundeswahlgesetz geändert werden, dass jener Mandatsbewerber, welcher seinen Wahlkreis gewinnt, auch die meisten Erststimmen auf sich vereinigen muss, dann wird dieser nicht automatisch einziehen. Mit der Änderung von diesem Passus könnte Wahlkreissieger sein, wer nicht der mit den meisten Erststimmen ist, sondern die meisten durch Zweitstimmen gedeckten Erststimmen vereinigt. Mit dieser Änderung würden Ausgleichsmandate ersatzlos verschwinden. Hierzu empfehle ich die Studie von Dr. Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung.

Mit freundlichen Grüßen,

Johannes Schwenk

 

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