Dr. Inge Gräßle
Inge Gräßle
CDU
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Frage von Michael U. •

Frage an Inge Gräßle von Michael U. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Gräßle,

der Europäische Gerichtshof hat am 29.Oktober vergangenen Jahres Deutschland im Zusammenhang mit den Kölner Messehallen wegen eines Verstoßes gegen die EU-Richtlinie zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge verurteilt (Urteil C-536/07, www.curia.europa.eu ).

Der Auftrag für die Kölner Hallen war ohne öffentliche Ausschreibung an einen privaten Investor vergeben worden. Um den freien Wettbewerb zu umgehen, wurde er als “Mietvertrag” deklariert, obwohl es sich nach den Feststellungen des EU-Gerichts tatsächlich um einen Bauauftrag gehandelt hatte. Das Urteil könnte sich im Nachhinein als Segen für die Stadt Köln erweisen, weil sie jetzt womöglich neue Verträge mit für den Steuerzahler günstigeren Konditionen aushandeln kann.

Nun schreibt die in Luxemburg erscheinende Zeitschrift FORUM in ihrer jüngsten Ausgabe Nr. 293 ( www.forum.lu ), dass sich das Europäische Parlament in Brüssel in einer ähnlichen Situation befindet wie die Stadt Köln. Der Bauauftrag für seine beiden jüngsten Gebäude (D4/D5) im Wert von 340 Millionen € sei als “Pachtvertrag” deklariert worden, um Ausschreibungen zu umgehen.

FORUM berichtet weiter, der EU-Bürgerbeauftragte habe die Betrugsbekämpfer vom OLAF-Amt bislang vergeblich aufgefordert, die Ausschreibungsverfahren ernsthaft zu untersuchen.

Stimmt es, dass es beim Bau des Europa-Parlaments und dessen Finanzierung keine öffentliche Ausschreibung gab?

Wird das Parlament nun Geld von dem regelwidrig begünstigten Unternehmen zurückverlangen?

FORUM schreibt, OLAF halte den Namen eines von ihm bezahlten Experten für öffentliche Ausschreibungen geheim, der moniert haben soll, dass der frühere Generalsekretär des Parlaments ausdrücklich Anweisung gegeben habe, sich über die Vorgaben der EU-Ausschreibungsrichtlinie hinwegzusetzen. Kennen Sie den Namen des Experten und sein Gutachten?

Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort und

mit freundlichen Grüßen

Michael Urnau

Dr. Inge Gräßle
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Urnau,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Vorab darf ich Sie bitten, die lange Bearbeitungsdauer nachzusehen, die sich bedauerlicher Weise aus der Rücklaufdauer der zuständigen Dienste ergeben hat.

Nach den mir vorliegenden Informationen vermag ich Ihre Einschätzung, nachdem sich das Europäische Parlament bei der Beschaffung seiner Gebäude D4 und D5 in Brüssel (die im wesentlichen Büroräume und Sitzungssäle beherbergen) in einer der Stadt Köln vergleichbaren Situation befand, nicht zu teilen.

Aus dem Sachverhalt des von Ihnen genannten Urteils darf ich zitieren:

"8 Die Kölnmesse GmbH (im Folgenden: Kölnmesse) ist eine Gesellschaft privaten Rechts, deren Anteile zu 79,02 % von der Stadt Köln und zu 20 % vom Land Nordrhein-Westfalen gehalten werden. Die restlichen 0,98 % der Anteile sind im Streubesitz mehrerer Kammern und Verbände. Gegenstand der Gesellschaft ist die Organisation von Messen und Ausstellungen zur Förderung von Industrie, Handel und Handwerk.

9 Am 18. Dezember 2003 verkaufte Kölnmesse der GKM-GbR, einer privaten Investmentgesellschaft, ein für den Neubau von vier Messehallen benötigtes Grundstück zu einem Preis von 67,4 Millionen Euro. Das städtebauliche Planungskonzept bildete einen Bestandteil des Grundstückskaufvertrags.

10 Am 6. August 2004 schloss die Stadt Köln mit der GKM-GbR einen Vertrag mit der Bezeichnung „Mietvertrag über die Anmietung eines Grundstücks mit vier Messehallen“, in dem die GKM-GbR der Stadt Köln für 30 Jahre ein Nutzungsrecht an dem Baugrundstück und den darauf zu errichtenden Bauwerken einräumte. Der monatliche Mietzins betrug 1,725 Millionen Euro, wobei für die ersten 13 Monate keine Miete geschuldet war. Die Parteien bezeichnen diesen Vertrag als „Hauptvertrag“. Nach diesem Vertrag schuldete die GKM-GbR eine Ausführung mindestens mittlerer Art und Güte und war verpflichtet, der Stadt Köln die Bauwerke in der festgelegten Größe, Art und Beschaffenheit zur Verfügung zu stellen. Die Beschaffenheit wurde durch die Baugenehmigungsplanung der Stadt Köln festgelegt. Nach den Schätzungen von Kölnmesse, denen die Kommission nicht widersprochen hat, beliefen sich die Baukosten auf 235 Millionen Euro.

11 In einem Vertrag vom 11. August 2004 mit der Bezeichnung „Untermietvertrag über die Anmietung eines Grundstücks mit vier Messehallen“, dessen Wortlaut weitgehend mit dem des Hauptvertrags übereinstimmt, wurde Kölnmesse von der Stadt Köln die Nutzung der im Hauptvertrag beschriebenen zu errichtenden Bauwerke überlassen. Am 11. und am 16. August 2004 schlossen diese beiden Parteien eine „Durchführungsvereinbarung zum Untermietvertrag“, in der die Stadt Köln Kölnmesse zur vollständigen Durchführung und Wahrnehmung aller Rechte und Pflichten bevollmächtigte, die die Stadt Köln im Verhältnis zur GKM-GbR übernommen hatte. Darüber hinaus sollte die Stadt Köln darauf hinwirken, dass die GKM-GbR die gesamte Durchführung des Hauptvertrags unmittelbar mit Kölnmesse vornimmt.

12 Die Parteien sind sich darüber einig, dass sich die Gegenleistung der Stadt Köln an die GKM-GbR nach dem Hauptvertrag, nämlich die monatlichen Mietzinszahlungen über die Laufzeit des Vertrags von 30 Jahren, auf rund 600 Millionen Euro beläuft.

13 Nach dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland wurden die Messehallen am 1. Dezember 2005 fertiggestellt und der Stadt Köln als Hauptmieter übergeben."

Im Unterschied hierzu waren die Grundstücke, auf denen heute die Gebäude D4 und D5 stehen, ursprünglich im Eigentum einer Immobilienentwicklungsgesellschaft "Léopold". Im Zuge der Erweiterung der EU war klar, dass die bis dahin bestehenden Gebäude des Parlaments nicht mehr aureichen würden, um die gewachsene Zahl von Abgeordneten unterzubringen. Gleichzeitig musste auch eine praktikable Lösung gefunden werden, weswegen für den Erweiterungsbau die damals direkt an das Parlament angrenzenden beschafft wurden. Diese hatte die Leopold nach den mir gegebenen Informationen aber nur als Gesamtpaket mit (zu schaffenden) aufstehenden Gebäuden verkauft. Der juristische Dienst des Parlaments war mit der Frage befasst und hatte die Anwendbarkeit der Vergaberichtlinie von Ihnen geprüft. Wegen des Ausschließlichkeitscharakters der in Frage kommenden Grundstücke fand diese jedoch keine Anwendung.

Daher unterscheidet sich der Sachverhalt insoweit maßgeblich von dem der Stadt Köln, als die Stadt Köln ursprünglich (durch ihre GKM-GbR) selbst Eigentümerin des Grundstücks war und - stark vereinfacht - dies zum Zwecke der Bebauung an einen Dritten verkaufte und zurückmietete. Dies hat dann auch der EuGH als vergaberechtswidrig angesehen.

Bitte haben Sie darüber hinaus Verständnis, dass ich nur die an das Parlament gerichteten Fragen beantworten kann und Sie wegen Ihrer Fragen an das Betrugsbekämpfungsamt OLAF und den Europäischen Ombudsmann unter Berücksichtigung derer Verfahrenskompetenzen und- vorschriften an diese verweisen darf. Woher die Zeitung FORUM ihre Informationen bezogen hat, ist mir nicht bekannt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Inge Gräßle

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