Frage an Ilse Falk von Gerhard S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Falk,
Der Neuauflage des EU-Verfassungs-Vertrages dem "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union", hat die Bundesregierung bereits zugestimmt. Der Bundesrat und Sie als Mitglied des Bundestages müssen hierüber noch abstimmen.
Wir möchten Sie hiermit auf den nachfolgenden Artikel 2 "Das Recht auf Leben", der mit das Fundament für die Grundrechte in Europa darstellen soll und über das Sie abstimmen werden, aufmerksam machen:
(Deutscher Bundestag, Drucksache 15/4900;gekürzt wegen Zeichenbeschränkung)
Artikel 2 2)
Recht auf Leben
(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Leben.
(2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.
E r l ä u t e r u n g
1. Absatz 1 dieses Artikels basiert auf Artikel 2 Absatz 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention
, der wie folgt lautet:
"(1) Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt …".
2. "Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet
werden." Auf dieser Vorschrift beruht Artikel 2 Absatz 2 der Charta.
3. So müssen die in der EMRK enthaltenen "Negativdefinitionen" auch als Teil der Charta betrachtet werden:
a) Artikel 2 Absatz 2:
"Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch
eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um
a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;
b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;
c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen".
b) Artikel 2 des Protokolls Nr. 6:
"Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten
oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden …".
Wir möchten von Ihnen, einem Vertreter des gesamten deutschen Volkes, der nur seinem Gewissen verpflichtet ist, wissen, ob Sie für oder gegen das genannte Vertragswerk stimmen werden.
Für eine Antwort sei vorab gedankt.
--
Initiative von Marx & Skaleneffekte.de
Sehr geehrter Herr Schiller,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema „Demokratie und Bürgerrechte“.
Ich werde dem Gesetz zum Vertrag von Lissabon, über das nächste Woche Donnerstag im Deutschen Bundestag abgestimmt wird, zustimmen.
Zu Ihren Anmerkungen bezüglich der Todesstrafe möchte ich Folgendes anmerken:
In der Tat ist in der Charta der Grundrechte der EU, die durch den EU-Reformvertrag Rechtsverbindlichkeit erlangt, in Art. 2 das "Recht auf Leben" verankert, wonach gem. Art. 2 Abs. 2 "Niemand zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden darf". Dies ist eine klare und eindeutige Aussage gegen die Todesstrafe.
Die EMRK ist im Jahr 1950 abgeschlossen worden, d.h. nicht lange nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Vor diesem historischen Hintergrund sind die Formulierungen im Protokoll Nr. 6 zur Konvention zu verstehen, die tatsächlich missverständlich sein können, aber nur, wenn man gerade diesen historischen Hintergrund ausblendet und die Regelungen als vermeintliche Regelung pro Todesstrafe instrumentalisieren möchte - wie dies in der vorliegenden Stellungnahme getan wird.
Wie genau das Verhältnis zwischen der Grundrechtecharta und der EMRK zu beurteilen ist, bedarf einer langen juristischen Abhandlung und wird letztendlich vom EuGH zu beurteilen sein. In jedem Fall wird die EMRK hier im Lichte der eindeutigen Charta zu lesen sein müssen.
In Deutschland ist nach Art. 102 GG die Todesstrafe ohnehin abgeschafft und die Ratifikation des Vertrags von Lissabon wird hieran nichts ändern. Das BVerfG hat u.a. in seiner Maastricht- Entscheidung geurteilt, dass das Europarecht die Grundwerte unserer Verfassung nicht brechen kann und dass das BVerfG die Rechtssprechungshoheit über diesen Schutz behält. Die Abschaffung der Todesstrafe gehört selbstverständlich dazu.
Zudem achtet selbstverständlich auch die EU die "Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten" (siehe u.a. Art. 6 Abs. 3 Vertrag über die EU) worunter ebenfalls die Abschaffung der Todesstrafe unbedingt zu zählen ist.
Mit freundlichen Grüßen
Ilse Falk MdB