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Frage von Michael L. •

Frage an Ilja Seifert von Michael L. bezüglich Soziale Sicherung

Hallo Herr Seifert,

ich bin "Nutzer" einer Behindertenwerkstatt für psychisch Erkrankte in Schleswig-Holstein und arbeite schon seit einigen Jahren im Arbeitsbereich (Tischlerei). Was uns an gesetzlichem Grundlohn und Arbeitsförderungsgeld gezahlt wird, ist an Menschenverachtung und Schäbigkeit kaum noch zu überbieten. Ich erhalte rund 150 Euro monatlich inklusive Leistungsprämie, dafür darf ich dann aber auch über 30 Stunden in der Woche "malochen". Die Arbeit ist körperlich anstrengend, gepaart mit einem hohen Unfall- und Verletzungsrisiko, was in einer Tischlerei zwangsläufig in der Natur der Sache liegt.

Die Verantwortlichen innerhalb der Einrichtung wissen das auch, berufen sich aber auf die Gesetzeslage:

Man sei bemüht, aber letztenendes hinge man am Gängelband von Gesetzgebung und Politik. Dort spiele die Musik, nach der man zu Tanzen habe.

Was der Staat mit uns macht, ist eindeutig finanzielle Behindertendiskreminierung. Hier versuchen Politiker, wie so oft, auf dem Rücken von Menschen, die sich nicht wehren können, brutal Geld zu sparen.

Wer so etwas behinderten Menschen im eigenen Land zumutet hat auch nicht mehr das Recht, sich als Moralapostel aufzuspielen und Kinderarbeit in der dritten Welt zu kritisieren.

Kämpfen Sie weiter für uns und hauen Sie ordentlich auf den Tisch !

Halten Sie es für sinnvoll, wenn wir eine bundesweite
WfbM-Nutzer-Gewerkschaft gründen, die für unsere finanziellen
Rechte gegenüber Staat und Gesetzgeber kämpft ?

MfG

Michael Langosch

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Michael Langosch,

haben Sie zunächst herzlichen Dank für diese Frage, denn sie spricht ein großes Problem an, das außerhalb des Kreises der unmittelbar Betroffenen kaum bekannt ist: die außerordentlich geringen Zahlbeträge der Entgelte in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfMmB), darunter solchen mit psychischen Erkrankungen.

In diesem Zusammenhang fragen Sie, ob ich es für sinnvoll hielte, eine Gewerkschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von WfMmB zu gründen.

In jedem Falle halte ich eine starke, selbstorganisierte Interessenvertretung der Werkstattmitarbeiterinnen und Werkstattmitarbeiter für sinnvoll. Ob das eine Gewerkschaft sein muß, kann ich momentan nicht abschließend beurteilen. Bisher ist mir bekannt, daß es eine Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) und etliche Landesarbeitsgemeinschaften (LAG) der Werkstatträte gibt. Sie versuchen u.a. durchaus das, was Sie als eine der Aufgaben der von Ihnen ins Gespräch gebrachten Gewerkschaft benennen: Höhere Entgeltzahlungen zu erreichen.

Allerdings stoßen wir hier auf ein prinzipielles Problem der WfMmB: Sie sind keine "richtigen" Betriebe. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - also Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen - haben keine "richtigen" Arbeits- sondern "nur" Werkstattverträge. "Folgerichtig" haben Sie auch keinen Betriebsrat sondern "nur" einen Werkstattrat. Und Sie erhalten - im Gegensatz zu den Angestellten, die Sie anleiten - weder Lohn noch Gehalt sondern ein "Entgelt". Dieses muß von den behinderten Werkstattmitarbeiterinnen und -mitarbeitern - also von Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen - "erwirtschaftet" werden. Die Gehälter Ihrer Anleiterinnen und Anleiter werden hingegen aus den Zuwendungen beglichen, die der WfMmB dafür gezahlt werden - sei es vom Sozialamt, sei es vom Integrationsamt -, daß sie Sie "beschäftigt".

In dieser Logik - der "Logik der Sondereinrichtung" - ist gewerkschaftliche Interessenvertretung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (leider) nicht vorgesehen. Wenn Sie also eine solche Gewerkschaft gründen wollen, werden Sie vermutlich zunächst einen sehr großen Teil Ihrer Energie darauf verwenden müssen, sich überhaupt das Recht zu erstreiten, eine Gewerkschaft bilden zu dürfen. Insofern könnte es klüger sein - ich sage das ausdrücklich im Konjunktiv (in der Möglichkeitsform) -, die bestehenden Zusammenschlüsse der Werkstatträte auf Länder- und Bundesebene weiter zu qualifizieren, sie inhaltlich, konzeptionell, personell und auch finanziell zu stärken. Ob sie sich dann eines Tages zu einer richtigen, schlagkräftigen Gewerkschaft entwickeln, wird sich zeigen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen
Viel Erfolg!
Ihr

Ilja Seifert