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Ilja Seifert
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Frage von Clemens K. •

Frage an Ilja Seifert von Clemens K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Seifert,

mit der Novellierung des § 218 und der Ersetzung der embryopathischen Indikation durch die medizinisch-soziale Indikation (§ 218a Abs.2) im Jahre 1995 sind Spätabtreibungen bis zur Geburt möglich geworden. In der Folgezeit ist es zu einem sprunghaften Anstieg der Spätabtreibungen gekommen. Experten sprechen davon, dass bei Abtreibungen nach der 20. Woche etwa jedes dritte Kind lebend zur Welt kommt. Um das Überleben zu verhindern, wird das Kind immer häufiger noch vor der künstlichen Geburtseinleitung im Mutterleib durch eine Kaliumchlorid-Spritze ins Herz getötet. Ärzteverbände fordern seit 1997 ein Verbot der Abtreibung überlebensfähiger Kinder.

Die Formulierungen im Gesetz geben weite Ermessensspielräume, so dass es bei diagnostizierten Behinderungen des Kindes immer häufiger zu Spätabtreibungen kommt. Das liegt zum einen an dem eingefügten Begriff der Zumutbarkeit. Das Gesetz leistet damit dem Anspruchsdenken von Eltern nach einem gesunden Kind Vorschub.

Es ist behindertenfeindlich und widerspricht in seiner Konsequenz dem im Grundgesetz verankerten Diskriminierungsverbot für Behinderte.

Es ist für den indizierenden Arzt unmöglich, sich ein Bild über die "gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren" zu machen. Ich fordere den Gesetzgeber auf, gemäß des Untermaßverbots des Bundesverfassungsgerichts aktiv zu werden und einen wirksamen Schutz des Lebens ungeborener Kinder auf den Weg zu bringen.

Ich hoffe sehr, dass ich von Ihnen höre, ob Sie sich in diesem Sinn einsetzen werden.

Mit freundlichen Grüßen

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Knuth,

als der Bundestag - nach äußerst kontroverser Debatte - den § 218 novellierte, stimmte ich gegen das jetzt geltende Gesetz. Die damalige Gruppe PDS/Linke Liste hatte hatte einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der den $ 218 gänzlich abschaffen und somit den Schwangerschaftsabbruch entkriminalisieren wollte. Ich entschied mich dafür, weil ich mich in der Abwägung zweier Grundrechte - des Rechtes der Frau auf Unverfügbarkeit Anderer über ihre Leiblichkeit ("Mein Bauch gehört mir!") und des Rechtes des Embryos auf Leben - nach reiflicher Überlegung uneingeschränkt auf die Seite der Frauenbewegung stellte. Diesen Standpunkt habe ich auch heute noch inne.

Allerdings haben Sie Recht, daß inzwischen ein vorgeburtlicher Genozid an "behinderten" Föten eingetreten ist. Was seinerzeit als "großer Erfolg" verkauft wurde - die Streichung der embryopathischen (eugenischen) Indikation -, erweist sich als pure Heuchelei. So unterstützenswert ich es finde, daß keine Frau gezwungen werden darf, gegen ihren Willen ein Kind zur Welt bringen zu müssen, so inakzeptabel finde ich es, wenn sie ein b e s t i m m t e s Kind, ein Kind mit b e s t i m m t e n Eigenschaften nicht zur Welt bringen wollen soll.

In der Behindertenbewegung - da haben Sie Recht - wird dieses Thema höchst sensibel diskutiert. Die "Euthanasie" der Nazis - die bewußte Vernichtung sogenannt "lebensunwerten Lebens" - steht hier noch deutlich im Bewußtsein. Deshalb unterstütze ich jede Initiative, diesbezüglich aufzuklären. Wir brauchen ein gesellschaftliches Umfeld, in dem es kein Armutsrisiko wird, ein Kind mit einer (schweren) Beeinträchtigung zu haben. Wir brauchen ein öffentliches Bewußtsein dafür, daß behinderungsbedingte Nachteile unabhängig von der Ursache der Beeinträchtigung bedarfsdeckend ausgeglichen werden müssen. Wir brauchen auch ein Menschenbild, daß nicht zur Vereinsamung von Familien (oder häufig nur den alleingelassenen Frauen) mit behinderten Kindern führt.

All das sind große Ziele. Sie zu erreichen, ist nicht leicht. Der Weg ist lang, steinig und oft gewunden. Aber ich möchte auch nicht in Zeiten zurückfallen, in denen junge Frauen qualvoll starben, weil sie wegen einer ungewollten (oder gar aufgezwungenen) Schwangerschaft zur Kurpfuscherin gingen.

Ich möchte, daß das Leben mit Behinderungen - die meisten werden ohnehin erst nach der Schwangerschaft erworben - genauso gut oder schwierig wird, wie das ohne. Und ich möchte, daß Frauen, die sich auf ihr Kind freuen, das auch dann tun, wenn es nicht einer fiktiven "Norm für Mensch" entspricht.

Ilja Seifert