Frage an Hüseyin Aydin von Günther B. bezüglich Familie
Einige Mitglieder der Linken beteiligen sich an der Montagsdemonstration und an den Zahltag-Aktionen vor der ARGE, was ich als Montagsdemonstrant der ersten Stunde sehr begrüsse. Eine "offizielle" und mobilisierende Beteiligung an solchen Aktivitäten oder ein Aufruf zur bundesweiten Demonstration der Montagsdemonstrationen am 24. Oktober in Berlin kann ich aber leider nicht registrieren. Die Linke plakatiert "Hartz IV abwählen". Glauben Sie wirklich, dass man die Hartz-Gesetze einfach "abwählen" kann, und sie nicht mehr in einer breiten gesellschaftlichen Bewegung einschliesslich der Gewerkschaften bekämpfen muss? Müssen die Linken erst über 50% kommen, damit Hartz IV wieder vom Tisch kommt?
Mit freundlichen Grüssen
Dr.med.Günther Bittel
Sehr geehrter Herr Bittel,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen zu unserer plakatierten Wahlkampf-Forderung "Hartz IV abwählen" sowie zur Beteiligung der Partei DIE LINKE an gesellschaftlichen Protestbewegungen gegen "Hartz IV", Sozialabbau und die arbeitnehmerfeindliche Politik der Bundesregierung. Dies sind in der Sache wichtige Fragen an mich und meine Partei.
Ihr suggestiver Fragestil rief allerdings bei mir den ersten Eindruck hervor, dass hinter dem Bezug auf die Montagsdemonstrationen und der gestellten Fragen der Vorwurf steht, DIE LINKE habe sich von den sozialen Bewegungen entfernt. Sollte ich mit meinem Eindruck falsch liegen, bitte ich dies zu entschuldigen. In jedem Fall aber sehe ich die Notwendigkeit, etwas grundsätzlicher auf die von Ihnen aufgeworfenen Fragen zu reagieren:
1) Zur Wahlkampfaufforderung: "Hartz IV abwählen!"
Mit ihrer Plakatkampagne für die Bundestagswahl bewirbt DIE LINKE politische Kernaussagen und zentrale Forderungen aus ihrem Wahlprogramm (u.a. auch die Forderungen nach dem gesetzlichen Mindestlohn, mehr Geld für Bildung, der Rücknahme der Rente mit 67, dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan etc.). DIE LINKE hat sich im Wahlprogramm und in ihren politischen Initiativen - im Bundestag, auf Länder- und kommunaler Ebene wie auch außerparlamentarisch (s.u.) - unmissverständlich für eine grundlegende Neuausrichtung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik positioniert. Wir fordern den (Wieder-) Aufbau und die Stärkung öffentlicher Solidarsysteme, die unter den Regierungen von Rot-Grün und Schwarz-Rot stark ausgehöhlt wurden, sowie die Rückkehr zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik.
In dem Zusammenhang fordern wir die Abschaffung der "Hartz IV"-Gesetze: Unser mittelfristiges Ziel ist die Ersetzung von "Hartz IV" durch eine Mindestsicherung, die sanktionsfrei ist, die Erwerbslose vor dem unverschuldeten Absturz in die Armut bewahrt und Bedürftigen ein menschenwürdiges Leben gewährleistet. Kurzfristig - d.h. bereits für die kommende Wahlperiode - haben wir konkrete Forderungen zur spürbaren Verbesserung der Lebensbedingungen für "Hartz IV"-Empfänger/innen aufgestellt und Maßnahmen aufgezeigt, um Erwerbslosen die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Dazu gehört die Anhebung der monatlichen Regelsätze auf mindestens 500 Euro / Person; dazu gehören höhere Leistungen für Alleinerziehende und Familien mit Kindern; und dazu gehört eine soziale Neuregelung der Wohnkostenförderung. Vor allem fordern wir die Streichung der Sanktionsparagrafen (§ 31 im SGB II), der heute ALG II-Bezieher/innen dazu zwingt, auch Jobs mit unsozialen Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung anzunehmen, da sonst Leistungsabzüge drohen. (Eine detaillierte Darstellung finden Sie in unserem Wahlprogramm: http://die-linke.de/wahlen/positionen/wahlprogramm/bundestagswahl/2_die_sozialen_interessen_der_menschen_in_den_mittelpunkt_stellen/27_soziale_sicherheit_solidaritaet_statt_privatisierung/ ) Für diese Forderungen stehen wir mit unserem Slogan "Hartz IV abwählen!" ein.
Wahlen sind fester Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. DIE LINKE stellt sich diesem Wettbewerb mit dem Ziel, im neuen Bundestag mit einer starken Fraktion vertreten zu sein. Wir sind davon überzeugt, dass eine starke parlamentarische LINKE wichtig ist, um den Menschen eine Stimme zu geben, deren Interessen und Bedürfnisse von der derzeitigen Großen Koalition (und noch mehr im Fall einer möglichen Schwarz-Gelben Koalition) an den Rand gedrückt werden. DIE LINKE hat sich bei einer wachsenden Zahl der Bürgerinnen und Bürger als einzige im Bundestag vertretene politische Kraft profilieren können, die konsequent gegen die Politik der Umverteilung von unten nach oben, gegen Sozialabbau und Privatisierung einsteht, und die glaubwürdige wirtschafts- und sozialpolitische Alternativen aufzeigt. Daher ist jede Stimme für DIE LINKE durchaus eine Stimme für die "Abwahl" von Hartz IV und die wirtschaftsliberale Politik der Großen Koalition, die zeigt, dass ein wachsender Anteil der Wähler/innen einen Politikwechsel einfordert.
Die absolute Mehrheit für DIE LINKE, die Sie in ihrer Frage ansprachen, ist 2009 zweifellos nicht zu erwarten. Allerdings bin ich persönlich nicht der Auffassung, dass DIE LINKE als Oppositionspartei völlig ohne Einfluss ist. In der vergangenen Wahlperiode hat unsere Bundestagsfraktion erfolgreich (nicht nur) soziale Themen auf die parlamentarische Agenda gesetzt. Mit unseren Forderungen und Initiativen u.a. zum Mindestlohn, zur Rente, zur Gesundheitsreform, zur Re-Regulierung des Finanzsystems und für ein umfassendes Konjunkturprogramm zur Abfederung der Krisenfolgen ist es uns gelungen, die bürgerlichen Parteien und vor allem die SPD als Juniorpartner in der Großen Koalition mehrfach unter Zugzwang zu setzen.
Dass damit unser Ziel einer gerechten, zukunftsfähigen und demokratischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung keineswegs erreicht ist, ist unbestritten. (Und dazu bedarf es im Übrigen auch weit mehr als eine parlamentarische Regierungsmehrheit.) Doch mit einer starken Vertretung der LINKEN im Parlament besteht ein Adressat und Ansprechpartner für soziale Bewegungen, Gewerkschaften und andere außerparlamentarische Gruppen. Unsere Oppositionsarbeit hatte einen wichtigen Anteil daran, dass Standpunkte und Forderungen dieser Gruppen zum Gegenstand parlamentarischer Auseinandersetzungen wurden und eine breite (Medien-) Öffentlichkeit fanden. Dies führt mich zu Ihrer zweiten Frage:
2) Das Verhältnis der Partei DIE LINKE zu Gewerkschaften und außerparlamentarischen sozialen Bewegungen:
DIE LINKE und auch ich persönlich sind der Überzeugung, dass für eine erfolgreiche Durchsetzung linker politischer Ziele beides notwendig ist: eine starke parlamentarische Vertretung UND eine breite politische Mobilisierung für fortschrittliche Ziele durch Gewerkschaften, Sozialverbände und außerparlamentarische (neue) soziale Bewegungen.
Mit Ihrer versteckten Forderung, DIE LINKE müsse enger mit sozialen Bewegungen zusammenarbeiten, stoßen Sie längst geöffnete Türen auf: DIE LINKE unterstützt seit Jahren Gewerkschaften, (neue) soziale Bewegungen und Sozialverbände in ihrem Kampf für eine gerechtere Gesellschaft. Partei und Fraktion haben in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von außerparlamentarischen Initiativen und NGOs, mit Gewerkschaften und Verbänden zu Demonstrationen aufgerufen, Kundgebungen mitorganisiert und unterstützt. Unsere Partei arbeitet kontinuierlich mit Gewerkschaftsvertreter/innen zusammen. Fest institutionalisiert ist auch die Zusammenarbeit von Parteigremien mit Erwerbsloseninitiativen und anderen Gruppen.
Um Ihnen ein aktuelles Beispiel zu geben, verweise ich auf die Beteiligung der LINKEN am bundesweiten Bündnis "Wir zahlen nicht für eure Krise - für eine solidarische Gesellschaft" ( http://www.kapitalismuskrise.org ). DIE LINKE gehört zu den aufrufenden Organisationen des Bündnisses. Sie hat zusammen mit zahlreichen Gewerkschaftsgliederungen und -Initiativen, einigen Sozialverbänden und kirchlichen Gruppen sowie mit einer Vielzahl fortschrittlicher und linker NGOs und Initiativen aus den Feldern der Sozial- und Wirtschaftspolitik, der Friedensbewegung und der Nord-Süd-Zusammenarbeit an der Organisation und Durchführung der erfolgreichen bundesweiten Demonstration am 28. März des Jahres mitgewirkt. Darüber hinaus ist DIE LINKE in der Bundeskoordination des Bündnisses vertreten und unterstützt zentrale und dezentrale Aktivitäten des Bündnisses, beispielsweise zum bundesweiten Aktionstag des Bündnisses am 17. September, sowie die Vernetzung und Verstetigung dieser breiten, partei-übergreifenden Bewegung.
Auch in meiner persönlichen Arbeit nimmt der Kampf gegen die Hartz IV-Gesetzgebung einen wichtigen Stellenwert ein. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, findet seit der Eröffnung meines Duisburger Wahlkreisbüros im Frühjahr 2006 dort eine wöchentliche Sozialberatung statt, die regen Zulauf erhält. Die Bürgerinnen und Bürgern haben in erster Linie Bedarf an juristischer Beratung in sozialrechtlichen Fragen. Vermehrt sind schikanöse Anordnungen und Bescheide der ARGE Gegenstand der Beratungsgespräche. Dieses Angebot einer praxisorientierten und bürgernahen Arbeit, das die von Hartz IV betroffenen Menschen direkt unterstützt, ist ebenso ein wichtiges Element im Kampf gegen die Hartz-IV-Gesetzgebung.
Mit freundlichen Grüßen,
Hüseyin Aydin