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Hubertus Heil
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Frage von Christian B. •

Wird es eine langfristige Homeoffice-Lösung für Grenzgänger zwischen Deutschland und Österreich geben?

Sehr geehrter Herr Heil,

die Sonderregelung zwischen den Staaten, die das Homeoffice während der Pandemie regelte, läuft zum Ende des Monats ab. Es scheint, dass sich die Schweiz zusammen mit DE und FR um eine langfristige Lösung bemüht. Zum Einen wurde die Vereinbarung ein weiteres halbes Jahr verlängert, zum Anderen laufen Gespräche zu einer langfristigen Lösung. Ich arbeite bei einer österreichischen Firma, die ihren österreichischen Mitarbeitern 100% Homeoffice ermöglicht. Aufgrund der aktuellen Steuerlage basierend auf dem Doppelbesteuerungsabkommen DT-AT werden deutsche Mitarbeiter hier benachteiligt und die derzeitige Regelung ist nicht mehr zeitgemäß. Auch ist hier der wichtige Umwelt-Aspekt zu erwähnen sowie zusätzlich z.B. lange Wartezeiten an der Grenze aufgrund der Blockabfertigung.

Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Antwort und dass Sie dieses Thema weiter tragen.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank, dass Sie sich mit Ihrer Frage an mich wenden. Gerne werde Ich Ihnen die aktuelle Lage der Arbeitssituation erläutern, leider bezieht sich ein Teil Ihrer Frage auf steuerrechtliche Angelegenheiten, zu denen ich Ihnen leider keine Auskunft geben kann, da dafür das Bundesministerium für Finanzen zuständig ist.

Sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder Selbständige in der EU/EWR/Schweiz grenzüberschreitend tätig, gelten für den Bereich der sozialen Sicherheit die Vorgaben der Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) Nr. 883/2004 und 987/2009).

Nach Art. 11 VO (EG) Nr. 883/2004 unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt, grundsätzlich den Rechtsvorschriften dieses Staates. Dies bedeutet, dass allein die entsprechenden Bestimmungen dieses Staates u. a. zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung anzuwenden sind. Bei Entsendungen im Sinne des Sozialversicherungsrechts (Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004) oder für den Fall, dass die betreffende Person mehrere Erwerbstätigkeiten in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ausübt bzw. regelmäßig in mehreren Mitgliedstaaten eingesetzt wird (Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004), wird jedoch bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ausnahmsweise von diesem Grundsatz abgewichen. Diese Ausnahmen werden durch die Koordinierungsverordnungen im Interesse der betreffenden Personen vorgesehen, um häufige Wechsel zwischen den Sozialversicherungssystemen verschiedener Mitgliedstaaten zu vermeiden.

Bei grenzüberschreitender mobiler Arbeit gilt grundsätzlich der Ort (oder die Orte) als Beschäftigungsort im Sinne des Sozialversicherungsrechts, an dem die Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird – bei mobiler Arbeit also der Ort, an dem zum Beispiel der Laptop gerade steht.

*             Arbeitet eine Person also ausschließlich von zu Hause aus für einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat/EWR-Staat oder der Schweiz ansässigen Arbeitgeber, unterfällt sie dem System der sozialen Sicherheit ihres Wohnstaates, der gleichzeitig Beschäftigungsstaat im Sinne des Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a) VO (EG) Nr. 883/2004 ist.

Findet die Tätigkeit einer Person sowohl als mobile Arbeit/Telearbeit von zu Hause als auch vor Ort bei ihrem Arbeitgeber statt sind insbesondere zwei Konstellationen denkbar:

*             Arbeitet eine Person regelmäßig von zu Hause aus für einen Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat/EWR-Staat oder der und ansonsten vor Ort bei ihrem Arbeitgeber (z.B. in dessen Büro), gilt sie als Person, die ihre Beschäftigung gewöhnlich in zwei Mitgliedstaaten ausübt. Das anzuwendende Sozialversicherungsrecht bestimmt sich nach Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004: Liegt der Anteil der mobilen Arbeit unter 25 Prozent, unterfällt die Tätigkeit insgesamt dem Recht der sozialen Sicherheit des Staates, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat (vgl. Art. 13 Abs. 1 Buchstabe b) VO (EG) Nr. 883/2004, Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009). Dies muss nicht zwingend der Ort sein, an dem das Büro liegt. Liegt der Anteil der Arbeit des mobilen Arbeitens im Wohnstaat über 25 Prozent, findet eine Gesamtbewertung der Tätigkeit für die nächsten 12 Monate statt, in der Regel mit dem Ergebnis, dass diese insgesamt dem Recht des Wohnstaates unterfällt. Ganz grob gesagt bedeutet dies, dass ein:e vollzeitbeschäftigte:r Grenzgänger:in mit regelmäßig einem Tag Homeoffice pro Woche dem Recht der sozialen Sicherheit des Staates unterfällt, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat; ein:e vollzeitbeschäftigte Grenzgänger:in mit mehr als einem Tag Homeoffice pro Woche unterfällt hingegen dem System der sozialen Sicherheit ihres Wohnstaates.

*             Arbeitet eine Person ausnahmsweise für einen begrenzten Zeitraum ausschließlich von zu Hause oder einem anderen Ort (z.B. Ferienhaus) aus für einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat/EWR-Staat oder der Schweiz ansässigen Arbeitgeber und ansonsten vor Ort bei ihrem Arbeitgeber (z.B. in dessen Büro), gilt bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004. Es liegt also eine sozialversicherungsrechtliche Entsendung der betreffenden Person vor, so dass das Recht der sozialen Sicherheit des eigentlichen Beschäftigungsstaates weiter anwendbar bleibt.

Sonderfall: Homeoffice während der Pandemie und anschließender Übergangszeitraum bis Ende 2022

Aufgrund der verschiedenen Fallgestaltungen der mobilen Arbeit/Telearbeit/Homeoffice als Mittel der Pandemiebekämpfung („flatten the curve“) soll bis einschließlich Juni 2022 eine pandemiebedingte Tätigkeit im Homeoffice keine Auswirkungen auf das anzuwendende Recht der sozialen Sicherheit haben. Die Europäische Kommission verwies für eine juristische Rechtfertigung dieses Vorgehens auf den Umstand, dass die Sondersituation der Pandemie ein Fall von höherer Gewalt („force majeure“) sei, der ein Abweichen von den üblichen Regeln zulasse. Diese „höhere Gewalt“ besteht jedoch nicht mehr in einer Situation, in der Homeoffice/mobiles Arbeiten nicht unmittelbar der Pandemie geschuldet ist, sondern aus freien Stücken erfolgt.

Um etwaige Härten in Bezug auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer:innen zu vermeiden und den Arbeitgebern ausreichend Zeit für eine etwaige Antragstellung (z.B. auf eine Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 VO (EG) Nr. 883/2004) einzuräumen, hat die Verwaltungskommission zur Koordinierung der sozialen Sicherheit am 14. Juni 2022 einen Übergangszeitraum bis Ende Dezember 2022 beschlossen, während dessen sich an der pandemiebedingten Handhabung des Titels II der VO (EG) Nr. 883/2004 nichts ändert. Die entsprechende Guidance wird in Kürze auf der Internetseite der Europäischen Kommission veröffentlicht.

Ich hoffe Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Hubertus Heil

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