Warum werden Erwerbszeiten im EU-Ausland bei Eintritt einer vollen Erwerbsminderung in der Zurechnungszeit mit 0,0000 Rentenpunkten bewertet?
Sehr geehrter Herr Heil,
die schulische Ausbildung ab dem 17 Lebensjahr wird in Monaten berechnet und ausgeklammert. Die Erwerbstätigkeit im EU-Ausland hingegen wird faktisch mit 0,0000 Rentenpunkten bewertet. Das führt bei Eintritt der vollen Erwerbsminderung mit vorheriger Erwerbstätigkeit zu jeweils gleichen Anteilen im EU-Ausland und in Deutschland in der Zurechnung zu einer erheblichen Rentenkürzung! Das verstößt gegen die Freizügigkeit und dürfte gegen EU-Recht verstoßen?
Sehr geehrter Herr D.,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Das koordinierende europäische Sozialrecht sichert die Ansprüche derjenigen aus den Systemen der sozialen Sicherheit, die von ihrer Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, der EWR-Staaten (Norwegen, Island und Liechtenstein) und der Schweiz Gebrauch machen. Es gewährleistet insbesondere, dass Beschäftigte sowie selbstständig Erwerbstätige keine Nachteile in Kauf nehmen müssen, wenn sie in verschiedenen Mitgliedstaaten, den EWR-Staaten oder der Schweiz tätig werden.
Das koordinierende europäische Sozialrecht kann die Berechnung der Rente beeinflussen, weshalb eine besondere Berechnung – die sogenannte zwischenstaatliche Berechnung – vorgesehen ist. Es ist aber nicht so, dass allein ein Staat eine Rente aus allen Zeiten in den Mitgliedstaaten, den EWR-Staaten bzw. der Schweiz zahlt. Sobald die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind, gewährt, berechnet und zahlt jeder Mitgliedstaat, EWR-Staat bzw. die Schweiz nach seinen bzw. ihren Vorschriften eine eigene Rente aus den dort zurückgelegten Zeiten.
Hierfür wird eine zwischenstaatliche Berechnung aus allen Zeiten, also deutschen und mitgliedstaatlichen Zeiten, durchgeführt. Jeder Mitgliedstaat führt eine solche zwischenstaatliche Berechnung durch. Die mitgliedstaatlichen Zeiten werden dabei so berücksichtigt, als wären sie im Inland zurückgelegt worden. Dies führt, weil nun mehr Beitragszeiten im Erwerbsleben vorhanden sind, zu einer höheren zwischenstaatlichen Rente.
Anschließend setzt jeder Rentenversicherungsträger die jeweils eigenen, nationalen Zeiten in das Verhältnis zu allen Zeiten in der EU (sogenanntes pro-rata-Verhältnis). Es ergibt sich eine anteilige zwischenstaatliche Rente. Durch diesen Schritt wird verhindert, dass sämtliche Zeiten mehrfach von den verschiedenen Rentenversicherungsträgern honoriert werden. In Fällen, in denen eine Zurechnungszeit angerechnet wird, kann die zwischenstaatliche Rente ggf. auch niedriger sein als die innerstaatliche Rente, weil die Zurechnungszeit bei der zwischenstaatlichen Berechnung nur im pro-rata-Verhältnis zu berücksichtigen ist.
Sofern die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente wegen Erwerbsminderung auch ausschließlich mit deutschen Zeiten erfüllt sind, wird vergleichsweise eine Berechnung der Rente ohne die mitgliedstaatlichen Versicherungszeiten (innerstaatliche Rente allein aus deutschen Zeiten) vorgenommen. Versicherungszeiten im Ausland sind bei der innerstaatlichen Rentenberechnung wie Lücken zu behandeln, da keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland gezahlt wurden. Sie wirken sich damit negativ auf die Ermittlung des Durchschnittswerts an Entgeltpunkten aus, mit dem die Zurechnungszeit bewertet wird. Bei der zwischenstaatlichen Berechnung wird dieser Nachteil grundsätzlich ausgeglichen, weil hierbei wie erläutert die mitgliedstaatlichen Versicherungszeiten so berücksichtigt werden, als wären sie im Inland zurückgelegt worden.
Schließlich werden die Zahlbeträge der Rente aus der innerstaatlichen Berechnung (Rente allein aus deutschen Zeiten) und der zwischenstaatlichen Berechnung verglichen und die höhere Rente wird gezahlt. Nachteile aus der Beschäftigung im Ausland werden auf diese Weise vermieden, ein Verstoß gegen die Freizügigkeit liegt nicht vor.
Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil, MdB