Frage an Hubertus Heil von Gert T. bezüglich Senioren
S. g. Herr Heil,
wie paßt die Erhöhung der Diäten im Bundestag zu der phänomenalen Erhöhung der Renten? Empfinden Sie Scham, wenn Sie jetzt Ihr erhöhtes Gehalt bekommen?
Sehr geehrter Herr Teska,
vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de zum Thema Diätenerhöhung, auf die ich Ihnen gerne antworten möchte.
Abgeordnete haben nach Artikel 48 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) und der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung („Diät“) und eine entsprechende Altersentschädigung (Ruhegeld), die der Besoldung folgt. Beide wurden zuletzt zum 1. Januar 2003 angehoben.
Die Bundestagsabgeordneten erhalten monatlich ein „Gehalt“ von derzeit 7.009 Euro brutto. Diese Abgeordnetenentschädigung ist wie alle Einkommen (Lohne, Gehälter) zu versteuern. Bei der Einführung der Pflegeversicherung in Deutschland wurde vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Feiertag gestrichen. Da die Abgeordneten jeden Tag Abgeordnete sind, konnte man ihnen natürlich keinen Feiertag streichen, deshalb wurde das ausgezahlte „Gehalt“ reduziert auf aktuell 6.989,80 Euro. Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, ein dreizehntes Monatsgehalt oder ähnliches bekommen Abgeordnete nicht.
Bei der Höhe der Abgeordnetenentschädigung ist vor allem die Frage zu beantworten, was ist angemessen. Was ist angemessen für einen Wahlkreisabgeordneten oder eine Wahlkreisabgeordnete, die die Interessen von ca. 250.000 Bürgerinnen und Bürgern vertreten? Was ist angemessen für jede und jeden der über 600 Abgeordneten, die in unserem Land darüber entscheiden, ob deutsche Soldaten ins Ausland geschickt werden (Beispiel Kosovo, Afghanistan) oder nicht (Beispiel Irak). Was ist angemessen für die Abgeordneten, die über die Zukunft unserer Kranken- und Rentenversicherung, über die Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik und darüber entscheiden, welche Steuern wir zahlen sollen.
Kritisiert wird dabei vor allem, dass die Abgeordneten selbst über die Höhe von Entschädigung und Altersentschädigung entscheiden. Im Rahmen des geltenden Grundgesetzes ist es nicht möglich, die Entscheidung über die Höhe der Diät auf andere zu übertragen, obwohl auch viele Abgeordnete angesichts der meist kritischen Öffentlichkeit eine solche Übertragung der Entscheidung befürworten. Der Deutsche Bundestag muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes selbst über jede Erhöhung der Entschädigung vor den Augen der Öffentlichkeit durch Gesetz entscheiden. Die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung kann daher nicht auf eine unabhängige Expertenkommission übertragen oder durch eine automatische jährliche Anpassung in der Höhe der durchschnittlichen Steigerung der Löhne und Gehälter ersetzt werden.
Der Bundesgesetzgeber hat den verfassungsrechtlichen Vorgaben und den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts bei der Verabschiedung des Abgeordnetengesetzes im Jahre 1977 Rechnung getragen, indem er als Orientierungsgröße für die Entschädigung der Abgeordneten die Bezüge solcher Amtsinhaber, die einer mit den Abgeordneten vergleichbaren Verantwortung und Belastung unterliegen, wählte. Als vergleichbar mit den Abgeordneten, die Wahlkreise mit 200 bis 300 Tausend Wahlberechtigten vertreten, wurden Bürgermeister kleiner Städte und von Gemeinden mit 50 bis 100 Tausend Einwohnern angesehen. Sie erhalten als kommunale Wahlbeamte auf Zeit eine Vergütung der Besoldungsgruppe B6. Als vergleichbar wurden auch die einfachen Richter bei einem obersten Gerichtshof des Bundes (Bundesgerichtshof, Bundesarbeitsgericht, etc.) angesehen, die bei der Ausübung ihres Amtes ähnlich wie Abgeordnete unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Sie erhalten eine Vergütung nach der Besoldungsgruppe R6. Mit der Änderung des Abgeordnetengesetzes im Jahre 1995 wurde der Orientierungsrahmen für die Abgeordnetenentschädigung genau mit einem Zwölftel der Jahresbezüge der Beamtenbesoldungsgruppe B6 und der Richterbesoldungsgruppe R6 vorgegeben. Die Jahresbezüge der vorgenannten Besoldungsgruppen umfassen auch die jährliche Sonderzahlung, das sogenannte Weihnachtsgeld.
Diese Bezugsgrößen wurden bisher nie erreicht. Bei der Verabschiedung des Abgeordnetengesetzes im Jahre 1977 betrug die gesetzlich festgesetzte Entschädigung 91,21 Prozent der Bezüge der Besoldungsgruppe B6/R6. Dieses Verhältnis veränderte sich nicht zuletzt aufgrund wiederholter Nullrunden bis 1994 auf 76,67 Prozent. In den Folgejahren näherte sich die Abgeordnetenentschädigung den Bezugsgrößen zwar an und beträgt seit 1. Januar 2003 monatlich 7.009 Euro. Zu den Monatsbezügen der Besoldungsgruppe B6/R6 in Höhe von rund 7.668 Euro (bei Verheirateten, ohne Kinder) besteht derzeit aber immer noch eine Differenz von 659 Euro; das sind 9,4 Prozent.
Um dem in weiten Kreisen der Bevölkerung verbreiteten Wunsch nachzukommen, dass die Abgeordneten nicht selbst nach unverständlichen Maßstäben über die Höhe der Entschädigung entscheiden sollen und gleichzeitig der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichtes zu entsprechen, dass die Abgeordneten eben selbst über ihre Entschädigung entscheiden müssen, wird die Abgeordnetenentschädigung in zwei Schritten an die Vergütung der Bürgermeister von Städten und von Gemeinden mit 50 bis 100 Tausend Einwohnern und der einfachen Bundesrichter angepasst werden, die bereits heute als Orientierungsgröße im Gesetz verankert ist. Sobald die Orientierungsgröße und die Abgeordnetenentschädigung deckungsgleich sind, kann der Bundestag künftig den Wünschen der Bevölkerung und den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes gleichzeitig entsprechen: Eine Anhebung der Entschädigung erfolgt nur, wenn sich die Vergütung der mit den Abgeordneten vergleichbaren Bürgermeister und der Bundesrichter ändert. Und der Bundestag beschließt darüber jedes Mal neu in einem eigenen Gesetz vor den Augen der Öffentlichkeit.
Über das Thema Abgeordnetendiäten machen sich zu Recht viele Menschen Gedanken. Ich hoffe aber, dass ich Ihnen hiermit die gegenwärtige Situation verständlich darlegen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil, MdB