Frage an Hubertus Heil von Sascha A. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Hr. Heil,
in der Politik herrscht seit einiger Zeit eine Debatte über einen sogenannten "Fachkräftemangel", den Arbeitgeberverbände angestoßen haben. Die derzeitige Lösung sieht lediglich vor, ausländische Fachkräfte anzuwerben.
Im Rahmen der Debatte stoßen mir unlogische Zusammenhänge auf:
Warum unternimmt die Bundesregierung trotz dieser lange bekannten vermeintlichen Probleme auf dem Arbeitsmarkt noch heute so wenig, um die Qualifizierungsmöglichkeiten im Inland zu verbessern? Dazu sollten gehören:
- Mehr Mittel für den Ausbau und die Modernisierung von Universitäten und Schulen, insbesondere in naturwissenschaftlichen und technischen Bereichen (der MINT-Sektor)
- Keine Altersbegrenzung beim BAFöG-Bezug beim Beginn einer beruflichen Bildungsmaßnahme (derzeit bei 30 Jahren begrenzt), so dass sich auch ältere Arbeitnehmer dem Bedarf anpassen und weiterbilden können, vor allem auch für solche, die anderweitig am Arbeitsmarkt gescheitert sind
Nach meiner Kenntnis sind sich die Experten nicht einig. Der DIW zweifelt z.B. am allgemeinen Fachkräftemangel. Es wird von vielen Seiten davon berichtet, dass Fachkräfte keinen richtigen Job in Deutschland bekommen. Sie werden oft nach Ende ihres Studiums in unbezahlte Praktika oder in Zeitarbeitsfirmen beschäftigt, die nicht selten weit unterhalb der Tariflöhne bezahlen. Das gilt auch für Fachkräfte, denen ein Mangel nachgesagt wird (Techniker, Ingenieure). Für mich als Physik-Student und zukünftige Fachkraft stellt sich da die Frage: Bin ich denn in diesem Lande auf dem Arbeitsmarkt wirklich erwünscht? Oder streben Arbeitgeber mit mehr Konkurrenz unter den Fachkräften eine Erhaltung der prekären Beschäftigungssituation an? Sind meine beruflichen Perspektiven in europäischen Nachbarländern denn nicht wesentlich vielversprechender? Ich habe mich als 29-jähriger für das Studium entschieden, um aus den Mühlen der Zeitarbeit zu entkommen. Sind meine Bemühungen darin möglicherweise sinnlos?
Sehr geehrter Herr Apazeller,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 23. Juli 2011, auf die ich Ihnen gerne antworten möchte.
Um dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen, sehe ich qualifizierte Zuwanderung als einen wichtigen Baustein. Derzeit herrscht Fachkräftemangel vor allem in bestimmten Branchen und bestimmten Regionen. Auf Grund der demografischen Entwicklung droht in Zukunft jedoch ein allgemeiner Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Wirtschaft und Politik müssen darum gemeinsam daran arbeiten, dass es für Hochqualifizierte aus anderen Ländern attraktiv ist, nach Deutschland zu kommen.
Es reicht allerdings nicht, durch Zuwanderung akute Lücken zu schließen. Deutschland braucht eine nachhaltiges Konzept zur Sicherung der Fachkräftebasis. Im Vordergrund müssen heimische Potenziale stehen, sonst droht uns ein tief gespaltener Arbeitsmarkt mit Fachkräftemangel auf der einen und verfestigter Langezeitarbeitslosigkeit auf der anderen Seite. Wir können es uns nicht leisten, dass Jahr für Jahr 65.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen. Die Erwerbsquote von Frauen ist zu gering. Außerdem müssen die Arbeitsmarktchancen für Ältere und Langzeitarbeitslose deutlich verbessert werden. Leider hat die schwarz-gelbe Bundesregierung gerade bei den Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik den Rotstift angesetzt – u.a. die Förderung junger, älterer und Langzeitarbeitsloser wird zusammengestrichen.
Sie sprechen es an: Bildung, Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung müssen bei den Bemühungen zur Gewinnung von Fachkräften im Zentrum stehen. Nötig sind beispielsweise neue Impulse, um den Frauenanteil in den besonders gefragten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) deutlich zu erhöhen und die hohen Abbrecherquoten zu senken. Es braucht Initiativen, um die bereits in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer besser zu qualifizieren. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss deutlich verbessert werden. Wir sollten endlich das Kooperationsverbot in der Bildung abschaffen, damit der Bund die Bildungsanstrengungen der Länder unterstützen kann. All dies wären Bausteine einer echten Fachkräftestrategie. Auch faire Löhne und besser abgesicherte Arbeitsverhältnisse gehören dazu.
Ich hoffe, Ihre Fragen damit beantwortet zu haben und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil