Frage an Horst Becker von Wolf-Günter N. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Becker,
als Bürger des Sankt Augustiner Stadtteils Birlinghoven habe ich mit vielen Mitbürgern stark unter dem Fluglärm des Flughafens Köln-Bonn zu leiden. Mit großer Betroffenheit habe ich vor ca. zwei Jahren zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Nachtfluggenehmigung durch die Landesregierung zeitlich bis zum Jahr 2030 ausgeweitet worden ist. Und das obwohl es bereits zu diesem Zeitpunkt hinlängliche Untersuchungsergebnisse gab die belegen, dass insbesondere Kreislauferkrankungen aber auch Krebserkrankungen in Lärm belasteten Gegenden signifikant höher sind als in nicht betroffenen Gebieten.
Wie stehen Sie zu einem generellen Nachtflugverbot in NRW in der Zeit zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr?
Was können Sie unternehmen um ein (bundesweites, denn anders wird es nicht gehen) Nachtflugverbot durchzusetzen?
Über Ihre Antwort freue ich mich.
Mit bestem Gruß
Wolf-Günter Nürnberger
Sehr geehrter Herr Nürnberger,
herzlichen Dank für Ihre Frage bezüglich meiner Haltung eines möglichst bundesweiten Nachtflugverbotes.
Für ein solches Nachtflugverbot setze ich mich persönlich seit sehr vielen Jahren ein. Ich bin nun bereits seit über 25 Jahren für die GRÜNEN an den verschiedensten Stellen politisch aktiv (Rat der Stadt Lohmar, Kreistag des Rhein-Sieg-Kreises, Regionalrat der Bezirksregierung Köln und seit dem Jahr 2005 auch als Landtagsabgeordneter). Der Kampf für mehr Lärmschutz und insbesondere für mehr Nachtruhe war mir dabei - und ist mir auch heute noch - immer ein besonderes Anliegen gewesen. Ich habe auch an den verschiedensten Stellen in meiner Partei maßgeblich dafür gesorgt, dass der Schutz der Nachtruhe sich in eindeutiger Weise in unserer Programmatik wieder findet.
So finden Sie im Programm der GRÜNEN zur Europawahl im Jahr 2009 folgenden Satz: "Wir fordern europaweit einheitliche und sanktionsbewehrte Schallimmissionsgrenzwerte an Flughäfen ebenso wie scharfe europaweite Regelungen für Nachtflugverbote."
Im Grundsatzprogramm von Bündnis 90/DIE GRÜNEN steht dank meiner Initiative folgender Passus: "Verkehrslärm wollen wir deutlich spürbar vermindern, weil er sich in Städten und Siedlungen, im Umkreis von Flughäfen und entlang hoch belasteter Verkehrsachsen immer mehr zur Volkskrankheit Nummer eins entwickelt. Insbesondere die Störung der Nachtruhe führt zu Gesundheitsschäden. Gesetzlicher Schutz vor Verkehrslärm muss nach dem Vorsorgeprinzip wirksam werden. In der Umgebung von Flughäfen muss die Nachtruhe der Bevölkerung Priorität haben, weshalb wir uns für Nachtflugverbote einsetzen."
Der Passus im Bundestagswahlprogramm aus dem Jahr 2009 lautet: "Wir fordern umfassende Programme sowie die Einführung und Festlegung verbindlicher Lärmgrenzwerte zur Lärmminderung. Dazu gehören die Einrichtung und Ausweitung von Nachtflugverboten genauso wie besserer aktiver und passiver Lärmschutz an Bahnstrecken und auf Straßen sowie Flüsterasphalt auf Straßen."
In den NRW-Landtagswahlkampf gehen wir nun mit folgender Aussage in unserem Landtagswahlprogramm: "Beim Fluglärm haben für uns die Lärmschutzinteressen der Anwohnerinnen und Anwohner Vorrang vor den rein betriebswirtschaftlichen Interessen der Luftverkehrswirtschaft. Die Anstrengungen zum Schutz vor Fluglärm müssen sich insbesondere auf Betriebsbeschränkungen wie Nachtflugverbote, Lärmobergrenzen oder den Ausschluss von besonders lauten Flugzeugen konzentrieren. Unser Ziel ist dabei ein generelles Nachtflugverbot an allen Flughäfen in NRW." Zum Flughafen Köln/Bonn heißt es im Landtagsprogramm konkret: "Das Verbot von nächtlichen Passagierflügen zwischen null und fünf Uhr, das der Landtag auf Initiative der Grünen im August 2007 einstimmig beschlossen hat, muss endlich umgesetzt werden. Zusätzlich wollen wir kurzfristig Lärmobergrenzen in der Zeit von 22 bis sechs Uhr mittels Lärm- und Bewegungskontingentierungen durchsetzen. Langfristig treten wir für ein generelles Nachtflugverbot zwischen 23 und sechs Uhr ein. Außerdem darf es zu keiner Privatisierung des Flughafens kommen, solange es nicht zu wirkungsvollen Beschränkungen des Nachtfluges gekommen ist, weil sich sonst mögliche Privatinvestoren eine Ewigkeitsgarantie auf Weiterbetrieb des Nachtflugs geben ließen."
In den Landtag habe ich für die GRÜNE Fraktion in den letzten fünf Jahren zahlreiche Anträge zur Bekämpfung des Fluglärms am Flughafen Köln/Bonn eingebracht. Sie können diese Anträge auf der Webseite des Landtages im Dokumentenarchiv ( http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_II/II.2/Dokumentenarchiv/Parlamentspapiere/suche_nrw.jsp ) herunterladen, wenn Sie die Drucksachennummern 14/3031, 14/4924, 14/5027, 14/5084, 14/5226 und 14/10743 eingeben.
Diese Anträge würden zwar alle mit den Stimmen von CDU und FDP und teilweise auch der SPD abgelehnt. Bemerkenswerter Weise wurde allerdings ein Teilaspekt unserer Forderungen, nämlich das Verbot nächtlicher Passagierflüge im Köln/Bonner Flughafen zwischen 0.00 und 5.00 Uhr, von den Regierungsfraktionen in einem eigenen Antrag im August 2007 aufgegriffen und ein einstimmiger Beschluss dazu herbeigeführt. Noch im gleichen Monat äußerte aber der ehemalige Verkehrsminister Wittke im Aufsichtsrat des Flughafens Köln/Bonn, dass er nicht beabsichtige, dem Köln Bonn Airport eine Kernruhezeit für Passagierflugzeuge aufzubürden und er auch nicht beabsichtige, das Landesparlament an dieser Entscheidung zu beteiligen. Der Fraktionsvorsitzende der FDP-Landtagfraktion Gerhard Papke gab gleichzeitig Interviews, in denen er verkündete, dass das nächtliche Passagierflugverbot spätestens in 2010 umgesetzt würde. Seit dem Beschluss im August 2007 sind zweieinhalb Jahre vergangen, ohne dass die Landesregierung etwas zur Umsetzung dieses Landtagsbeschlusses unternommen hätte. Im Gegenteil: Anfang 2008 wurde durch die NRW-Landesregierung die Nachtflugregelung bis 2030 ohne jegliche substanziellen Veränderungen verlängert. Die GRÜNE Landtagsfraktion hat die Tatenlosigkeit der Landesregierung bei der Umsetzung des Beschlusses für ein nächtliches Passagierflugverbot vor kurzem zum Anlass genommen, erneut einen Antrag (Drucksache 14/10743) zu stellen mit der Aufforderung an die Landesregierung, endlich zu handeln und den Beschluss umzusetzen. Der Antrag wurde am 11.3.2010 namentlich abgestimmt, wobei bis auf den Abgeordneten Michael Solf alle Abgeordneten von CDU und FDP (aus dem Rhein-Sieg-Kreis auch Gerhard Papke, FDP, Ilka Freifrau von Boeselager, CDU sowie mein Konkurrent zur Landtagswahl im Direktwahlkreis, Andreas Krautscheid, CDU) dagegen stimmten.
Sollte es am 9. Mai zu dem von uns erhofften Regierungswechsel unter GRÜNER Regierungsbeteiligung kommen, dann wird sich ein generelles Nachtflugverbot in NRW allerdings nicht von einem Tag auf den anderen umsetzen lassen. Am Flughafen Köln/Bonn hat die CDU-FDP-Landesregierung mit ihrer im Jahr 2008 durchgeboxten Verlängerung der alten Nachtflugregelung bis zum Jahr 2030 Fakten geschaffen, an der auch eine neue Landesregierung nicht so leicht vorbeikommt. Allerdings bestehen mit dem im GRÜNEN Landtagswahlprogramm genannten Verbot nächtlicher Passagierflugzeuge und der Festlegung von Lärm- und Bewegungskontingenten durchaus Instrumente zur Verfügung, bereits direkt nach der Wahl aktive Schritte für mehr Lärmschutz am Flughafen zu unternehmen. Wir haben darüber hinausgehend noch einige Überlegungen für eventuelle Verhandlungen, die rund um die Frage der angeblich signifikanten Lärmminderung in den letzten Jahren und um die durch Studien bewiesenen gesundheitlichen Auswirkungen gehen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich diese hier nicht im Detail ausbreite.
Das nächtliche Passagierflugverbot ist bis heute ausdrücklich vom Vertrauensschutz in der alten wie auch der von der Landesregierung bis 2030 verlängerten neuen Nachtflugregelung ausgenommen. Das heißt konkret, ein solches Passagiernachtflugverbot wäre jeweils zum Wechsel auf den neuesten Flugplan umsetzbar, mithin also spätestens zum Winterflugplan 2010/2011. Grundsätzlich gebe ich Ihnen auch Recht, dass es für die Durchsetzung von einem generellen Nachtflugverbot in NRW bundesweit, am besten sogar europaweit einheitlicher Bestimmungen bedarf. Leider geht aber auch die Politik der derzeitigen Bundesregierung in eine völlig andere Richtung. So haben CDU, CSU und FDP im Bund in ihrem Koalitionsvertrag folgendes festgelegt:
"Wir werden uns für einen koordinierten, Ausbau der Flughafeninfrastruktur einsetzen. Neben einer Kapazitätsentwicklung der Flughäfen werden wir insbesondere international wettbewerbsfähige Betriebszeiten sicherstellen. Die dazu erforderliche Präzisierung im Luftverkehrsgesetz soll eine gleichberechtigte und konsequente Nachhaltigkeitsabwägung von wirtschaftlichen, betrieblichen und dem Lärmschutz geschuldeten Erfordernissen auch bei Nachtflügen sicherstellen. Die Wahrung des öffentlichen Erschließungsinteresses der Bundesrepublik Deutschland ist dabei zu gewährleisten."
Nach Auffassung von Experten zielt diese "Präzisierung" auf den § 29b Luftverkehrsgesetz. So drängen die Koalitionsfraktionen im Bund wohl insbesondere auf eine Klarstellung dessen, was unter "Nachtruhe" zu verstehen ist. Nachtruhe soll demnach mit "ungestörtem Schlaf" gleichgesetzt werden, nicht mit absoluter Nachtruhe im Außenbereich. Sollte in diesem Sinne tatsächlich eine Änderung der gesetzlichen Vorgaben erfolgen, dann würde dies nach meiner Einschätzung (die auch von zahlreichen Fluglärmexperten geteilt wird) bedeuten, dass eine Begrenzung bzw. Reduzierung von Nachtflugbewegungen überhaupt nicht mehr erreicht werden kann, weil ein Schutz der Bevölkerung nicht durch aktiven sondern lediglich durch passiven Schallschutz bewirkt werden soll. Alternativ zum Herunterfahren des Flugbetriebs in der Kernzeit der Nacht zwischen 23.00 und 05.00 Uhr würden allein verstärktes Fensterglas und eigengeräuschintensive Lüfter angeboten. Mit einer derartigen geänderten Schutzregelungen im § 29b des Luftverkehrsgesetzes würde den Genehmigungsbehörden und Gerichten kein Entscheidungsspielraum für nächtliche Betriebsbeschränkungen und somit eine aktive Reduktion der nächtlichen Verlärmung der Umgebung der Wohngebiete mehr bleiben. Dies würde einen dramatischen Rückschritt beim Aufbau wirksamen Gesundheitsschutzes für über eine Million erheblich Fluglärm belasteter Menschen in Deutschland bedeuten.
An diesem Beispiel können Sie ersehen, dass es mit der Landtagswahl auch darum geht, die Verhältnisse im Bundesrat zu ändern. Denn einer derartigen Änderung des Luftverkehrsgesetzes müsste auch der Bundesrat zustimmen. Dieser verliert jedoch bei einem Regierungswechsel in NRW seine schwarz-gelbe Mehrheit. Eine Landesregierung unter GRÜNER Beteiligung würde jedenfalls einer solchen Änderung des Luftverkehrsgesetzes mit Sicherheit nicht zustimmen.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Becker MdL