Frage an Heribert Hirte von Nicolai B. bezüglich Bundestag
Sehr geehrter Herr Hirte,
ich bin Student an der Uni Köln und Sie sind der direkt gewählte Abgeordnete in meinem Wahlkreis in Köln.
Ich wende mich an Sie, um besser verstehen zu können warum politische Prozesse so unglaublich schleppend verlaufen. Ich studiere Jura im 10. Semester und lese (fast) seit beginn meines Studiums wie aufgebläht der Bundestag ist, dass der Bundestag sich dadurch selbst lahmlegt und, dass es keinerlei Reformwillen bezüglich des Wahlrechts gibt.
Ich verstehe das Wahlrecht und schätze es im Vergleich zu anderen Ländern sehr, jedoch fehlt mir das Verständnis warum die Zahl der Abgeordneten nicht begrenzt wird. Ich kann den Unmut von so vielen Menschen komplett nachvollziehen, die sich von den Altparteien abwenden. Schlichtweg weil das Gefühl vermittelt wird, dass Parteitaktik wichtiger ist als Regieren. Es ist ein Unding eine Reform über Jahre zu verschleppen und dann in der absolut letzten Sitzungswoche doch noch "irgendwas" auf den Weg zu bringen. Bis März diesen Jahres befand sich das Land in recht ruhigen Fahrwasser, warum hat die Bundesregierung nicht bewiesen wie handlungsfähig sie ist und wie gezielt sie arbeiten kann. Warum hat sie nicht bewiesen, dass effektive parlamentarische Zusammenarbeit auch mit der Opposition geht. Warum hat sie den Bürgern nicht deutlich gemacht, dass man mit Mut und einem starken Bundestag in das neue Jahrzehnt gehen kann.
Ich bin als sehr politisch interessierter junger Mensch gefrustet. Gefrustet von Parteitaktik, Parteivorstandsspielereien und einer Politik die sich lieber um sich dreht als eine Vision für ihre Bürger erarbeitet und den Weg dafür ebnet.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich die Zeit nehmen mir zu erklären warum es bis zur letzten möglichen Sitzungswoche dauert und es trotzdem nicht sicher ist, dass es zu einer Wahlrechtsreform kommt.
Herzliche Grüße aus Köln
N. B.
Sehr geehrter Herr Bahmann,
vielen Dank für Ihre Nachricht zur Reform des Wahlrechts und für Ihre Fragen zum Verständnis politischer Prozesse.
Gemäß Art. 38 Abs. 3 GG iVm § 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG besteht der Deutsche Bundestag aus 598 Abgeordneten. Seine Anzahl ist damit begrenzt. Die erhöhte Anzahl von Abgeordneten ergibt sich aus der Kombination von Überhang- und Ausgleichsmandaten. Diese Mandate sind Folge der in Deutschland bestehenden Kombination von Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht (personalisierte Verhältniswahl). Dieses System ist – wie Sie sicher wissen – eine Reaktion auf historische Erfahrungen und hat sich in der Vergangenheit bereits bewährt.
Gerade in der Pandemie hat der Bundestag seine – auch kurzfristige – Handlungsfähigkeit bewiesen. In den vergangenen Monaten wurden viele Gesetze mit Zustimmung der Oppositionsfraktionen beschlossen. Es ist gerade die Folge politischer Entscheidungen, die abgewogen und möglichst vielfältige Interessen einbinden und zum Ausgleich bringen sollen, dass sie eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Es ist hierbei immer das Ziel, dass politische Entscheidungen von einer möglichst großen Mehrheit getragen werden.
Im Oktober 2020 hat der Bundestag die von Ihnen angesprochene Reform des Wahlrechts beschlossen mit dem Ziel, die stetige Vergrößerung des Bundestags aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten abzuschwächen. Ab dem 1. Januar 2024 werden die Anzahl der Wahlkreise reduziert und der Ausgleich von Überhangmandaten beschränkt. Daneben wird nun eine Reformkommission eingesetzt, die sich mit Fragen des Wahlrechts befassen und Empfehlungen für eine weitere Modernisierung des Wahlrechts erarbeiten soll.
Mit freundlichen Grüßen
Heribert Hirte