Frage an Heribert Hirte von Guido F. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Prof. Dr. Hirte,
ich danke Ihnen für die Antwort, möchte aber gerne etwas klarstellen.
Die Digitalisierung möchte ich nicht zurückfahren, ich wollte nur wissen, ob Sie sich dafür einsetzen werden, dass die folgende Produktivitätssteigerung der Gesamtbevölkerung zu Gute kommt und nicht nur die Vermögen der Superreichen weiter anwachsen lässt. Scheinbar bevorzugen Sie Letzteres.
Aus meiner Sicht gibt es nur eine Gerechtigkeit. Es ist keine, wenn nur ein Bereich nicht erfüllt ist. Deshalb bitte ich Sie, doch genauer auszuführen, wie es im Hinblick auf Leistungsgerechtigkeit für Sie möglich ist, dass der Vorstandsvorsitzende von HeidelbergCement in einem einzigen Jahr mehr leistet, als z.B. drei Pflegekräfte in ihrem gesamten Berufsleben. Was ist dabei Ihr Maßstab für die Arbeitsleistung?
Die unteren 40% der Bundesbürger - die ab 2030 von Altersarmut bedroht sind (1) - besitzen schon heute gerade einmal 1% des Gesamtvermögens, weil sie überhaupt nicht genug verdienen um zu sparen (2).
Wie sollen diese Menschen also Ihren schlichten Rat befolgen und mehr Geld für später zurücklegen?
Wer bei einer 40-Stunden-Woche den Mindestlohn von EUR 8,84 erhält, verdient monatlich ca. EUR 1230 netto. Welchen Anteil dieses üppigen Lohnes sollte man Ihrer Meinung nach in Aktienfonds investieren?
Vom Erben profitieren in Deutschland nur die oberen 30%, während das Sozialsystem von einfachen Arbeitern und Angestellten getragen wird (3). Wie bewerten Sie unter dem Aspekt der Leistungs- und Chancengerechtigkeit, dass man schon vor seinem Ableben Millionen steuerfrei an seine Nachkommen übertragen kann (3)? Sollten Erbschaften und Schenkungen höher besteuert werden?
Sind Sie eigentlich politisch aktiv geworden, weil Sie das Leben aller Menschen verbessern wollten, oder vertreten Sie nur die Interessen einer bestimmten Gruppe?
Mit freundlichen Grüßen
G. F.
1) https://goo.gl/apFa8S
2) https://goo.gl/L3yzSW
3) https://goo.gl/AFzQei
Sehr geehrter Herr F.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Sie scheinen die Welt mit anderen Augen zu sehen als ich, wie ich Ihrer Nachricht entnehme. Denn die Realität ist für mich wesentlich komplexer als eine Aufteilung in "Reich" und "Arm" und "Gut" und "Böse".
Ich bin davon überzeugt, dass ein Aspekt von Gerechtigkeit bedeutet, dass man von seiner Arbeit gut leben kann. Gut leben heißt dabei aber nicht, dass man sich unbedingt einen VW Golf VII oder ein Einfamilienhaus in Rodenkirchen leisten können muss. Auch der Sommerurlaub mit dem Flugzeug gehört für mich nicht zu etwas, das der Staat gewährleisten muss - und was zu einem guten Leben notwendigerweise dazugehört. Wenn man aber eine Tätigkeit ausübt, die als sozial nützlich angesehen wird, dann halte ich ein gutes Leben aber nur für gerecht. Das heißt für mich z.B., dass man sich bei einer Vollzeittätigkeit aus dem eigenen Gehalt in einer Pendel-Distanz von z.B. 45 min zu seinem Arbeitsplatz eine angemessene Wohnung (hier halte ich übrigens die Größenwerte, die im Rahmen von Hartz IV angesetzt werden, also 40 qm für Singles und 60 qm für zwei Personen für vernünftig - selbst Investmentbanker leisten sich in London von ihrem Gehalt keine größeren Wohnungen) leisten kann. Auch sollte man in den Supermarkt gehen können, ohne sich bei dem Kauf von Grundnahrungsmitteln Gedanken machen zu müssen, ob man sich diese auch noch am Monatsende leisten kann.
Wenn aber jemand lange lernt, viel arbeitet, Verantwortung trägt und komplexe Aufgaben erfüllt, dann darf er für seine Leistung eine höhere Entlohnung erwarten. Wie schon bei meiner letzten Antwort ausgeführt, ist die Frage der Höhe von Gehältern von Fach- und Führungskräften letztlich keine Frage (mehr) von Gerechtigkeit, sondern von Angebot und Nachfrage. Die Höhe mancher Vorstandsgehälter in Großkonzernen ist aber durchaus diskutabel, denn auch ich halte wenig von überzogenen Millionenabfindungen. Dies habe ich im Übrigen auch bereits in meiner Rede zur Höhe von Managergehältern im Deutschen Bundestag am 17. Februar 2017 erklärt ( http://www.heribert-hirte.de/berlin/reden?start=6 ). Geringere Gehälter bei Vorständen führen aber nicht zu höheren Gehältern, nicht zu einem höheren Lebensstandard (um den es ja bei der Frage nach der Vergütung eigentlich geht - oder gehen sollte) z.B. bei Altenpflegerinnen oder Hilfsarbeitern.
Insofern müssen wir dafür Sorge tragen, dass möglichst wenige Menschen von Altersarmut betroffen sind. Ganz ausschließen lässt sie sich nicht - insbesondere nicht bei Menschen, die sich bewusst dafür entscheiden, nicht zu arbeiten oder als Selbständige verzichten, eine ausreichende Altersversorgung aufzubauen. Grundsätzlich sind aber Instrumente zur privaten Altersvorsorge wie die Riester-Vorsorge, von der insbesondere kleine Einkommen profitieren, aber auch kostenarme Index-Sparpläne, an denen mit kleinen Summen Anteil am Investivvermögen genommen werden kann und die vom Staat stark gefördert werden, eine mögliche Option. So kann Ihr Beispielfall 4% seines Einkommens einsparen (ca. 50 EUR im Monat) für die volle staatliche Zulage von 154 EUR. Mit Kindern ist die Zulage sogar höher. Dieser Anteil von 4 % des Bruttoeinkommens entspricht übrigens exakt den höheren Beiträgen der österreichischen staatlichen Rentenversicherung, die häufig in diesem Kontext ins Feld geführt wird. Letztlich ist Sparen aber immer eine Frage von Prioritätensetzung - letztlich fast unabhängig vom absoluten Einkommen.
Unter den 30 % der Erben, die Sie erwähnen, befinden sich auch nicht ausschließlich Millionäre, um das einmal klarzustellen, sondern in der Mehrheit handelt es sich hier um Vermögen, das (rechtschaffend) von "ganz normalen" Facharbeitern erarbeitet wurde. Außerdem ist das Vermögen aus dem Erbe bereits versteuertes Geld. Halten Sie es denn für gerechter, dass jemand, der spart oder seinen Kindern etwas vererben möchte, dafür bestraft wird? Oder sind Sie eher dafür, dass dieses Geld vorher von den Erblassern zu Konsumzwecken "verjubelt" wird, in Ihrem Sprachgebrauch eben "der dritte Ferrari angeschafft wird", anstatt es den Kindern zu überlassen? Ich persönlich halte die Weitergabemöglichkeit an zukünftige Generationen als "Investitionsanreiz" für sinnvoller als durch hohe Schenkungsteuern Anreize für Konsum zu schaffen...
Lieber Herr F., Sie fragen nach, warum ich mich entschieden habe, aktiv in die Politik zu gehen? Weil ich mich schon als Jugendlicher für die Dinge interessiert habe, die um mich passieren und diese aktiv beeinflussen wollte. Denn schon damals war mein Motto "Machen statt Meckern". Angefangen hat es übrigens bei mir mit der Frage, ob Junkersdorf bzw. die Gemeinde Lövenich nach Köln eingemeindet werden soll oder nicht....
Erlauben Sie mir nun auch eine Gegenfrage: Sie sind ja offensichtlich auch sehr politisch interessiert - engagieren Sie sich selbst auch politisch aktiv (und wenn ja in welcher Partei oder Interessenvertretung?) oder sehen Sie sich mehr als "Schreibtischtäter"?
Gerne stehe ich Ihnen auch für ein persönliches Gespräch zur Verfügung, in dem wir unsere Argumente austauschen können. Denn ich bin überzeugt: nur durch den politischen Diskurs entstehen neue Ideen, kann Konsens gefördert werden und können wir zukunftsfähige, demokratische Lösungen finden.
Mit freundlichen Grüßen
Heribert Hirte
P.S.: Natürlich möchte ich, dass die Produktionssteigerungen durch die Digitalisierung allen Menschen dieses Landes zu Gute kommen - und das ist auch der Fall. Wie schon ausgeführt ist der Lebensstandard durch die Digitalisierung für alle angestiegen - und auch die Arbeit ist gerade auch für Industriearbeiter deutlich (körperlich) leichter geworden.