Frage an Heribert Hirte von Carmen B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Ich möchte wissen, ob Sie sich gegen Merkels Entscheidung "Keine Obergrenze bei Flüchtlingen" aussprechen.
Warum entscheidet das Merkel alleine?
Wir wollen Abstimmungen im Bundestag.
Besser noch: Volksabstimmungen wie in der Schweiz!
Sehr geehrte Frau B.,
vielen Dank für Ihre Email. Wie ich bereits seit Beginn der Flüchtlingskrise und den ersten Debatten um die Obergrenze gesagt habe, bin ich gegen die Einführung einer pauschalen Obergrenze. Ich bin davon überzeugt, dass eine willkürlich gesetzte Zahl kein wirksames Instrument gegen illegale Einreisen in die Bundesrepublik darstellt. Vielmehr ist es ein Trugschluss, dass diese vermeintlich "einfache" Lösung, die bei näherem Hinsehen, gar nicht so einfach umzusetzen wäre, auch wirksam sein könnte. Stellen Sie sich vor, die Bundesregierung beschließt eine Obergrenze X, dann würde diese Zahl in jedem Fall eine Sogwirkung auslösen. Denn die Hoffnung jedes Asylsuchenden wäre, dass er bleiben dürfte. Außerdem müsste trotzdem, wie schon jetzt, in jedem Fall geprüft werden, wer wirklich schutzbedürftig ist und wer nicht. Ein weiteres Folgeproblem wäre deren Definition: oder wollen wir beispielsweise einen Wirtschaftsflüchtling einem wirklich Schutzbedürftigen vorziehen? Und wären wir noch ein Rechtsstaat, wenn ein Schutzbedürftiger Asyl bekommt, ein anderer aber nicht? Was wäre, wenn die Länderebene andere Auffassungen davon hat? Was wäre es für ein Aufschrei in der Bevölkerung, wenn wir eine schutzbedürftige Familie zurücksenden würden, nur weil die Obergrenze erreicht ist (denken Sie nur an die Debatte der letzten Tage in NRW)? Und möchten wir ein solches Land sein, das scheinbar willkürlich handelt? Insofern bin ich davon überzeugt, dass die Debatte um eine Obergrenze eine Scheindebatte ist, die die Realität verkennt. Vielmehr braucht es mehr europäische Solidarität und wirksame Konzepte gegen Flucht. Daran arbeitet die Bundeskanzlerin auch schon seit langem auf europäischer und internationaler Ebene und wir haben mit der Bundesregierung zahlreiche Maßnahmen eingeleitet.
Daher habe ich mir schon vor gut zwei Jahren eigene Gedanken gemacht, wie die Bundesregierung einem hohen Aufkommen an Flüchtlingen langfristig gerecht werden könnte. Zusammen mit dem Bundestagsabgeordneten Alexander Hoffmann (CSU) habe ich mehrere Punkte aufgelistet, die konstruktiv in meiner Fraktion diskutiert und inzwischen zu einem großen Teil auch umgesetzt wurden, wie beispielsweise die Ermöglichung des Auslesens von Handydaten bei Flüchtlingen zwecks Feststellung ihrer Identität oder die Festlegung weiterer Länder, die als sichere Herkunftsstaaten gelten (was teilweise aber noch immer im Bundesrat blockiert wird).
Und lassen Sie mich zum Schluss noch auf die angeblichen Alleingänge der Kanzlerin eingehen: Auch wenn die Entscheidung, Flüchtlinge aus Budapest aufzunehmen, von Angela Merkel spontan alleine getroffen worden sein sollte, so folgten danach ausgiebige Diskussionen in Fraktion und Parlament, die ihr Recht gegeben haben. Gerade im Rahmen der Verschärfung des Asyl- und Ausländerrechts wurde die damalige Situation ausführlich diskutiert - gerne schicke ich Ihnen die entsprechenden Links.
Volksentscheidungen wie in der Schweiz helfen uns übrigens weder hier noch anderswo weiter. Schauen Sie sich an, wie knapp die Entscheidungen dort ausgehen - und in Bezug auf Flüchtlinge war 2015/2016 die große Mehrheit in Deutschland ja gerade für die Aufnahme. Hätten Sie hier das Ergebnis einer Volksabstimmung "akzeptiert" oder würden Sie weiterhin Kritik üben? Zudem ist Politik immer ein Kompromiss zwischen verschiedenen Themen, der sich in einfachen Ja/Nein-Fragen, wie sie bei Volksabstimmungen einfach notwendig sind, nicht erreichen lässt.
Mit freundlichen Grüßen
Heribert Hirte