Frage an Heribert Hirte von Guido F.
Sehr geehrter Herr Prof. Hirte,
bedauerlicherweise haben Sie auf meine Anfrage vom 26. Februar 2014 ( http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-778-78195--f416294.html#q416294 ), die ich vor dem Hintergrund des Beschlusses einer automatischen jährlichen Diätenerhöhung an Sie gerichtet hatte, bis heute nicht reagiert. Ich möchte Sie daher zunächst um die Beantwortung der damals bereits gestellten Fragen bitten.
Darüber hinaus interessiert mich sehr, ob Sie Kenntnis darüber haben, warum es ganze vier Monate dauerte und Bundespräsident Gauck das Gesetz, trotz erheblicher Bedenken zahlreicher Staatsrechtler an dessen Verfassungsmäßigkeit, dann erst unterschrieb, als fast ganz Deutschland durch die WM-Euphorie abgelenkt war.
Denken Sie, die Art und Weise, in der dieses Gesetz zur Diätenerhöhung hinter dem Rücken der Bevölkerung verabschiedet wurde, fördert das allgemeine Vertrauen in den Bundestag?
Erachten Sie es für sich selbst als dauerhaft moralisch vertretbar, persönlich von einem verfassungswidrigen Gesetz zu profitieren, gegen das zudem auch nur aus dem Personenkreis Verfassungsbeschwerde eingelegt werden kann, dem das Gesetz ausschließlich Vorteile bringt?
Falls Sie keine Bedenken haben, auf verfassungswidriger Basis höhere Diäten einzustreichen, werden Sie sich dann wenigstens dafür einsetzen, dass auch Mindestlohn und Hartz IV-Satz an die Entwicklung der Bruttolöhne, die seit 1991 stetig angestiegen sind und im Jahr 2014 92,5 Prozent höher waren als 23 Jahre zuvor ( https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VerdiensteArbeitskosten/VerdiensteVerdienstunterschiede/Tabellen/LangeReiheD.html ), angepasst werden?
Sollten Sie keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der beschlossenen automatischen jährlichen Diätenerhöhung hegen, dann dürften Sie doch eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht fürchten. Wären Sie also bereit, eine entsprechende Verfassungsprüfung zu initiieren?
Mit freundlichen Grüßen
Guido Friedewald
Sehr geehrter Herr Friedewald,
entschuldigen Sie bitte, dass Ihre Anfrage vom 26.2.2014 bei uns im Büro leider untergegangen ist; inhaltlich hatte ich allerdings den wesentlichen Teil Ihrer Frage (Vergleich zum Mindestlohn) schon mit meiner Antwort an Herrn Maiworm ( http://www.abgeordnetenwatch.de/prof_dr_iur_heribert_hirte-778-78195--f415106.html#q415106 ) beantwortet. Sollten Sie bei Ihrer nächsten Frage keine Antwort binnen zwei Wochen erhalten, zögern Sie bitte nicht, mich direkt über heribert.hirte@bundestag.de bzw. telefonisch unter 030/227-77830 zu kontaktieren.
Lassen Sie mich aber nun zu Ihrer heutigen Anfrage kommen:
Für Ihre Frage zur Verfassungsmäßigkeit verweise ich auf meine Antwort zu Ihrer Frage vom 26.2.2014 ( http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-778-78195--f416294.html#q416294 ), die ich für gegeben halte. Insofern erübrigen sich einige Ihrer weiteren Fragen.
Eine lange und intensive Prüfung der Verfassungsmäßigkeit durch den Bundespräsidenten (dessen materielle, d.h. inhaltliche, Prüfkompetenz zudem umstritten ist) halte ich persönlich für unproblematisch und im Ergebnis sogar für positiv; deutlich moralisch schwieriger wärde ich es empfinden, wenn der Bundespräsident bei deutlichen Bedenken ohne jegliche Prüfung sofort das Gesetz unterzeichnen würde. Zugegebenermaßen mag der Zusammenfall der Unterzeichnung des Gesetzes mit der Fußball-WM konstruiert wirken - jedoch sind mir hier keine strategischen Überlegungen bekannt, die hier gezielt die Öffentlichkeit von der Diskussion ausschließen wollten. Diese Frage sollte von Ihnen vielmehr an das Bundespräsidialamt gerichtet werden.
Auch bin ich nicht der Ansicht, dass dieses Gesetz "hinter dem Rücken der Bevölkerung" verabschiedet wurde. Vielmehr wurde das Verfahren auf der Seite des Deutschen Bundestages ( http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/49593444_kw08_sp_diaeten/215804 ) intensiv dokumentiert, wo auch nachzulesen ist, dass das Gesetz auf Empfehlungen einer Kommission vom 13.3.2013 (!) zurückgeht. Sollten Sie bemängeln, dass das Verfahren (auch wegen der WM und der sog. Edathy-Affäre) nicht genug von der Presse aufgenommen wurde, würde ich Sie bitten, sich an die entsprechenden Redaktionen zu wenden.
Nachdem ich das Gesetz auch selbst für verfassungsgemäß halte, ist es mir zu guter Letzt auch nicht möglich, hier eine entsprechende Verfassungsprüfung zu initiieren. Dies ist gerade nur dann zulässig, wenn seitens des Beschwerdeführers ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm bestehen.
Eine Verknüpfung von "Hartz 4" mit der Nettolohnentwicklung halte ich für nicht sinnvoll. Bei dem sog. Arbeitslosengeld 2 ("Alg. 2") handelt es sich gerade nicht um eine Lohnersatzleistung und soll auch gerade keine "amtsangemessene" Lebensführung wie bei der Abgeordnetendiät ermöglichen (die damit natürlich auch eine relative Komponente hat, sprich immer auch im Vergleich zu anderen Einkommen zu sehen ist). Vielmehr soll das Alg. 2 einen absoluten Mindeststandard bieten; eine Anpassung des Betrags ist somit also nur dann geboten, wenn sich auch die Kosten (sprich die Preise) für diesen Mindeststandard erhöhen; ein sinnvoller Anknüpfungspunkt wäre hier also wenn überhaupt der Inflationsindex für den entsprechenden Warenkorb.
In Bezug auf den Mindestlohn würde ich mir übrigens an Ihrer Stelle weniger Gedanken machen, dass er nicht so stark steigen wird, wie die Nettolohnentwicklung. Vielmehr soll sich die Entwicklung des Mindestlohns an der Tarifentwicklung orientieren, die ja bekanntlich deutlich stärker nach oben zeigt, als die Löhne insgesamt. Nach § 9 Abs. 3 heißt es nämlich: "Die Mindestlohnkommission prüft im Rahmen einer Gesamtabwägung, welche Hähe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden. Die Mindestlohnkommission orientiert sich bei der Festsetzung des Mindestlohns nachlaufend an der Tarifentwicklung."
Mit freundlichen Grüßen aus Sürth
Heribert Hirte